Wem gehört das Erdgas?
Neben Vorkommen in den USA und China liegt ein Großteil der weltweiten Gasreserven im Nahen Osten, etwa in Iran, Katar, Turkmenistan und ganz besonders in Russland, das mit über 37 Billionen Kubikmetern die mit Abstand größten Reserven hat – und diese in großem Stil exportiert. Österreich deckt etwa 22 Prozent (jährlich 89 Terawattstunden TWh) des Energieverbrauchs mit Erdgas. Knapp zehn Prozent kommen aus dem Inland, der Rest wird importiert und kommt zu 80 Prozent aus Russland. Das ist ein sehr hoher Prozentsatz, der EU-Schnitt für russische Gasimporte liegt bei 40 Prozent.
„Wir haben über die vergangenen 50 Jahre eine infrastrukturelle Abhängigkeit von Russland auf dem Erdgassektor geschaffen“, betont Franz Angerer, Geschäftsführer der Austrian Energy Agency AEA. Eine Analyse der Energieagentur ergab, dass es frühestens 2027 möglich sein werde, ohne russisches Erdgas auszukommen – „und in dieser Rechnung bleiben Unwägbarkeiten“, räumt Angerer im Beitrag „Russisches Gas noch bis mindestens 2027 ein Faktor“ ein.
Diese Abhängigkeit kommt Österreich, das 1968 als erstes westeuropäisches Land einen Gas-Liefervertrag mit der damaligen Sowjetunion unterzeichnete, nun teuer zu stehen.
Gas aus, alles aus?
Ein Ausstieg aus dem Erdgas ist aber nicht nur in Hinblick auf die Abhängigkeit von Russland wünschenswert, sondern auch mit Blick auf die Klimakrise, denn Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, ist ein Treibhausgas und 25 bis 30 Mal so klimawirksam wie CO2. Der Krieg in der Ukraine hat die Dringlichkeit der Thematik vor Augen geführt – und macht durch die gestiegenen Erdgaspreise die bisher im Vergleich teureren erneuerbaren Energien plötzlich konkurrenzfähig.
Wunder Wasserstoff?
Während die EU Klimaneutralität bis 2050 anstrebt, will Österreich bereits zehn Jahre vorher klimaneutral sein. „Österreich kann also nicht auf Lösungen anderer warten. Das ist schwierig, kann aber eine Chance sein, international mit Innovationen zu punkten“, meint Andreas Indinger von der AEA im Beitrag „Wasserstoff wird hochgefahren„.
Aktuell baut die österreichische Energieversorgung zu zwei Dritteln auf dem Import fossiler Energieträger aus dem Ausland auf. Laut Einschätzungen der AEA wird Österreich auch bis zur geplanten Klimaneutralität und darüber hinaus ein Netto-Energieimporteur sein, dann aber vor allem durch die Einfuhr von grünem Wasserstoff oder erneuerbarem Gas. Ist also Wasserstoff der Retter in der Not? Kurzfristig, so die Experten, könne er wenig dazu beitragen, durch die Energiekrise werde aber immerhin vielleicht der Aufbau einer Wasserstoffindustrie beschleunigt.
So sollen etwa über das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz künftig Produktionsanlagen für Grünen Wasserstoff mit 40 Millionen Euro pro Jahr gefördert werden, erklärte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler am 2. Juni im Rahmen einer Pressekonferenz zur Österreichischen Wasserstoffstrategie. Bis 2030 soll in Österreich eine Produktion von 4 TWh grünem Wasserstoff pro Jahr entstehen – klingt nicht nach viel, man muss jedoch bedenken: Wasserstoff ist ein knappes Gut und wird deshalb am besten gezielt eingesetzt, nämlich in der Industrie, wo die hohen Temperaturen, die H2 liefert, am dringendsten benötigt werden. Deshalb ist geplant, bis 2030 in diesen Bereichen 80 Prozent des heute aus fossilem Erdgas hergestellten Wasserstoffes durch grünen Wasserstoff zu ersetzen – einerseits durch den Ausbau eigener Produktionsanlagen, andererseits durch internationale Partnerschaften. Wichtig sei hier, nicht in eine Abhängigkeit wie aktuell beim Erdgas zu geraten, betont Gewessler: „Wir sehen jetzt gerade, was Abhängigkeit von einem einzelnen Anlieferer bedeutet, das darf uns bei Wasserstoff nicht passieren.“
Biomasse und Biogas statt Erdgas?
Eine weitere, schnellere Option wäre die Verwendung von Biomasse. Laut Richard Zweiler, Geschäftsführer von Güssing Energy Technologies, könne man „den gesamten Endenergieverbrauch, den wir derzeit durch Kohle, Öl oder Gas bereitstellen, durch unsere eigenen, sauberen Ressourcen ersetzen“, wie er im Gastbeitrag „Durch Bioenergie kann mittelfristig ein Ausstieg aus fossilen Energieträgern erfolgen“ erläutert. Ein Gas-Ausstieg ließe sich durch die Verwendung von 27 Millionen Festmeter Waldhackgut ermöglichen, malt Zweiler eine Zukunft, in der wir bis 2035 frei von russischen Diktatoren und außerdem noch Weltmarktführer bei erneuerbaren Technologien sein könnten.
Österreich habe Hochrechnungen zufolge ein Potenzial von bis zu 150 Millionen Festmeter Waldhackgut für die nächsten 15 Jahre, das sollte also kein Problem sein – wären da nicht diverse Hürden. „Als ein kleines Beispiel dafür kann die Einstufung des Brennstoffes in Abfall, oder biogenen Brennstoff genannt werden. Durch eine Reformierung des Abfallwirtschaftsgesetzes könnten zum Beispiel zusätzliche Brennstoffe erschlossen werden“, zweifelt Zweiler einen raschen Umstieg auf Biomasse an.
