Die Kunst des Forschens
Nicht erst der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger hat vorgezeigt, dass Kunst und Wissenschaft gemeinsame Schnittmengen besitzen, als er im Vorjahr bei der weltweit wichtigsten Kunstausstellung "documenta 13" in Kassel seine Experimente präsentierte. Galerist John Sailer begründete sein Engagement im Gespräch mit der APA "mit der Neugierde über mögliche Ähnlichkeiten und Affinitäten zwischen Kunst und Wissenschaft". Beide würden sich "mit noch unbekannten Entwicklungen, mit der Unsicherheit, über das was herauskommt" beschäftigen.
Diese Neugier kann bei dem, was gemeinhin unter künstlerischer Forschung bzw. "Artistic Research" verstanden wird, wohl nur als Initialzündung verstanden werden. Arts-based Research ist als ästhetische Grundlagenforschung zu verstehen, heißt es etwa in der Präambel zum Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (PEEK) des FWF (siehe dazu auch "PEEK: Künstlerische Forschung als 'dritter Weg'"). Gemeint ist der "Erkenntnisgewinn und die Methodenentwicklung mittels ästhetischer und künstlerischer im Unterschied zu rein wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen". Prinzipiell unterscheide sich Arts-based Research von Wissenschaftsdisziplinen wie z.B. Literaturkritik, Literaturgeschichte, Kunstgeschichte und Musikologie, wird betont.
Im Gegensatz zur künstlerischen Produktion, deren Ergebnisse nicht zwingend den Anspruch von Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit erfüllen könnten, könne künstlerische Grundlagenforschung sehr wohl hinsichtlich ihrer Inhalte, Methoden und Ziele beurteilt werden, so das Programmdokument.
Wechselseitige Inspiration
Potenzielle Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft gibt es seit jeher. Nicht nur haben sich in den Kunst- und Kulturwissenschaften eigene Fachbereiche etabliert, die verschiedene Spielarten der Kunst zu ihrem ureigensten Forschungsobjekt haben, auch wird schon lange versucht, mit naturwissenschaftlich-technischen Methoden beispielsweise zu entschlüsseln, was sich im Gehirn tut, wenn sich Menschen mit Kunst auseinandersetzen.
Auf der anderen Seite ließen sich Kunstschaffende immer wieder durch naturwissenschaftlich-technische Fortschritte und Erkenntnisse oder psychologisch-philosophisch bzw. soziologisch geprägte Gedankenwelten und Theorien in ihrer Arbeit inspirieren. Trotzdem blieb es meist dabei, dass Künstler, wie auch Wissenschafter von ihrer jeweiligen Warte aus zwar interessiert, aber auch distanziert und mit der ihnen jeweils eigenen Methodik und ihren unterschiedlichen Werte- und Gedankengebäuden im Hintergrund, auf das andere Gebiet schauten.
Im Gegensatz dazu arbeiten Protagonisten dessen, was in den vergangenen Jahren unter den Begriffen "künstlerische Forschung", "Artistic Research" oder "Arts-based Research" subsumiert wird - an einer Verbindung der beiden Welten, die darüber hinausgehen soll, was eine reine Zusammenarbeit zwischen Forschung und Kunst bzw. ein Blick auf oder eine Interpretation des jeweils anderen leisten könnte. Die Forschungsprojekte aus den unterschiedlichsten Sparten entwickeln jeweils eigene künstlerische Methoden anhand derer Forschungsfragen gestellt und aufgegriffen werden können.
Neue Disziplin ohne Gesamtdefinition
Eine Gesamtdefinition dafür, was künstlerische Forschung bedeuten kann und soll gibt es nicht. "Die gibt es aber für keine Disziplin", erklärt die Vizerektorin für Kunst und Forschung der Akademie der bildenden Künste Wien, Andrea B. Braidt, im Gespräch mit APA-Science. Selbst eine Bestimmung der Mathematik, die alle zufriedenstellt, werde man nicht so schnell finden, so die Literatur-, Film- und Kulturwissenschafterin. "Insofern ist es wichtig zu sehen, dass künstlerische Forschung eine neue Disziplin ist."
In Österreich gebe es im Gegensatz zu skandinavischen Ländern noch keine langjährige Tradition. Als Impulsgeber fungiert in Österreich der für die Förderung der Grundlagenforschung zuständige Wissenschaftsfonds FWF. Die Etablierung des PEEK-Programms 2009 markierte so etwas wie einen Startschuss. In den Programmunterlagen dazu finde sich laut Braidt jedenfalls das, was einer Skizzierung des Feldes am nächsten komme. Das Selbstverständnis charakterisiere sich in etwa so: "Künstlerische Forschung ist die Beantwortung von Forschungsfragen durch künstlerische Mittel, und unterscheidet sich somit von Forschung über Kunst - das wäre die Kunstwissenschaft oder die Kunstgeschichte -, oder aber auch von Kunst über Forschung", so Braidt.
