Gamification: Neue Feder auf altem Hut
Gamification als Begriff taucht seit geraumer Zeit in vielen Zusammenhängen (Arbeitswelt, Gesundheit, Schule etc.) vermehrt auf. Im Kern geht es dabei um den Einsatz von für Spiele typischen Elementen in eigentlich spielfremden Umgebungen.
Fragt man nach, hört man schnell, dass es sich dabei eigentlich um "alten Wein in neuen Schläuchen" handelt. Ein bereits lange existierendes Beispiel wäre das Konzept der "Weight Watchers" (Ziel ist Gewichtsverlust, Punkte sammeln, kreativer Umgang mit den erlaubten Nahrungsmitteln). Alexander Pfeiffer, Leiter des Zentrums für Angewandte Spielforschung an der Donau-Universität Krems meint zum Beispiel: "Gamification ist ein Modewort für etwas, das es schon immer gegeben hat und das es immer geben wird." Hauptsächlich diene es dazu, um innerhalb von Unternehmensstrukturen ein Wort "zum Angreifen zu haben". Es sei aber - wie immer bei Modeworten - etwas das schon nach wenigen Jahren ein Spinnennetz angelegt haben werde.
Derzeit ist es jedoch sehr präsent und wird in unterschiedlichsten Intensitäten aber auch Benennungen (Gamifizierung, Ludification, game-based learning) diskutiert. Meist geht es um Motivationssteigerung (siehe: "Spielend motivieren und lernen - Von Nudging bis Game-based Learning"").
"Stupser"-Ökonomie
Rückenwind hat die spielbasierte Anreizsteigerung auch durch den Nobelpreis für den US-amerikanischen Verhaltensökonom Robert Thaler bekommen. Im Kern heißt es bei ihm, dass der Mensch oft kleine "Stupser" (Nudges) braucht, damit er in der Spur bleibt, oder dorthin zurückgebracht wird. Diese "Nudges" sind meist verbunden mit Spielmechanismen - Spiele im Kopf. Damit soll erreicht werden, dass der Mensch "das Richtige" macht. Hier hakt bereits die Kritik ein: "Wer gibt vor, was richtig ist?" Im persönlichen Alltag ist das noch einfach. Da bestimmt der Mensch als Einzelperson und kann die Anreize selbst setzen, sie erfüllen oder eben nicht. "Ich bin nur mir Rechenschaft schuldig."
Sobald gesellschaftliche, politische oder unternehmerische Interessen ins Spiel kommen, wird es schon schwieriger. Genannt wird in diesem Zusammenhang oft die Gefahr der Ausbeutung, das Ankurbeln von aggressivem Konkurrenzverhalten innerhalb eines Unternehmens, oder einfach nur das pure ökonomische Interesse an möglichst vielen Daten (siehe: "Warum Online-Spiele gläsern machen").
Spielerische Momente im Alltag sind aber nicht per se nur negativ zu sehen. "Bei meiner Arbeit mit österreichischen Unternehmen (siehe: "Spielerisch zu neuen Forschungsideen") habe ich gesehen, dass diese sehr vernünftig damit umgehen." Nimmt aber der Einsatz der Spielmomente im Beruf überhand und verströmt den "Duft der Manipulation", dann ziehen sich die Mensch schnell davon zurück. "Nichts ist es mit der Motivationssteigerung."
Gute Gamification
Pfeiffer weist aber darauf hin, dass es sehr wohl gelungene Gamification-Einsätze gibt: Zum Beispiel die Anwendung "mysugr", mit der der Umgang mit Diabetes den Betroffenen spielerisch näher gebracht wird. Ein heimisches Lebensmittelunternehmen wiederum bietet den Lehrlingen eine App auf freiwilliger Basis an, wo die Jugendlichen ihr Wissen rund um die angebotenen Produkte (Lebensmittelsicherheit, Inhaltsstoffe etc.) spielerisch vergleichen können. Laut den Unternehmensangaben konnte damit das Produktwissen der Lehrlinge merkbar gesteigert werden.
"Redet man über Gamification, sollte man zwischen Verhaltensänderung ("Ich beginne zu Laufen") und Wertevermittlung ("Laufen ist gesund und gut für mich") zu unterscheiden. "Wichtig wäre es, verstärkt in Richtung Wertevermittlung zu gehen", wünscht sich Pfeiffer.
Der Konnex Schule/Lernen und Spiel wird immer wieder hergestellt. Game-based Learning ist einer der gängigen Begriffe dabei. (siehe auch: "Spiele in der Schule regen zum Diskutieren und Nachdenken an", "Beim Spielen lernt man, ohne es zu bemerken"). Pfeiffer nennt das "Stoffvermittlung".
Interessant findet Pfeiffer mittels Spielen, Lebensumstände zu vermitteln. Er spricht dabei von "Zustandsvermittlung" (siehe: "Serious Games: Computerspiele zur Förderung psychischer Kompetenzen bei Kindern") im Gegensatz zur (Lehr)-"Stoffvermittlung". Dabei werde in Form eines Spiels im Kern der Frage nachgegangen "Was passiert, wenn ich in dieser und jener Lebensphase, diese Entscheidung treffe. Was bedeutet das für mein weiteres Leben?"
Konkret interessiert ihn auch der Punkt, dass Gamification in der Tat meist innerhalb von bestehenden Spielumgebungen stattfindet. Achievements, Badges, Extrapunkte für Handlungen außerhalb (z.B. Lootboxen) des Kernspiels sind für den Spielforscher derzeit sehr spannende Momente, die es zu erforschen gibt.
Philosophisch-skeptisch nähert sich Ernst Strouhal, Kulturwissenschafter an der Universität für angewandte Kunst, dem Thema. "Wenn man alles spielerisch macht, wird alles gut", hält der Kulturwissenschafter für gefährlich. "Spiel ist ein Ort ohne Zwang und eine Art Paradiesgarten der menschlichen Existenz. Gleichzeitig ist Spiel ein Ort ohne Moral und Sitte der realen Welt. Es gibt nur einen Grund für ein Spiel, nämlich es gut zu spielen. Das Spiel hat seinen Sinn in sich. Wenn man dann sagt, das Leben ist ein Spiel, dann verabschiedet man sich von jeder Verantwortung und jeder Moral."