Möglich wäre auch die Verwendung von Biogas statt Erdgas – also durch Vergärung von Biomasse entstehendes Gas, quasi ein Abfallprodukt der Mikroben, die organische Substanzen wie Bioabfall, Speisereste, Gülle oder Gras abbauen. Bei der Verwertung werden nur jene Kohlenstoffmengen freigesetzt, die von der Biomasse zuvor aus der Atmosphäre gebunden wurden; wenn man von Herstellung, Transport und Co. absieht, ist es also klimaneutral.
Doch für Biogas gebe es in Österreich keine direkte Förderung, erklärt Stefan Malaschofsky, Geschäftsführer der Biogasanlage Energieversorgung Margarethen am Moos, im Beitrag „Die Bio-Alternativen zu Erdgas„. Der Krieg in der Ukraine könne nun für ein Umdenken sorgen, hofft der Experte, und auch die Preise für Erdgas stiegen dadurch auf ein ähnliches Niveau wie jenes von Biomethan.
Des Pudels warmer Kern
Ist also vielleicht Erdwärme die Lösung? Die im Untergrund gespeicherte Wärme ist ein Überbleibsel aus der Geburtsstunde der Erde, die bei ihrer Entstehung glutflüssig war. „Geothermie ist das Schweizer Messer unter den Energieformen“, ist Edith Haslinger vom AIT Austrian Institute of Technology vom Potenzial der Erdwärme für Heizen, Kühlen, Stromgewinnung und Wärmespeicherung überzeugt. Nutzung und Potenzial der Energieform liegen aber weit auseinander, die tiefer in der Erde liegende Wärme ist noch zu über 85 Prozent ungenutzt. Auch die Geophysikerin Maria-Theresia Apoloner von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) glaubt an Geothermie als Baustein für den künftigen Energiemix, sieht aber noch viele offene Forschungsfragen und Verbesserungspotenzial (Mehr über das „Schweizer Messer“ Geothermie lesen Sie hier).
Statt auf Wärme aus der Erde könnte man auf Abwärmenutzung aus Abwasser setzen, so Joachim Kelz, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Nachhaltige Technologien AEE. Im Gastbeitrag „Abwasser als zukünftige erneuerbare Energiequelle für die Dekarbonisierung der Energie- und Wärmeversorgung“ skizziert er detaillierte Konzepte zur Abwärmenutzung aus unterschiedlichen Abwasserquellen. Damit ließen sich in Österreich 24 Prozent der Gebäude umweltfreundlich beheizen – also ein sinnvoller Beitrag für den umweltfreundlichen Energiemix der Zukunft.
Darf’s ein bisserl Atomstrom sein?
Für manche ist es schwer zu fassen, aber auch Atomstrom darf sich als „klimafreundlich“ und „nachhaltig“ rühmen – das sieht zumindest die EU-Kommission vor. Die Erzeugung von Strom aus Kernenergie soll in die Taxonomie nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten aufgenommen werden, wie aus einem Entwurf Anfang des Jahres hervorgeht. Ist die Atomenergie also der Retter in der Energiekrise? Alles nur „massives Lobbying“, sind sich Martin Baumann und Günther Pauritsch von der Austrian Energy Agency (AEA) einig. Warum die Aussichten auf eine Rückkehr zur Atomkraft nicht gerade strahlend sind, erfahren Sie hier.
Weniger ist mehr
Last but not least sind auch der der Konsument und die Konsumentin gefragt, umzudenken und das eigene Nutzungsverhalten zu ändern. Denn obwohl die Möglichkeiten und ihre Auswirkungen begrenzt sind, lassen sich durch kleine Änderungen im Verbrauch, beispielsweise eine Dusche statt einem Vollbad oder die Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte, bereits die Kosten reduzieren. Im Gastbeitrag „Die Ohnmacht der Energie-Konsument*innen – oder können wir doch etwas tun?“ geht Verfahrenstechniker Tobias Pröll, Professor für Energietechnik und Energiemanagement an der Universität für Bodenkultur, darauf ein, welche Optionen jeder und jede Einzelne hat, zur Bewältigung der Energiekrise beizutragen.
Der Winter naht – und was dann?
Keine der genannten Alternativen wird, aus diesem oder jenem Grund, bis zum Herbst die Unabhängigkeit von russischem Erdgas ermöglichen. Panik vor der kalten Jahreszeit brauchen aber zumindest Privatpersonen keine haben, betont Angerer. Sollte es tatsächlich zum „absoluten Fiasko“ kommen, nämlich leeren Speichern zu Anbruch der kalten Jahreszeit, käme es zur Abschaltung von großen Abnehmern, wobei die Strom- und Fernwärme-Kraftwerke, Gesundheitsversorgung, Nahrungsmittelproduzenten und die Haushaltskunden weiter versorgt würden (einen Blick in die Zukunft können Sie im Beitrag „Russisches Gas noch bis mindestens 2027 ein Faktor“ werfen).
Im Endeffekt ist es vermutlich eine Mischung der oben genannten Technologien, mit denen sich ein Loslösen vom russischen Gashahn am besten bewerkstelligen lässt. Doch ob die Politik bereit ist für die Emanzipation, ist fraglich – ein Statement des Klimaschutzministeriums war bis Redaktionsschluss nicht eingelangt, ähnlich langwierig dürfte sich auch die Abnabelung von Russland gestalten.