"Research" im künstlerischen Kontext
Unter künstlerischer Forschung jedoch jede künstlerische Praxis zusammenzufassen, die danach strebt, nicht nur etwas auszudrücken, sondern auch etwas herauszufinden oder jegliches künstlerisches Tun, das auf Forschung im weitesten Sinne oder einer mehr oder weniger wissenschaftlichen Recherche - beides im Englischen durch den Begriff "Research" abgedeckt - beruht, greife zu kurz. Vor allem, da "Research" im künstlerischen Kontext auch ganz andere Bedeutungen haben kann: "Im Tanz heißt Research zum Beispiel, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen und das ist doch etwas sehr anderes als sich in eine Bibliothek zu setzen und Artikel zu durchforsten und Zitate zu exzerpieren", erklärt Braidt.
Einer der Gründe, warum das Thema in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebe, sei die universitäre Institutionalisierung der Kunstakademien. Neben den traditionellen Wissenschaftsdisziplinen wie etwa Naturwissenschaften und Kunst- und Kulturwissenschaften hat sich hier die künstlerische Forschung etabliert. "Es gibt auch jene künstlerischen Praktiker, die mit ihrer künstlerischen Arbeit forschen und sehr stark von einem Erkenntnisinteresse geleitet sind", betont die Wissenschafterin. Die zeitgenössische Kunst sei zudem in den vergangenen 15 Jahren sehr stark durch Künstlerinnen und Künstler geprägt, "die die theoretische Auseinandersetzung wollen und eine künstlerische Praxis haben, die man mit 'künstlerischer Forschung' beschreiben könnte".
Dabei handle es sich generell um "Grundlagenforschung im Sinne von 'Blue Sky Research' - also eine Forschung, die sich darüber definiert, dass im Forschungsprozess auch die Methode gefunden und definiert wird". In diesem Prozess müsse selbstverständlich, wie bei jeder wissenschaftlichen Forschung, explizit über Theorie, Methoden und mögliche Wege zu neuen Methoden Auskunft gegeben werden.
Einzigartiges Programm
Das beginne im PEEK-Programm bereits bei der Antragstellung. Das Programm sei in Europa durchaus einzigartig, wie Braidt festhält. Daneben hat zwar auch der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) bereits einschlägige Calls ausgeschrieben, darüber hinaus gebe es in Österreich aber keine Förderschienen. "Wie das dann im Zusammenhang mit Horizion 2020 (dem neuen EU-Forschungsförderungsprogramm; Anm.) aussieht, wird sich weisen. Wir haben auch auf europäischer Ebene sehr stark lobbyiert, um Awareness in den diversen Programmabteilungen zu schaffen", erklärt die Vizerektorin.
Der auf gesamteuropäischer Ebene für Grundlagenforschung zuständige Europäische Forschungsrat (ERC) habe bisher erst einen belgischen Forscher aus diesem Bereich bei der Vergabe seiner hochdotierten Förderungen berücksichtigt. "Das ist schon ein wenig 'groundbreaking', also dass man nun auch anfängt, das in den ganz großen Förderschienen wahrzunehmen", so Braidt.
Einer der Gründe, warum künstlerische Forschung dort bisher keinen Fuß in die Tür bringen konnte, liege auch darin, dass Künstler andere Lebensläufe als Wissenschafter haben. "Zum Beispiel zählen Ausstellungen nicht als Publikationen, und wenn Künstlerinnen und Künstler Publikationen haben, sind das Schriften, die andere über ihre Arbeit verfasst haben. Ganz oft scheitert es auch an akademischen Graden, die Voraussetzung sind." Um als Künstler ein Doktorat im Bereich der künstlerischen Forschung zu erlangen, gebe es bisher noch kaum Möglichkeiten.
"PhD in practice"
Die Akademie der bildenden Künste ist hier mit dem vor vier Jahren gestarteten "PhD in practice" - einem eigenen Doktoratsstudium im Bereich forschungsbasierter bildender Kunst - eine der Vorreiterinstitutionen in Europa. Alljährlich bewerben sich über 200 Studenten aus aller Welt, so die Vizerektorin. Das Interesse und der Bedarf sei sehr groß, vor allem seitens Studierender mit künstlerischem Ausbildungshintergrund.
