Künstlerisch-forschende Schlaglichter auf blinde Flecken der Erinnerungskultur
Was gibt ein Stadtführer darüber preis, was im Zuge des Holocaust an einer bestimmten Wiener Straßenecke geschah und was nicht? Was wissen einzelne Menschen, Familien oder Institutionen über historische Ereignisse, die möglicherweise noch auf sie nachwirken? Mit der Erinnerungs-, Geschichts- und Erzählpolitik rund um die komplexen Verknüpfungen zwischen Österreich und Israel und deren blinde Flecken setzen sich Künstler im Rahmen des Forschungsprojekts "MemScreen" auseinander.
Das Vorhaben sei durchaus beispielhaft dafür, wie eine Spielart von künstlerischer Forschung aussehen könne, zeigten sich die Protagonisten des Projekts im Gespräch mit APA-Science überzeugt. Die historischen Verbindungen zwischen Österreich und Israel und die Frage, wie in den beiden Ländern die vor allem durch die Nazi-Gräuel beeinflussten Beziehungen auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen gesehen werden, bilden den Ausgangspunkt des seit 2010 im Rahmen des PEEK-Programms des Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts an der Akademie der bildenden Künste Wien.
"Wie geht Österreich mit der Geschichte um, was bedeutet das für Konstruktionen von Geschichte für Einzelpersonen oder Familien? Wie sieht es mit Narrationen im öffentlichen Raum, etwa in Museen aus?", fragt die Kunstvermittlerin und Historikerin Karin Schneider. "Ausgehend von diesem Interesse schärfen sich Fragestellungen", so Schneider weiter. Das passiere vor allem dadurch, wie Leute auf einschlägige künstlerische Texte, Bilder oder Videoprojekte reagieren. Die Projektpraxis selbst entwickle also die Forschungsobjekte, die Fragen und Methoden zu deren Beantwortung ständig weiter.
"Über bestimmte Dinge wird ständig nicht gesprochen"
Im Projektantrag zum ersten von mittlerweile zwei Projektteilen habe man sich noch stark damit beschäftigt, wie Kunst mit Trauma, also vor allem der Auseinandersetzung mit dem Holocaust umgeht. Im Laufe der Zeit sei aber die Perspektive der österreichischen Gesellschaft immer weiter ins Zentrum der Betrachtung gewandert. Gleichzeitig habe sich der zeitliche Horizont erweitert, denn "wenn wir über den Nationalsozialismus und die Nicht-Auseinandersetzung in dem Kontext reden, dann auch in Bezug auf das, was davor und danach war", so Schneider. Denn: "Über bestimmte Dinge wird ständig nicht gesprochen."
Eine Form der Herangehensweise war die Verschränkung von Bildern des Fotokünstlers Tal Adler von teilweise berühmten Stätten, wie dem Wiener Riesenrad, mit Texten, die historische Hintergründe aufzeigen. Darüber, dass das Wiener Wahrzeichen nach dem "Anschluss" "arisiert" wurde, ist relativ wenig bekannt. Adlers Bild, das im Vordergrund eine Wasserwaage zeigt, die aus dem Lot ist, symbolisiert diese Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung und Aufarbeitung. Dieses und ähnliche Beispiele fassten die künstlerischen Forscher zu einem Stadtführer zusammen, der über andere Hintergründe Auskunft gibt, als das ein handelsüblicher Wien-Führer tun würde.
Abseits der "offiziellen Geschichte"
Auch "kleine, marginalisierte Museen und deren Art, wie sie mit großer Geschichte umgehen", wie der "ErinnerungsBunker" des Bezirksmuseums Alsergrund oder das Bezirksmuseum Wieden, finden sich im Büchlein wieder. Dort werde Geschichte oft etwas anders erzählt, als "die Geschichte, die offiziell erzählt wird", hält Schneider fest.
Wichtig sei aber, dass nicht die Fotos und der Text zusammen eine monolithische Einheit bilden - ein Charakteristikum von künstlerischer Forschung, die versucht mehr zu sein als eine reine Addition von historischer Recherche und bildhafter Darstellung. "Text und Bild bilden gemeinsam die künstlerische Arbeit, aber dann gibt es im Bild noch eine Geschichte, die nochmal eine andere ist", so die Künstlerin. Das Bild sollte also mehr sein als der Stolperstein, der den Betrachter zur historischen Auseinandersetzung im Text und zu den in der Ausstellung zusätzlich angebotenen Boxen mit weiterführendem Recherchematerial führt.
Datensammlung als künstlerischer Akt
Genau wie in der wissenschaftlichen Forschung schaffe auch die künstlerische Forschung Daten. "Im Künstlerischen wird dieser Prozess aber bewusst als Akt gesetzt", erklärte der ebenfalls federführend an dem Projekt beteiligte Dokumentarfilmer und Medienkünstler Friedeman Derschmidt. Er hat im Rahmen von "MemScreen" den Dokumentarfilm "Das Phantom der Erinnerung" gedreht, in dessen Mittelpunkt die 2011 verstorbene israelische Schriftstellerin Ilana Shmueli und ihre Erinnerungen an den Holocaust stehen.
Sie war der Meinung, "wir können jetzt nicht noch einen Holocaustfilm machen, wo jemand sein Schicksal erzählt, sondern es geht eigentlich um die Frage, wie funktioniert erinnern? Ihr Thema ist: Kann sie selbst an ihre Erinnerung überhaupt noch rankommen?", so Derschmidt über die Dreharbeiten in Jerusalem. Gemeinsam entwickelten sie Spiele, mit denen sie Versuche starteten, die üblichen Wege über die Erinnerungen abgerufen werden, zu hinterlaufen, wie es der Filmemacher ausdrückte. Man habe etwa mit Hilfe eines israelischen Polizeizeichners versucht, das Gesicht eines Menschen zu rekonstruieren, den Shmueli im Jahr 1941 nur etwa drei Stunden lang gesehen hatte. "Der fragt ganz anders als ich. Der ist teilweise brutal und führt sie mit psychologischen Methoden an den Ort zurück", erklärte Derschmidt.
Aus künstlerisch-forschender Perspektive gehe es also darum, wie sich das Historische zum Erinnerten verhalte und wann Erinnerung in einem kreativen Prozess zur Erzählung werde. Dabei komme es zur Auseinandersetzung mit Grundfragen der Aufzeichnung von "Oral History". Unter welchen Umständen Zeitzeugen-Interviews eigentlich aufgezeichnet wurden, und welche Rolle der Interviewer spielte, fand laut Derschmidt in der Forschung bisher nämlich weniger Beachtung.
Service: Das Projekt im Internet: http://memscreen.info/.