Sehnsuchtsort Mond
50 Jahre sind bekanntlich vergangen, seitdem erstmals ein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt hat. Die bisher letzte bemannte Mond-Mission liegt auch schon über 46 Jahre zurück. Am 11. Dezember 1972 betraten Eugene Cernan und Harrison Schmitt für drei Tage den Erdtrabanten. Insgesamt waren zwischen 1969 und 1972 zwölf Menschen auf dem Mond. Mittlerweile mehren sich aber die Anzeichen, dass bald wieder Menschen zum Mond fliegen könnten.
Es war dramaturgisch perfekt inszeniert. "Houston, hier ist Tranquillity Base. Der Adler ist gelandet". Es war 21.17 Uhr laut Mitteleuropäischer Zeit, der 20. Juli 1969. Der Astronaut Neil Armstrong hatte in diesem Moment die Landefähre "Eagle" im "Meer der Ruhe" gelandet. Millionen Menschen rund um den Globus verfolgten das Ereignis live im Fernsehen. Von der "Erfüllung eines Menschheitstraums" war die Rede, vom "Beginn eines neuen Zeitalters". Kein Vergleich war zu groß.
Mehr als sechs Stunden später gingen Armstrongs "historische Worte" um den Erdball: "That's one small step for man, one giant leap for mankind" - Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit. Der Ausstieg war genau getaktet: In Österreich, Deutschland, in ganz Europa war es bereits der 21. Juli, (3.56 Uhr MEZ in Österreich), in den USA "prime time" am Abend des 20. Juli - rechtzeitig zu den Hauptnachrichten setzte Armstrong den ersten Fuß auf den Mond. Die Fahne wurde gehisst, viel Zitierenswertes gesagt, der Feind des Kalten Kriegs, die Sowjetunion, vorgeführt, ein US-amerikanisches Heldenepos geboren. Was blieb aber?
Wissenschaftlicher Wert?
Vordergründig war das Apollo-Programm kein Wissenschaftsprojekt, meinen viele. Vor zehn Jahren, zum 40jährigen Jubiläum, erklärte zum Beispiel Ex-Astronaut William Anders (Apollo 8) - ihm verdankt die Menschheit das weltberühmte Foto "Earthrise" -, Apollo sei "kein wissenschaftliches Programm" gewesen, in Wahrheit habe es sich um eine "Schlacht im Kalten Krieg" gehandelt. "Sicherlich, wir haben ein paar Gesteinsbrocken gesammelt und ein paar Fotos gemacht, aber wäre da nicht dieser Wettlauf mit den Russen gewesen, hätten wir niemals die Unterstützung der Steuerzahler gehabt." Ähnlich äußerte sich damals Edwin "Buzz" Aldrin, bekanntlich der zweite Mann am Mond: "Der Mond ist für eine wirtschaftliche Nutzung nicht aussichtsreich. Ich glaube nicht, dass es für die Amerikaner eine Notwendigkeit ist, dort präsent zu sein."
An der Einschätzung, dass "Apollo" kein wissenschaftliches Programm sei, "ist sicher etwas Wahres dran. Der Impetus des Ganzen war sicher der Kalte Krieg", stimmt Mondexperte Christian Köberl, Generaldirektor des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien, zu. Man müsse den USA aber zugutehalten, dass bei den Mondlandungen immer Wissenschafter involviert gewesen seien. (siehe auch: "Köberl hat 'wahnsinnig viele Fragen zum Mond'"). Die NASA habe ständig wissenschaftliche Experimente dabei gehabt, die könne man nicht nur als Behübschung abtun, da sei sehr viel Arbeit, Geld und Gehirnschmalz hineingeflossen.
