"Grundlagenforschung, ein Herzstück von 'Horizont Europa'"
Der österreichische Wissenschaftsfonds FWF feiert sein 50-jähriges Bestehen und ich möchte mich in die Schar der Gratulanten einreihen und den FWF zu seinen exzellenten Forschungsergebnissen im Dienste der Gesellschaft beglückwünschen.
Der FWF ist Österreichs zentrale Einrichtung zur Förderung der Grundlagenforschung, ein Anliegen, dem auch auf europäischer Ebene besondere Bedeutung beigemessen wird. So sieht der von der Europäischen Kommission am 7. Juni 2018 vorgelegte Vorschlag für das neue Forschungsrahmenprogramm "Horizont Europa" für den Zeitraum 2021- 2027 eine Steigerung der Mittel für den Europäischen Forschungsrat (ERC), dem zentralen Instrument der Grundlagenforschung auf europäischer Ebene, eine Steigerung der Mittel von 13,1 Mrd. auf 16,6 Mrd. Euro vor.
Warum eine derartige Schwerpunktsetzung auf eine Kategorie der Forschung, die "lediglich" den Stand des Wissens vermehren will, ohne Anwendungsorientierung und Ausrichtung auf ein spezifisches praktisches Ziel, sei es im gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Bereich? Steht dies nicht in glattem Widerspruch zu der auch auf europäischer Ebene immer wieder beschworenen, stärker wirkungsorientierten Forschungsförderung, die gerade mit dem neuen Europäischen Innovationsrat und der stärkeren Missionsorientierung angestrebt wird?
Die Antwort ist ein klares Nein. Wie Forschungsförderer auf allen Regierungsebenen setzt auch Europa auf eine ausgewogene Unterstützung sowohl der Grundlagenforschung, insbesondere im Rahmen der ERC-Pionierforschung, als auch auf eine stärker anwendungsorientierte Verbundforschung, vor allem zur Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen etwa im Bereich Gesundheit, Klimawandel oder Energie. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass umfassende Innovation auf einem ausgewogenen Portfolio von eher kurz- und mittelfristig orientierten Forschungsinvestitionen und von purer wissenschaftlicher Neugier getriebenen, langfristigen Grundlagenforschungsinvestitionen basiert. Vielfältig sind die Beispiele von heutigen Schlüsseltechnologien und Wachstumsmotoren wie Internet, Mobiltelefon oder Genomik, die auf langfristiger und risikobehafteter Grundlagenforschung beruhen und ohne diese nicht denkbar sind. Nehmen wir beispielsweise die Quantenmechanik, zu Anfang des Jahrhunderts noch als "Knabenphysik" verschmäht, die inzwischen den USA durch ihre Anwendungen in Form von Mikroprozessoren, Lasertechnik und Nanotechnologie ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts beschert. Oder nehmen wir ein älteres Beispiel, das Abraham Flexner in seinem wunderbaren Essay über "The Usefulness of Useless Knowledge" zitiert. So etwa meinte Faraday, angesprochen auf die Nützlichkeit seiner Experimente im Bereich der Elektrizität: "One day Sir, you may tax it."
Die Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung macht auch heute noch Sinn, wenngleich wir sehen, dass insbesondere aufgrund der Beschleunigung der Innovationszyklen, dank rasanter neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Grenzen zwischen der klassischen Grundlagenforschung und der angewandten Forschung immer mehr verschwimmen und anwendungsorientierte oder problemorientierte Grundlagenforschung eine eigene wichtige Kategorie geworden ist. Im Rahmen des ERC spricht man daher eher von "Pionierforschung" denn "Grundlagenforschung".
So haben eine Reihe von "Blue-Sky"-Forschungsprojekten im Rahmen des ERC in jüngster Vergangenheit Beispiele für unmittelbar praktisch anwendbare Ergebnisse geliefert, darunter ein ERC-Projekt aus Österreich, dank dem massive Sicherheitslücken bei Prozessoren entdeckt wurden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist auch das ERC-Förderinstrument "proof of concept" zu sehen, das die Möglichkeit bietet, wissenschaftliche Forschungsergebnisse, wo möglich, durch finanzielle Unterstützung, unternehmerisch oder im gesellschaftlichen Bereich umzusetzen.
Noch ein Wort zur Exzellenz der Pionierforschung im Rahmen des ERC. Der Umstand, dass 13 ERC-Grantees auch Nobelpreisträger sind und sechs ERC-Grantees die Fields-Medaille bekommen haben, spricht für sich selbst und macht den Mehrwert der Förderung exzellenter Pionierforschung auf europäischer Ebene deutlich.
Wie erfolgreich ist Österreich in der Spitzenforschung? Der letzte Landesbericht der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit dem Europäischen Semester vom 7. März 2018 bestätigt Österreich eine solide Forschungs- und Wissenschaftsbasis, weist aber darauf hin, dass sich keine österreichische Universität in den internationalen Rankings unter den 150 weltbesten Universitäten befindet. Beim Anteil der wissenschaftlichen Publikationen, die weltweit zu den zehn Prozent Meistzitierten gehören, liegt Österreich zwar mit dem 9. Rang im vorderen Drittel der EU, jedoch nur leicht über dem EU-Durchschnittswert und zudem besteht ein deutlicher Abstand zur Spitzengruppe in der EU. Ähnlich sieht es bei dem einen Prozent der am meisten zitierten Publikationen aus. Die vom Ministerrat kürzlich beschlossene neue Forschungsfinanzierung, die auch eine Stärkung der kompetitiven Grundlagenforschung vorsieht, ist daher ein wichtiger Schritt, um die Exzellenz der Grundlagenforschung weiter zu erhöhen. Positiv ist auch zu vermerken, dass der Anteil der Ausgaben für die Grundlagenforschung am Bruttoinlandsprodukt dank der hohen Forschungsintensität mit mehr als 0.5 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 0.4 Prozent liegt. Allerdings liegt der Anteil der Grundlagenforschung bezogen auf die Forschungsausgaben mit 18 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 22 Prozent.
Darüber hinaus möchte ich auch darauf hinweisen, dass österreichische Forscher, Universitäten und Forschungseinrichtungen in spezifischen Bereichen durchaus führend sind. Dies schlägt sich unter anderem in der sehr erfolgreichen Teilnahme Österreichs am Europäischen Forschungsrat nieder, der zum Inbegriff wissenschaftlicher Exzellenz geworden ist. Mit Stand Juli 2018 sind 233 ERC-Grants an Forschungseinrichtungen in Österreich gegangen, davon 144 an ausländische Forscher, was für die Attraktivität der österreichischen Forschungslandschaft spricht. 80 Österreicher sind wiederum in anderen EU-Forschungseinrichtungen in den Genuss von ERC-Grants gekommen. Insgesamt haben ERC-Grants Österreich Forschungsmittel im Ausmaß von 380 Millionen Euro gebracht.
Schließen möchte ich mit Robbert Dijkgraaf's Credo in seinem Essay zu Flexners oben erwähnter Abhandlung: "Supporting applied and not-yet applied research is not just smart but a social imperative. In order to enable and encourage the full cycle of innovation, which feeds into society in numerous important ways, it is more productive to think of developing a solid portfolio of research in much the same way as we approach well-managed financial ressources".