Die ungeliebte Stiefschwester der angewandten Forschung
2017 wurden in Österreich knapp 11 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Davon gehen weniger als zwanzig Prozent in die Grundlagenforschung. Trotzdem übt die Grundlagenforschung auf viele Wissenschafter eine Anziehung aus - beispielsweise in der Medizin- und Pharmabranche. APA-Science hat sich der Frage "Warum eigentlich Grundlagenforschung?" von Forscher- und Unternehmerseite genährt.
Lukas Huber, Direktor der Sektion für Zellbiologie der Medizinischen Universität (Med-Uni) Innsbruck, forscht an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung. Gemeinsam mit vier anderen Institutionen aus Österreich und Italien arbeitet die Med-Uni am Projekt PreCanMed zu Tumor-Organoiden, also im Labor geschaffenen Miniaturversionen tatsächlicher Tumore, die aus Tumorzellen von Krebspatienten herangezüchtet werden. "Wir stellen zum Beispiel Organoide von Kindern mit angeborenen, derzeit nicht heilbaren Erkrankungen her, um die Erkrankung besser verstehen zu lernen und um dort auch neue Medikamente auszuprobieren. Das können wir natürlich an diesen schwer erkrankten Kindern nicht direkt tun, sondern nur über diesen Weg", erklärte Huber. Die Finanzierung erfolgt dabei ausschließlich über kompetitiv eingeworbene Drittmittel von der Europäischen Union, dem European Regional Development Fund sowie das Kooperationsprogramm Interreg V-A Italia-Austria.
Huber hat außerdem die wissenschaftliche Leitung der biologischen Abteilung im Austrian Drug Screening Institute ADSI inne. Seine Faszination für die Grundlagenforschung, durch die er versucht, die Hintergründe der Natur zu verstehen, möchte er nachkommenden Generationen mitgeben: "Ich gehe viel in Schulen als "Young Science Botschafter" und gebe dort ehrenamtlich Vorträge zum Wunder Zelle, zu Krebs, zu Erkrankungen usw.", so Huber. So wolle er Kinder und Jugendliche für die Grundlagenforschung begeistern.
Mehr Geld für die Grundlagen
Die Infrastruktur für Forschung in Österreich findet er generell sehr gut, "nur die Politik muss verstehen, dass der FWF (Anm.: der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) mehr Geld braucht, weil man nur mit Grundlagenforschung den Blumengarten düngen kann, aus dem später wertvolle Nutzpflanzen in der Anwendung entstehen können." Nur auf eine gute Grundlage kann man also spätere, angewandte Forschung aufbauen. Es brauche die Freiheit, seltene Themen erforschen zu dürfen. Ausbaufähig sei die Grundlagenforschung dennoch in allen Bereichen. Hier sei das Bewusstsein der Politik gefragt, dass Forschung wichtig und unterstützenswert sei.
In dieselbe Kerbe schlägt auch Franziska Roth-Walter, Gruppenleiterin für Angewandte Immunologie des Messerli Research Instituts, einer interuniversitären Forschungseinrichtung der Universität Wien, der Medizinischen Universität Wien sowie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. "Die Schweiz hat ein fünffach höheres Budget. Ebenso ist das Arbeiten in den Vereinigten Staaten vergleichsweise leichter, da es einfach mehr private und öffentliche Forschungsgelder gibt."
Roth-Walters Forschungsschwerpunkt liegt in der Erforschung immun-regulatorischer Mechanismen der Schleimhaut in Bezug auf die Allergieentstehung. "Warum sind immer die gleichen wenigen Proteinfamilien Allergene? Was unterscheidet einen Allergiker von einen Nichtallergiker?", das sind die Fragen, denen Roth-Walter mit ihrer Forschung auf den Grund zu gehen versucht. Finanzierung gibt es dafür keine, die Abhängigkeit von Kooperationen ist groß. "Einige Experimente und Analysen können aus Geldmangel nicht gemacht werden", erklärte die Forscherin.
Wieso, weshalb, wofür, warum?
