Spiele in der Schule regen zum Diskutieren und Nachdenken an
Katharina Mittlböck arbeitet an der Pädagogischen Hochschule (PH) Wien am Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte (IBS), wo sie dabei ist, einen Bereich für "Play & Learn" aufzubauen. Darüber hinaus leitet sie unter anderem den Lehrgang "Digitale Medienbildung in der Primarstufe". Als beratende Expertin begleitet sie das Projekt We Make Games, ein Spielentwicklungsprojekt für 14- bis 19-jährige Schüler (Sekundarstufe II) im Auftrag des Bildungsministeriums. Dabei werden 50 Lehrpersonen unterschiedlichster Unterrichtsgegenstände aus 25 Schulen österreichweit unterstützt und begleitet, mit Schülern digital umsetzbare Spielkonzepte zu entwickeln. Mit APA-Science sprach Mittlböck über das Potenzial von Game-based Learning.
APA-Science: Was ist eigentlich Game-based Learning bzw. Gamification?
Mittlböck: Mit Game-based Learning bezeichnet man spielerisches Lernen, das analog oder digital stattfinden kann. Lernende erkunden, entdecken, probieren oder erforschen in einem erdachten, virtuellen Rahmen - oft eingebettet in eine Geschichte, durch die sie durch Regeln geleitet werden. Sie erfassen und lösen Problemstellungen, die ihnen im optimalen Fall im Spielekontext relevant erscheinen. So entsteht Motivation, die den Lernfortschritt erleichtert, auch wenn extrinsische Elemente, wie das Erreichen des nächsten Levels, bessere Ausrüstung, Punkte und Ähnliches den Weg durch ein Spiel begleiten können.
Gamification im Zusammenhang mit Bildung meint zumeist einen behavioristischen Ansatz. Man nimmt die Belohnungselemente aus dem Spielkontext, um sie in einen völlig konventionellen Lernkontext einzufügen. Dies wird von Lernenden oft als "chocolate-covered broccoli" wahrgenommen und kann sich daher mitunter negativ auf die Spielmotivation auswirken.
APA-Science: Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen von Game-based Learning?
Mittlböck: Mit seiner Hilfe können komplexe Systeme spielerisch und gefahrlos erfahrbar gemacht werden. Die Selbststeuerung und Mitverantwortung für eigene Lernprozesse wird durch intrinsische - also vom Interesse am Tun selbst ausgehende - Motivation befördert. Durch die Absicht, das Spielziel zu erreichen, werden die Lernenden motiviert, und der Lerninhalt erhält im Kontext des Spiels Sinn. Aber auch neue Lerninhalte können erschlossen werden, Fortschritt und Richtung des Lernprozesses werden durch das Spielverhalten individuell bestimmt und sind daher nicht planbar. Es entwickeln sich kreative Prozesse für den Spielenden.
Eine weitere Chance ist das hohe Individualisierungspotenzial von Lernprozessen. Das heißt, je nach Zielgruppe, Lernziel, Lernweg oder Lerntempo gehen Spielende ihren eigenen Weg durch das Spiel, in ihrer Geschwindigkeit, ihrer Motivation folgend. Lehrende können die Programme auf die Lernenden abstimmen.
Die Grenzen sehe ich in der Ausstattung mit Hard- und Software. Abhilfe lässt sich hier schaffen, indem Schüler ihre eigenen Geräte, etwa Smartphones, verwenden, Schlagwort: "Bring your own device". Und: Nicht jede oder jeder ist ein Homo Ludens - spielen ist nicht jedermanns Sache, aber oft erlernbar.
APA-Science: Ist größere Freiheit im Unterricht die Voraussetzung für den Einsatz von Spielen oder spielerischen Ansätzen?
Mittlböck: Ja, definitiv. Spielerische Ansätze brauchen größere Freiheit als Voraussetzung. Und hier gilt es zu unterscheiden, welche Freiheit sich Lernende oder einzelne Lehrende nehmen können und welche Freiheiten die Schulentwicklung bzw. in einem größeren Rahmen Curricula oder Bildungsstandards gewähren können oder müssen. Die Initiative Schule 4.0 des Bildungsministeriums arbeitet rahmengebend in diese Richtung.
Innerhalb von Schulentwicklung bedeutet Digitalisierung und die stärkere Hinwendung zu spielbasierten Ansätzen meist eine Veränderung von Kommunikationskultur und Hierarchien. Andere Kommunikationswege bringen auch andere Kommunikationsformen mit sich. Und durch das Mitgestalten von Lernwegen, Lernprodukten und damit auch Lernzielen werden Lernende sozusagen zu Expertinnen und Experten, die sie, bezogen auf den Umgang mit den Tools und Medien, eventuell ohnehin schon waren.
Nicht zuletzt ändert sich durch Game-based Learning die Lernkultur: Spielerisch lernen heißt, mit Versuch und Irrtum zu lernen. Die Fehlerfreundlichkeit wird größer und der eigentliche Prozess des Lernens rückt viel stärker in den Mittelpunkt, kann daher auch genauer beobachtet und beurteilt werden. Lernende übernehmen selbst Verantwortung für den Lernprozess und können ihn auch besser steuern.
APA-Science: Was können echte Lernspiele?
Mittlböck: Explizite Lernspiele zielen meist darauf ab, Lerninhalte zu vermitteln oder auch nur zu überprüfen. Sie funktionieren oft am wenigsten gut - weil zu offensichtlich ein pädagogischer Zweck dahinter steckt: Man spürt die Absicht und ist verstimmt. Außerdem: Kinder sind kein Trichter, wo man oben etwas einfüllt, und unten das gewünschte Ergebnis rauskommt. Was man in oder von einem Spiel lernt, ist komplex und lässt sich nicht unbedingt steuern. Das wirklich große Potenzial von Game-based Learning liegt im Sichtbarmachen, emotional Erfahrbar-, Simulierbar- und Bespielbarmachen von ganzen Systemen: Gesellschaftssystemen samt ihren ökonomischen und sozialen Zusammenhängen, aber auch naturwissenschaftlichen Systemen mit all ihren Gesetzen, und vieles andere mehr. Diese dann mit den konkreten Inhalten zu füllen, ist mitunter auch außerhalb des Spiels selber möglich. Die Lernenden nur spielen zu lassen, genügt nämlich nicht: Spiele liefern den Stoff für Reflexion und Diskussion und brauchen eine "Nachbearbeitung", werden also zu einem Ausgangspunkt für die kognitive Wissensvermittlung.