Vom Mond für die Erde lernen
Man würde den Missionen Unrecht tun, sie lediglich auf ein politisches Vehikel zu reduzieren, fügt Manuel Güdel, Astrophysiker von der Universität Wien hinzu. Die Forschungsergebnisse hätten die Öffentlichkeit wohl nur wenig fasziniert, die NASA beendete daher auch die dafür zu teuren Apollo-Missionen vorzeitig. "Trotzdem sind die Resultate aus den Apollo-Missionen so aktuell wie je", so Güdel (siehe auch: "Apollo - Ein Fenster zum Ursprung der Erde"). "Erst dank der geologischen Erkundung der sechs Apollo-Landegebiete und des (...) zur Erde gebrachten Mondgesteins beginnen wir, die Entstehungsgeschichte der Erde selber überhaupt zu verstehen", fasst Güdel den wissenschaftlichen Wert des Apollo-Programms zusammen.
Für Gernot Grömer, Direktor des Österreichischen Weltraum Forums (ÖWF) war das Apollo-Programm ebenfalls kein Wissenschaftsprojekt, sondern "das Kondensat von Hochtechnologie und Flaggenpatriotismus in einer Orientierung suchenden Zeit." (siehe auch: "Es tut sich was: Aufbruchsstimmung für die bemannte Raumfahrt"). Der wissenschaftliche und technologische Output war jedoch erklecklich. "Man musste Materialien entwickeln, die es bis dahin noch nicht gegeben hatte: Computer, die damals ganze Räume füllten, für die kleine Mondlandefähre miniaturisieren oder etwa Managementprozesse erfinden, um ein solches Megaprojekt durchzuführen."
NASA-Ingenieurin Kerry McGuire (siehe auch: "Kosmische Kopfschmerzen und andere All-tägliche Probleme") will angesichts des Mondlandungsjubiläums den Fokus auf die Zukunft richten. "Für mich bedeutet es (Anm.: Apollo-Projekt), wie sehr wir als Agentur (Anm.: NASA) gewachsen sind und wie wir uns voranbewegt haben. Wir haben heute mehr Technologie in unserem Smartphone als in den Vehikeln, die uns damals auf den Mond gebracht haben. Es geht jetzt darum, sich daran zu erinnern, wo wir hergekommen sind und wo wir uns weiterentwickeln müssen."
Neuer Schwung Richtung Mond
Ganz ohne politisches und marketingtechnisches Kalkül laufen Mondprojekte immer noch nicht ab, doch spielt es nicht mehr ganz die treibende Rolle wie zur Zeit des Kalten Krieges. Private Initiativen (siehe auch: Private drängen auf den Mond) gewinnen an Bedeutung. Tesla-Gründer Elon Musk will zum Beispiel mit der seiner Firma SpaceX ab 2023 Flüge zum Mond anbieten. Amazon-Chef Jeff Bezos wiederum bietet der NASA an, sie mit Mondautos bei ihren nächsten Mondausflügen zu unterstützen.
Die USA will nämlich wieder Menschen auf den Mond bringen. Das soll innerhalb von fünf Jahren bis 2024 im Rahmen des Artemis-Programms passieren, erklärte kürzlich US-Vize-Präsident Mike Pence. Der NASA-Plan lautete ursprünglich 2028. Druck ist also aufgebaut. US-Präsident Donald Trump will schließlich auch mehr Geld für die NASA. Da reagiert die USA wohl auf Chinas Ankündigung, im nächsten Jahrzehnt - also noch vor 2030 - eine bemannte Mission auf den Mond sowie eine Raumstation auf dem Erdtrabanten zu ermöglichen. (siehe auch: "Erdtrabant gewinnt an Anziehungskraft"). Außerdem punkteten die Chinesen dieses Jahr bereits damit, im Jänner als erstes Land eine Sonde auf die erdabgewandte Seite des Mondes gebracht zu haben.
Wie schwierig es ist, erfolgreich auf dem Mond zu landen, hat sich erst im April gezeigt, als etwa das erste Mondprojekt der israelischen Organisation SpaceIL scheiterte. Es war die erste privat finanzierte Mission dieser Art. Die Sonde "Beresheet" war nach einem technischen Fehler bei der Landung auf dem Erdtrabanten zerschellt. So leicht lassen sich die Israelis, die als vierte Nation - nach den USA, Sowjetunion und China - auf dem Mond landen wollten, aber nicht entmutigen. Die Non-Profit-Organisation kündigte fast umgehend eine zweite Reise zum Mond an.
