TU Graz: "Saubere" Grundlagenforschung als Wettbewerbsvorteil
Universitäten müssen verstärkt in die Grundlagenforschung investieren, um für die wirtschaftliche Anwendung attraktiv zu bleiben, ist Horst Bischof, Vizerektor der Technischen Universität (TU) Graz, überzeugt. Dass sich das Investment auszahlt, zeigt die Schiene der Leadprojekte, mit denen die TU seit zwei Jahren inneruniversitäre Kooperation in der Grundlagenforschung fördert und auch kommerziell erfolgreich ist. Mittlerweile ist das dritte Projekt gestartet.
"Als technische Uni fällt es uns relativ leicht, Mittel für angewandte Forschung aufzustellen. An Gelder für Grundlagenforschung kommen wir aber nur schwer", erläuterte Bischof im Gespräch mit APA-Science die Ausgangslage und wies auf die hoffnungslose Unterdotierung des Wissenschaftsfonds FWF hin. "Selbst sehr gute Proposals kommen nicht durch. Das ist aber genau das, was uns als Universität fehlt." Ein stärkeres Engagement in der Grundlagenforschung und eine "gewisse Vorleistung" der Universitäten erachtet er daher als notwendig - immer aber mit einem Auge darauf, wie sich die Grundlagen mit der Anwendung verbinden ließen.
Vor diesem Hintergrund entschied sich die Universität, neben den vorhandenen, sehr breit definierten "Fields of Expertise" mit den "Leadprojekten" die hauseigene Spitzenforschung weiterzuentwickeln. "Zum einen wollten wir damit Leuchttürme, die wir ja haben, heben, zum anderen auch die universitätsinterne Kooperation über Fakultätsgrenzen hinweg forcieren", nannte Bischof die Zielvorgaben. Denn die allermeisten Forschungsförderungsprogramme hätten die Zusammenarbeit mit anderen heimischen Universitäten, mit Universitäten innerhalb der Europäischen Union oder weltweiten Partnern als Bedingung.
Bottom-up-Ansatz und Peer-review
Mit Jänner 2016 startete das erste Leadprojekt zur Verlässlichkeit des IoT ("Dependable Internet of Things"). Dass die Themen im Bottom-up-Ansatz von den Forschern selbst kommen sollten, war von Anfang an klar. Man setzte zudem nicht auf Einzelforscher, sondern halte eine "kritische Masse" an exzellenten Forschenden aus verschiedenen Fakultäten und zumindest vier Instituten als sinnvoll. Welches Projekt zum Zug kommt, wird in einem zweistufigen Prozess mittels Peer-review-Verfahren entschieden. Nach einer ersten Reihung durch das Rektorat werden die eingereichten Vollanträge von externen Gutachtern, die vom Wissenschaftsfonds FWF gestellt werden, unter die Lupe genommen. Diese Gutachten geben den Ausschlag für die Auswahl. "In der ersten Runde der ersten Projektausschreibung gab es sieben Einreichungen, vier davon nahmen an der zweiten Runde teil", so Bischof.
Mit der Förderung wolle man den Forschern die Möglichkeit bieten, wirkliche Grundlagenforschung zu betreiben und in der Anwendung später einen Schritt voraus zu sein. "Die geschaffenen Grundlagen sollen natürlich schon im kommerziellen Bereich, etwa in Projekten mit Unternehmen, umgesetzt werden können", beschreibt Bischof die klare Zielsetzung.
Große Nachfrage seitens der Industrie
Aufgesetzt sind die Projekte für drei Jahre, mit der Option, sie bei entsprechend positiver Evaluierung um drei Jahre zu verlängern. Tritt dieser Fall ein, können andere Institute dazugenommen werden, aber auch ausscheiden. Nach sechs Jahren ist definitiv Schluss. "Bis dahin muss das Projekt genug Profil entwickelt haben, um auf eigenen Füßen stehen zu können oder eben nicht", befürwortet Bischof den klaren Zeithorizont. Auch die Zwischenevaluierung erfolgt durch externe Gutachter. "Wir wollen transparente, saubere Regeln und keine Mauscheleien. Wird ein Projekt dann abgelehnt, akzeptieren das die Forscher", betonte er.
Beim ersten Leadprojekt stecke man gerade in dieser Zwischenevaluierung. Parallel dazu würden bereits viele Projekte mit der Industrie starten. "Gerade das Dependable IoT hat eine Reihe von weiteren Projekten eingeworben, wie etwa einen ERC-Grant oder auch kleinere Projekte. Zudem haben wir seit April dieses Jahres ein neues Christian-Doppler-Labor (Anm.: CD-Labor Location-aware Electronic Systems). Es war ein sehr gut gewähltes Projekt, es gibt große Nachfrage", freute er sich.
Ob die Forscher diese Projekte nicht auch so eingeworben hätten? Ein paar Projekte hätten sie möglicherweise schon an Land gezogen, meinte er. "Aber das Leadprojekt gewährt den Forschenden jetzt einfach mehr Freiraum, die Grundlagen wirklich sauber zu machen", zeigte er sich überzeugt. Als absoluter Mehrwert habe sich zudem die Betrachtung des Themas über verschiedene Institute hinweg erwiesen. "Das ist ja das Spannende, dazu wäre es sonst nie gekommen", strich der Vizerektor die Vorteile der internen Kooperation hervor. "Dass sich Forscher über Institutsgrenzen hinweg überhaupt einmal austauschen, zusammensetzen und einen Antrag formulieren - das allein ist schon ein Mehrwert." Im Rahmen der ersten Lead-Runde habe sich ein Konsortium gefunden, dessen Antrag nicht genehmigt wurde. In Folge sei es der Gruppe jedoch gelungen, ein FFG-Projekt einzuwerben, dessen Fördersumme insgesamt über jener der zwei Millionen Euro des Leadprojekts lag.
Das Geld für die Leadprojekte stammt aus den vom Bund vergebenen Globalmitteln der Universität. "Einen Teil dieser Mittel legen wir zur Seite, um Anreize für die Forschung zu setzen. Die Leadprojekt-Schiene ist nur eine von mehreren Maßnahmen", erläuterte Bischof.
Grundlagen oder Anwendung? Grenzen verschwimmen
Eine klare Trennung von Grundlagen- und angewandter Forschung ist laut Bischof nicht mehr auszumachen, die Übergänge seien mittlerweile sehr fließend, weswegen er auch lieber von "connected research" spricht. An der TU Graz herrsche die Maxime Drittel/Drittel/Drittel: Man strebe bei der Mittelherkunft ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Grundlagengeldern, Geldern für angewandte Forschung und Auftragsforschung an. "Natürlich lässt sich das nicht auf jedes Institut umlegen - theoretische Mathematik wird sich bei der Auftragsforschung schwer tun, anderswo wird die angewandte Forschung im Fokus stehen", gab er zu bedenken.
Mittlerweile sind nach der zweiten Ausschreibungsrunde zwei weitere Leadprojekte, die in der externen Begutachtung gleichauf lagen, an den Start gegangen: Seit Jänner dieses Jahres beschäftigt sich ein Projekt mit der "Mechanik, Modellierung und Simulation von Aortendissektionen", ein weiteres stellt seit Juli poröse Materialien in den Fokus. Die Schiene soll auf jeden Fall bestehen bleiben, Ziel sei es, immer drei Leadprojekte parallel laufen zu haben.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science