Brust und Spiele
Der Einfluss der Videospielbranche ist mit rund zwei Milliarden Spielern weltweit unbestreitbar. Die Vielfalt der Spieler spiegelt sich aber in den wenigsten Videospielen wieder. Vielmehr setzen Entwickler in der Charakterdarstellung auf einen Einheitsbrei aus stereotypen Darstellungen, allen voran die sexualisierte Frau.
Wir schreiben das Jahr 1981. Heldenhaft befreit Klempner Mario seine Freundin Pauline aus den Fängen des bösen Affen Donkey Kong. Ein paar Jahre später, 1985, ist es dann (zum ersten, aber nicht zum letzten Mal) die hilflose, hübsch anzusehende Prinzessin Peach, die ihrer Errettung durch den italienischen Installateur harrt.
1989 folgte ein Jump'n'Run-Spiel, in dem ein Abenteurer die namenlose Tochter des Sultans vor einem bösen Magier rettet und durch die Heirat mit ihr zum "Prince of Persia" wird.
Mitte der Neunziger erobert dann Lara Croft die Computerbildschirme und Herzen der zum Großteil männlichen Spielerschaft. Als einer der ersten spielbaren weiblichen Charaktere kämpft sich die Archäologin vollbusig und knapp bekleidet durch die Welt. Ihre Oberweite verdankt sie - angeblich - einem Rechenfehler beim Design, die Doppel-D-Körbchen wurden aber zunächst beibehalten.
Zurück in die Zukunft. 2017 dürfen Frauen in Saudi-Arabien Autofahren. In der EU beträgt der Prozentsatz von Frauen in Führungspositionen über 35 Prozent. Fast wäre eine Frau amerikanische Präsidentin geworden. Während im realen Leben Frauen ihre Rolle als Hausfrau und Mutter auf Politikerin, Automechanikerin und Biochemikerin ausgeweitet haben, dürfen ihre virtuellen Pendants noch immer kaum mehr als das Accessoire an der Seite eines Mannes sein. Das Computerspiel ist in den 1920ern stehengeblieben, die Darstellung der leicht bekleideten, sexualisierten Frau, meist als Nebencharakter, hält sich beharrlich.
Doppel-D für doppelten Gewinn?
"Ein Grund sind hartnäckige sexistische Konventionen, die ja auch in Hollywood vorherrschen", erklärt Game-Designerin Sabine Harrer. "Die Frau als dekoratives, passives Lustobjekt, das auf die Eroberung vom starken Mann wartet, hat ja Geschichte. Da gibt es eine narrative Formel, die stur wiederholt wird. Nicht nur weil sie ein Publikum findet, sondern weil Innovation mit Risiko verbunden wird: Kaufen die Leute meine Story noch, wenn die Hauptcharakterin plötzlich kleinere Brüste und eine komplexe Geschichte hat?"
Der andauernde Erfolg von Lara Croft, deren Brustumfang im Verlauf der Jahre ein klein wenig abgenommen hat, scheint dies zu bejahen. Doch obwohl viele erfreut auf diese Entwicklungen reagieren, erstreckt sich die Begeisterung nicht auf alle Mitglieder der Videospiel-Community. Bei der Veröffentlichung erster Fotos der neuen Tomb-Raider-Verfilmung regten sich Anfang des Jahres einige Fans auf Twitter darüber auf, dass die Brüste von Schauspielerin Alicia Vikander im neuen Film jenen der animierten Lara Croft nicht gerecht würden.
Mittlerweile ist die Hälfte aller Spieler weiblich, weibliche spielbare Charaktere sind aber nach wie vor in der Unterzahl. Das liege einerseits daran, dass wenige Spieleentwickler bereit seien, das Risiko einzugehen und es sich mit ihren Fans auf diese Weise zu verscherzen. "Game Development ist ein langer, teurer Prozess. Und da liegt es näher, auf das Sexistisch-Altbewährte zu setzen, anstatt neue Zielgruppen und ihre Wünsche zu respektieren." Und obwohl es mittlerweile so viele Spielerinnen wie Spieler gibt, ist der Anteil an Spielentwicklerinnen immer noch sehr niedrig. Harrers Beobachtungen zufolge liege die Zahl zwischen zwei und fünf Prozent, genaue Zahlen wurden noch nicht erhoben. "Es ist generell recht bedauernswert, wenn ein Medium Themen und Erfahrungen von der immer gleichen Perspektive schildert. Das lähmt nicht nur das kreative Potenzial, sondern geht auch nicht auf die Erfahrungswelten jener Menschen ein, die Games konsumieren." Statt die demografische Verteilung der Konsumenten widerzuspiegeln, bestünde der Entwicklerpool zurzeit aus einer absoluten Mehrheit weißer, heterosexueller Männer.