Termintreue?
Das Ziel, 2024 wieder Menschen auf den Mond zu bringen, wird meist noch skeptisch gesehen. Jan Wörner, Chef der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), sagte kürzlich, selbst wenn Geld keine Rolle spiele, sei nicht mit einer Mondlandung vor 2025 zu rechnen. Zweifelnd merkt Grömer vom ÖWF an: "Was fehlt, ist eine Kostenabschätzung von Artemis, und genau das könnte Programm sein, um den 'Preisetikett-Schock' zu vermeiden." Abgesehen davon dürfte es eine ungemeine Herausforderung werden, dass die Industrie zeitgerecht liefere. Bereits jetzt sei das Space Launch System (SLS), die neue Schwerlastrakete, Jahre hinter dem Zeitplan und deutlich über den ursprünglichen Budgetprognosen, so Grömer.
Auch Barbara Imhof von der Wiener Weltraum-Architekturplattform Liquifer meint, dass bis 2024 die nötigen Technologien, allen voran der Transport, in dieser Zeit und mit den zugeteilten Geldern noch nicht einsatzbereit sein könnten. Zudem würden die Änderungen der Pläne der NASA, die die internationale Zusammenarbeit in dieser Sache stark mitbestimmt, so kurzfristig vor der europäischen Ministerkonferenz im November 2019 eine große Herausforderung für die ESA und ihre Mitgliedstaaten darstellen. Artemis steht für Grömer "auf dünnen Säulen, die stark von den Budgetmittel des US-Kongresses und dem Ausgang der nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahl abhängen."
Rot-weiß-rote Inputs
In Europa wiederum plant zum Beispiel der Raketenbauer ArianeGroup, ein Gemeinschaftsunternehmen des Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus und des französischen Triebwerkherstellers Safran, gemeinsam mit dem deutschen Start-up PTScientists, das seit Ende 2018 auch ein Tochterunternehmen in Salzburg unterhält, eine Mondmission - diese jedoch unbemannt. Auftraggeber ist die ESA. PTScientists wird dabei laut Unternehmensangaben mit dem autonomen Lande- und Navigationsmodul "ALINA" seine Mondlandefähre mit ihrer Nutzlastkapazität von bis zu 300 Kilogramm einbringen.
Das neue Zeitalter der Kommerzialisierung in der Raumfahrtindustrie ist also bereits in vollem Gange, wofür Unternehmen wie SpaceX, Blue Origin, Virgin Orbit, OneWeb oder iSpace stehen. In Österreich ist in diesem Zusammenhang auf einen Schlüssellieferanten für diese "New Space Player" zu verweisen: Die TTTech Computertechnik AG mit ihren echtzeitfähigen Netzwerklösungen. Eine der Anforderungen dabei besteht laut Christian Fidi von TTTech in der Zusammenführung unterschiedlicher Funktionen von Modulen, die für komplexe, bemannte Raumfahrtmissionen (z.B. eine Mondlandung) notwendig sind (siehe auch: "Zum Mond und 'Beyond', und Österreich ist dabei").
Daneben gibt es aber auch noch andere Firmen, wie etwa Enpulsion in Wiener Neustadt, die elektrische Ionen-Antriebe herstellt, welche stark vom neuen "Explorations-Zeitalter" profitieren werden. Oder auch die RUAG Space Austria, die jüngst einen Auftrag für Ariane 6 bekommen hat.
"Alte Hasen" im Raumfahrtgeschäft sind die Experten von Magna Aerospace Steyr. Sämtlich Raketen von Ariane 5 sind mit Treibstoffleitungen aus Graz geflogen, Thermal-Jalousien wurden für die - jetzt schon legendäre - Rosetta-Mission geliefert, um nur einen Teil der Aktivitäten des Unternehmens aufzuzählen.