Klar sei, dass eine reine Orientierung an in der Wissenschaft üblichen Mechanismen wie etwa die Vergabe von Fördergeldern, nicht zum Ziel führen wird. "Ich glaube, es ist wichtig, hier Normen zu entwickeln, die entsprechen", so Braidt. Das Peer-Review-System, nach dem in den verschiedenen Wissenschaftsfeldern die Qualität von Anträgen beurteilt wird, sei sicher auch für die Normen-Entwicklung in der künstlerischen Forschung richtungsweisend. Nicht vergessen dürfe man, dass für Künstler das Verfassen von Projektanträgen oft eine große Herausforderung darstellt, da es in vielen Bereichen nicht üblich sei, "sprachbasierend zu argumentieren. Es geht bei der Forschungsfinanzierung aber um die Verteilung von Ressourcen, und diese Entscheidungen muss man auf Grund einer vergleichbaren Basis treffen", wie es Braidt ausdrückt.
Die in vielen Kunstbereichen übliche Vorgehensweise, ein Portfolio mit künstlerischen Arbeiten für sich sprechen zu lassen und damit vor eine Jury zu treten, könne diesem Anspruch nicht gerecht werden. Das Künstler in Rahmen des Peer-Review-Prozesses, den der FWF beim PEEK-Programm etabliert hat, nun Gutachten, die sich intensiv mit dem Vorhaben auseinandersetzen, zurückbekommen, sei für die Antragsteller neu und positiv - weil transparenter, als die übliche Praxis. "In der Praxis der Mittelvergabe in der Kunst ist es nämlich oft gang und gäbe, dass es einfach nur ja oder nein heißt und es kaum Jurybegründungen oder gar Gutachten im Falle von Ablehnungen gibt", erklärt Braidt.
"Out of the Box"
Feedback für die künstlerisch forschende Szene gibt es aber nicht nur in geschlossenen Foren, über Gutachten und Evaluierungen. Bei der Ausstellung "Out of the Box. 10 Fragen an künstlerische Forschung" wurden zehn über PEEK geförderte Projekte der Universität für angewandte Kunst im Museum für Angewandte Kunst (MAK) der Öffentlichkeit präsentiert. Dabei hat sich etwa das "Quantum Cinema" eine Art "Unfassbares visualisieren" vorgenommen, mit dem Theorien der Quantenphysik durch digitale Geometrie in 3D-Animation anschaulich gemacht werden sollen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Die Resonanz auf die Ausstellung (29. November bis 5. Jänner) war "sehr erfreulich" und mit großem Interesse der Besucher verbunden, die künstlerische Forschung kennenzulernen, erklärte der Leiter des Bereichs Support Kunst und Forschung an der Angewandten und Mitorganisator, Alexander Damianisch, gegenüber APA-Science. "Solche Foren werden wir auch weiterentwickeln und zusehen, dass die Zugangshürden maximal gering sind, damit man wirklich sieht da geht es um spannende Dinge, die sich auch kommunizieren lassen - was auch eine Kernbeschreibbarkeit von Kunst ist, der Austausch."
Universitätsgesetz als Startsignal
Als ein Startsignal für das Wachstum der künstlerischen Forschung in Österreich gilt das Universitätsgesetz (UG) 2002, im dem die "Entwicklung und Erschließung der Künste" sowie die "Verbindung von Wissenschaft und Kunst" in den leitenden Grundsätzen explizit festgeschrieben sind.
Die Entwicklung des Bereichs reiche natürlich viel weiter zurück als ungefähr zehn Jahre, je nachdem, "ab wann man das Wasserzeichen der künstlerischen Forschung in der künstlerischen oder sonstigen forschenden Praxis erkennen möchte". Ein berühmtes Beispiel dafür sei etwa der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud, der von seinem stark an diesem Thema interessierten literarischen Zeitgenossen Arthur Schnitzler auch als seinem "Doppelgänger" geschrieben habe, so der promovierte Literaturwissenschafter Damianisch.
Diskussionen und Kritik, die in der Vergangenheit oft aus etablierteren Positionen des Kunst- und Wissenschaftsbetriebes gekommen sind, haben der künstlerischen Forschung jedenfalls nicht geschadet, findet Damianisch, der vor seiner Zeit an der Angewandten auch das PEEK-Programm geleitet hat und so die Szene schon seit vielen Jahren kennt. Gerade die Kritik an gescheiterten Projekten habe dazu geführt, "dass die Beteiligten sich plötzlich intensiv als Gemeinschaft wahrgenommen haben, obwohl sie schon vorher quasi Tür an Tür gearbeitet haben". Das sei auch ein weiterer Beleg dafür, dass die Entwicklung dieser Community nicht erfunden wurde oder Top-Down passiert, sondern Bottom-Up entstanden ist.
Von Nikolaus Täuber und Mario Wasserfaller / APA-Science