Der Held und die Frau, die schlecht einparken kann
Obwohl die Frau mittlerweile nicht mehr rein passiv dargestellt und in vielen Spielen auch auf spielbare weibliche Charaktere gesetzt wird, wie es beispielsweise in "Call of Duty: Black Ops 3" oder "Star Wars: Battlefront" der Fall ist, halten sich die klischeehaften Darstellungen hartnäckig. Am häufigsten zu beobachten ist dabei das Klischee des starken Mannes, der die wehrlose Frau rettet oder beschützt. Sabine Harrer nennt dies die Super-Mario-Formel. "Diese Formel wiederholt im Grunde das altbewährte Muster 'Mann agiert, Frau erscheint', das wir ja schon zur Genüge aus Hollywood kennen", erklärt Harrer das Phänomen. "Ein anderer Stereotyp, vor allem in der Arcade-Kultur gängig, ist die Darstellung weiblicher Charaktere als sexualisierte Variante eines etablierten männlichen Charakters." Ein Beispiel dafür ist Ms. Pac-Man aus 1982, die sich vom Vorgänger Pac-Man durch eine Schleife, Lippenstift, und High Heels unterscheidet. "Das unterstreicht, dass Frauen Charaktere zweiter Ordnung sind: So wie auch Eva aus Adams Rippe geschaffen wurde, werden weibliche Klone aus männlichen Verkaufsschlagern geschaffen."
Die Misogynie, die dieser Branche anhaftet, kommt nicht von irgendwoher, wie eine französische Langzeitstudie Anfang dieses Jahres herausfand. An über 13.000 Teenagern wurden ihr Videospiel-Konsum sowie ihre Einstellung gegenüber Frauen gemessen. Die Ergebnisse zeigten einen Zusammenhang zwischen den Spielen und Sexismus. Die alteingesessene Gaming-Community macht es den Frauen nicht leicht, wenn man etwa nach diversen Foren-Einträgen geht. Wo Frauen im realen Leben als die schlechteren Autofahrer abgestempelt werden, vom Einparken ganz zu schweigen, gelten sie in der virtuellen Welt als die schlechteren Spieler, die schlechteren Programmierer.
Die Frau als Lustobjekt ist nicht das einzige Klischee, das in Videospielen Verwendung findet. Im Triple-A-Sektor (das, was in der Filmindustrie der Blockbuster ist) werden Homosexuelle normalerweise höchstens als dekorative Hintergrundcharaktere dargestellt, behaftet mit einer Reihe von Klischees wie Gestik, Mode oder Sprache. "Ein Beispiel ist Alfred Horner, ein Miteigentümer eines Buchgeschäftes in Dracula Unleashed, der wie ein Dandy verkleidet ist, und dem Hauptcharakter lüstern hinterherschaut. Im Spiel Go!Go!Ackman gibt es einen Polizeioffizier, der durch seine Kleidung, schwarze Lederjacke und Unterwäsche, kombiniert mit wiederholten Küssversuchen des Hauptcharakters - einem jungen Burschen - als schwul und pädophil markiert wird", zählt Harrer einige Beispiele auf. Der männliche Hauptheld wird für gewöhnlich als heterosexuell dargestellt.
Teufelskreis Sexismus
"Große Hersteller würden argumentieren, dass sie der Markt zum Einsatz stereotyper Charaktere zwingt. Das heißt: Angebot folgt Nachfrage, und wenn der Markt Klischees will, bekommt er sie auch. Die sexistischen Darstellungen werden nicht nur von Mädchen und Frauen, sondern auch von Buben und Männern oft als unangebracht, belästigend, und manchmal auch gefährlich wahrgenommen. Gerade jüngere Buben verstehen oft nicht, warum Mädchen und Frauen nicht auf einer Augenhöhe mitspielen dürfen." Dadurch entsteht ein Teufelskreis, wenn einerseits den Spielern durch die Spiele Sexismus eingebläut wird, und andererseits die Entwickler auf die sexistischen Bedürfnisse der Community mit noch mehr sexistischen Spielen reagieren.
"Klischeehafte Charaktere prägen, indem sie existierende Normen, in diesem Fall etwa 'Männer sind stark' oder 'Frauen sind unwichtig, aber schön', wiederholen. Durch die wiederholte Demonstration solcher Glaubenssätze wird den Usern unterschwellig eine Version von Normalität vermittelt, die sich dann unbemerkt festsetzen kann", erklärt die Expertin.
Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, so Harrer, benötige es Hilfe vonseiten der Politik. Für die Gaming-Community gibt es keine Interessensvertretung, sondern nur die Entwickler, die als Firmen weniger den künstlerischen als vielmehr den monetären Aspekt im Blick haben. "Games wiederholen, was zum Beispiel Filme und Literatur schon vor ihnen getan haben. Künstlerisch hochwertige Games-Produktion ist nur unter den Bedingungen entsprechender kultureller Förderungsapparate möglich. Wer Games der "Industrie" überlässt, wirft eine Zukunft ansprechender Kunst-Games beim Fenster hinaus, oder zwingt Talente ins Ausland: Dänemark etwa hat mit dem Entwicklerfonds des Dänischen Film Instituts bereits eine Einrichtung zur Förderung künstlerisch wertvoller Games-Projekte. Eine ähnliche Initiative wäre auch in Österreich wünschenswert." Dann kommt vielleicht auch die Videospiel-Branche im einundzwanzigsten Jahrhundert an.
Von Anna Riedler / APA-Science