Spannend ist es aber immer noch, erklärt Armin Scheinost, Branch Manager Aerospace Magna Steyr - und komplex. Die Zusammenarbeit mit der Raumfahrtindustrie sei kaum mit der konventionellen zu vergleichen. "Aufwendige Zertifizierungs- und Zulassungsverfahren bei Kunden und bei unabhängigen Stellen sind notwendig, um überhaupt produzieren zu können", so Scheinost. Die äußerst sicherheitsgetriebene Raumfahrt – besonders, wenn es sich um bemannte Missionen handelt - versuche, alle möglichen Fehlerquellen bereits vor der Fertigung des ersten Bauteils auszuschließen und investiert große Anstrengungen in die Prüfung jedes einzelnen Teils.
Allbauten am Mond
Auch die Wiener Liquifer Systems Group, die schon einige Weltraum-Projekte realisiert hat, ist derzeit im Rahmen eines Privatauftrags von Airbus Bremen damit beschäftigt, den Innenraum eines Habitatmoduls so zu gestalten, dass auf engstem Raum vier Astronauten leben und arbeiten können. Dazu gehören laut Unternehmensangaben private Rückzugsmöglichkeiten sowie Bereiche für die Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten, ein kleiner Sportbereich, eine Steuerungskonsole und Raum für wissenschaftliche Experimente.
Mit Mondarchitektur haben sich auch Studenten der Technischen Universität Wien auseinandergesetzt (siehe auch: Wiener Architekturstudenten planen Monddorf). Sie kreierten für ein künftiges Monddorf Elemente wie einen Flughafen, Trainingsgebäude und ein Nahrungsmittellabor. Sie haben ihre Entwürfe kürzlich in einer Broschüre vorgestellt.
Der Einfluss des Mondes
Die Mondlandung 1969 hat die Zeitgenossen massiv beeindruckt und so manche Lebens- und Berufsentscheidung beeinflusst. Für Peter Nidetzky und Hugo Portisch, die damals mit drei weitern Kollegen Armstrongs entscheidenden Schritt für den ORF kommentierten und moderierten, ist es immer noch, als wäre es erst gestern gewesen (siehe auch: "Portisch: 'Ein Durchbruch der Menschheit'"). Sie kommen noch 50 Jahre später ins Schwärmen.
Auch für NHM-Chef Christian Köberl war es lebensverändernd: "Die Mondlandung und die vielen anderen Raummissionen Anfang der 1970er-Jahre haben natürlich Spuren hinterlassen und meine Karriere geprägt bzw. in eine gewisse Richtung gelenkt." In den späten 1980er-Jahren war er zum Beispiel als Gastwissenschafter am Lunar and Planetary Institute der NASA in Houston. Dabei habe er viele Leute kennengelernt, die bei diesen frühen Forschungen an Mondgesteinen dabei waren. "Das prägt natürlich - die Verbindung zum Mond war immer da."
Vom Bergbauernhof zur ESA
Josef Aschbacher, Direktor für den Bereich Erdbeobachtung bei der ESA, hat als Siebenjähriger auf dem elterlichen Bergbauernhof in Ellmau in Tirol die Mondlandung erlebt: "Ich kann mich gut erinnern, es war sehr aufregend." Das damals in ihm geweckte Interesse hat ihn bis zur ESA geführt – ein Traum wurde wahr (siehe auch: "'Hängen blieb der Schritt von der Leiter' - Wissenschafter erinnern sich").
Direkt in den USA selbst verfolgte Siegfried J. Bauer, langjähriger Ordinarius für Meteorologie und Geophysik an der Universität Graz, die Mondlandung. Der damals 39-Jährige war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Abteilung für Ionosphärenforschung und Radiophysik am NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt: "Es war bewegend und eine Leistung von Weltbedeutung."
Der ehemalige Geschäftsführer der Austrian Space Agency (ASA), Johannes Ortner, war zum Zeitpunkt der Mondlandung bei der ESRO (European Space Research Organisation), dem Vorgänger der ESA, für die Planung des europäischen wissenschaftlichen Weltraumprogramms verantwortlich: "Es war schon sehr eindrucksvoll. Es war nicht vorauszusehen, dass alles so perfekt funktioniert. Selbst für Leute, die sich mit dem Weltraum beschäftigt haben, war es eine Sensation, dass so etwas überhaupt funktioniert."
Von Hermann Mörwald / APA-Science