Experten: Patentschutz bei Covid-Impfstoffen lockern
Die öffentliche Hand habe den Großteil der Covid-19 Impfstoff Forschung gezahlt, um die Seren dann teuer zu kaufen und zu warten, bis die Privatfirmen genug davon liefern können, kritisierten Experten kürzlich vor Journalisten. Sie forderten, dass der Patentschutz in Krisen wie der Covid-19 Pandemie gelockert wird und die Impfstoffe weltweit gerechter verteilt werden. Damit könne man die globalen Todeszahlen durch das Coronavirus halbieren.
"Die Covid-19 Krise führt uns vor Augen, welche gravierenden Systemfehler wir über die vergangenen Jahrzehnte zugelassen haben", sagte Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) in einem von "Diskurs - das Wissenschaftsnetz" veranstaltetem Online-Pressegespräch. Noch nie in der Geschichte habe die öffentliche Hand so viel Geld in so kurzer Zeit in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gesteckt. Bei einer internationalen "Geber-Konferenz" im Mai 2020 kamen von 50 spendablen Ländern 7,6 Milliarden Euro zusammen. Österreich sagte dabei 31 Millionen zu.
Von diesem Geld bekamen unter anderem die Hersteller der aktuell in der EU zugelassenen SARS-CoV-2 Impfstoffe AstraZeneca 7,6 Milliarden, Pfizer-BioNtech 420 Millionen und Moderna 680 Millionen, berichtete Wild. Der US-Hersteller Johnson & Johnson, der über eine Tochterfirma am 15. Februar einen Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur stellte, wurde mit 700 Millionen gesponsert.
Risiken für Hersteller vorab minimiert
Zusätzlich minimierten Kaufvereinbarungen vorab, als noch niemand wusste, wie gut die Impfstoffe wirken können, die Risiken für die Hersteller, so die Sozialmedizinerin. Außerdem sein in den Jahrzehnten zuvor nicht bestimmbare Summen in die Grundlagenforschung eingeflossen, auf die jene Firmen aufbauen konnten. Insgesamt stammen laut Studien zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsgelder aus öffentlicher Hand. Der Gewinn sei aber fast ausschließlich privatisiert. Wenn Probleme auftreten, wie die aktuellen Lieferengpässe bei den Herstellern, schade dies vor allem der Öffentlichkeit.
Es gäbe eine Reihe von Forderungen, wie man die Situation für die Bevölkerung verbessern könnte, und sie werden unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie NGOs (Nichtregierungsorganisationen) wie Ärzte ohne Grenzen und die europäische Konsumentenorganisation (BEUC) unterstützt, erklärte Wild.
Patentschutz flexibilisieren
Es wäre zum Beispiel möglich, bei Lieferengpässen und in Notfallsituationen wie der Pandemie den Patentschutz zu "flexibilisieren". Laut dem internationalen "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS-Abkommen) wären "Zwangslizenzierungen" auch für patentgeschützte Medikamente zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gangbar. Das bedeutet, dass ein anderer Hersteller das Produkt zu festgelegten Lizenzgebühren an den Patenthalter herstellen kann. "Einige Länder wie Deutschland und Kanada haben bereits Maßnahmen gesetzt, um dies zu erleichtern", so Wild.
Indien und Südafrika fordern ausdrücklich eine temporäre Aufhebung der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS Waiver) an SARS-CoV-2 Vakzinen, sagte Werner Raza von der österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Dies würde aber am Widerstand einkommenstarker Länder aus der EU und der USA scheitern. "Die Politik darf jetzt aber keine Zeit mehr verlieren, Patente aufzuheben, und Impfstoffproduzenten zu Technologietransfer zu bewegen, zumal die Entwicklung mit Milliardenbeträgen gefördert wurde", erklärte er. Jeder Tag Verzögerung brächte mehr Tote und ein erhöhtes Risiko für Mutationen beim Virus.
"Patentpool" ohne führende Produzenten
Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war ursprünglich geplant, dass die Hersteller ihr Wissen teilen, sie richtete dafür einen "Patentpool" (Covid-19 technology access pool, C-TAP) ein. "Das funktioniert aber nicht, denn die führenden Impfstoffproduzenten machen dort nicht mit, und teilen ihr Wissen nicht, obwohl sie die Impfstoffe mit hohen öffentlichen Förderungen entwickelt haben", sagte Raza. Die EU sollte daher die Schwellenländer beim "TRIPS Waiver" Antrag unterstützen, meint er.
Raza kritisierte auch, dass die reichen Industrieländer das Beschaffungskonsortium für Impfstoffe der WHO (COVAX Initiative) ausgebremst haben und sich einen Großteil der Impfstoffe sicherten, nämlich 70 Prozent der in den Jahren 2020 und 2021 verfügbaren Dosen. "Damit die COVAX Initiative beim Beschaffungswettkampf auch eine Chance hat, müssten die Regierungen die Gelder aufstocken", sagte er. Hier sei auch Österreich gefordert, das sich bisher lediglich 2,4 Millionen Euro beteiligte, und damit bei der Spendefreudigkeit im unteren Drittel der EU Länder liegt. "Damit wäre eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe möglich, was die globalen Todeszahlen laut einer aktuellen Studie halbieren könnte", sagte er.
Schramböck: "Null Verständnis" für Vorgehen der EMA
Unterdessen hat Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) "null Verständnis" für die Vorgehensweise der Europäischen Arzneimittelagentur EMA anlässlich der Zulassungsbeantragung des US-Herstellers Johnson & Johnson für seinen Impfstoff geäußert. "Dass eine Entscheidung über die Zulassung eines Impfstoffs ein Monat dauert, ist in der jetzigen Situation viel zu schleppend. Das muss schneller gehen", so die Ministerin. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) schloss sich dem nicht an.
Der zuständige Ressortchef sieht es als Vorteil, dass man in Europa mit der EMA eine strenge Kontrollbehörde gebe. So könne man sich darauf verlassen, dass jeder zugelassene Impfstoff ein ausgezeichneter sei. Johnson & Johnson sieht Anschober als absoluten Hoffnungsfaktor und er ist auch sicher, dass dieser in wenigen Wochen in Österreich zugelassen ist. Eine Lanze brach der Minister auch einmal mehr für AstraZeneca. Angesichts der Skepsis diesem Impfstoff gegenüber erinnerte er daran, wie viele sich noch im Dezember nicht mit Biontech-Pfizer impfen lassen wollten, weil da eine neue Technologie zum Einsatz kommt.
Deutlich weniger zufrieden mit der aktuellen Situation ist Schramböck. Im Vergleich zu den USA und Großbritannien agiere die EU wie eine "Lame Duck" ("lahme Ente"): "Das hat sich einerseits bei der Impfstoffbeschaffung gezeigt und andererseits durch zu langsame Zulassungen durch die EMA. Es ist jetzt nicht die Zeit für Bürokratie, Umständlichkeit und null Flexibilität. Im Kampf gegen die Pandemie zählt jeder Tag. Und jeden Tag, den wir durch bürokratische Prozesse verlieren, kostet Menschenleben und lässt uns wirtschaftlich weiter zurückfallen", so Schramböck.