Problematisch ist in der Finanzierung der Grundlagenforschung besonders, dass das erworbene Wissen keinen unmittelbaren Nutzen, beispielsweise für Allergiker, bringt. Das macht die Grundlagenforschung für viele Jungforscher unattraktiv: "Das Interesse ist da oder nicht da, allerdings fehlt den meisten eine längerfristige Perspektive. Es wird ein hohes Leistungspensum bei vergleichsweise niedriger Bezahlung verlangt. Und es fehlt einfach an Forschungsgeld, um die Projekte zu finanzieren", so Roth-Walter. Sie hat sich trotzdem für die Grundlagenforschung entschieden. "Das Warum kann nur die Grundlagenforschung beantworten, die angewandte Forschung verwendet dann dieses erworbene Wissen. Das Beantworten des Warums hat für mich daher den höheren Reiz, als ob etwas tatsächlich funktioniert. Allerdings ist es eine Genugtuung, wenn dann die angewandte Forschung die Hypothesen der Grundlagenforschung bestätigt", fügte sie hinzu.
Um auch für andere Forscher den Reiz zu erhöhen, müsse man mehr Geld in die Finanzierung stecken. "Meiner Meinung ist in Österreich mehr als genug Potenzial vorhanden, das man aber ins Ausland ziehen lässt, um seine Forschung zu betreiben. Es wäre sinnvoller, das Geld einfach in die heimische Forschung zu investieren, damit diese erst gar nicht auswandern muss."
Österreichische Freilandforschung
Heimische Forschung wird beispielsweise von Janssen betrieben. Die Pharmasparte des US-amerikanischen Unternehmens Johnson & Johnson, dem nach eigenen Angaben weltweit größten Anbieter von Gesundheitsprodukten, ist für die Entwicklung neuer Arzneimittel zuständig - von der Grundlagenforschung bis hin zum markfertigen Medikament. Rund 3.000 Wissenschafter betreiben zu diesem Zweck umfangreiche medizinische Forschung, von Infektionskrankheiten und Impfstoffen über Psychiatrie bis hin zu Lungenhochdruck. "Grundsätzlich setzen wir unsere Schwerpunkte mit dem Fokus auf jene Therapiegebiete, wo es den größten Bedarf an Innovation gibt und wo man den meisten Patienten helfen kann", erklärte Wolfgang Tüchler, Geschäftsführer von Janssen Österreich. "Vor allem die Immunologie und Onkologie weisen mit den neuen Immuntherapien immer mehr Überschneidungen auf. Zentrales-Nerven-System- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind große Bereiche, die wir in verschiedensten Forschungsansätzen ebenfalls bearbeiten."
Die Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden dabei aus eigenen Mitteln finanziert. 21,7 Prozent des Umsatzes fließen zurück in die Forschung. "Das bedeutet, dass wir neue Forschungsprojekte und -initiativen nur dann durchführen können, wenn der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens dies zulässt", erklärt Tüchler die finanzielle Lage aus Unternehmerseite. Obwohl der Weg von Rückschlägen geprägt sein kann, empfiehlt er jedem, der sich für Laborarbeit interessiert, eine Karriere in der Grundlagenforschung. Um Jungforscher dafür zu interessieren, wäre es wichtig, schon früh die Neugier auf wissenschaftliche Themen zu wecken. "Das müsste schon im Kindergarten beginnen, in der Mittelschule können dann, wie bereits jetzt schon vielfach möglich, erste konkrete Erfahrungen in der Forschung über Projekte und Laborarbeit gesammelt werden. Das könnte früh den Mythos der Unantastbarkeit des Labors und der Tätigkeit von Wissenschaftern nehmen", betonte Tüchler.
In internationalen Hochschulrankings könne man sehen, in welchen Ländern die Forschung einen besonders hohen Stellenwert habe und wo die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben seien. "Hier hat Österreich sicherlich Aufholbedarf, obwohl es gerade in der medizinischen Forschung Institute und Forschungsteams in Österreich gibt, die jederzeit mit den Besten der Welt mithalten können. Diese bestehenden Exzellenzzentren weiter zu stärken und Ressourcen gezielt einzusetzen, erscheint mir für die Zukunft sehr sinnvoll. Generell wünsche ich mir für Österreich eine forschungsfreundlichere Stimmung in der Bevölkerung, in der Politik, aber auch in den Medien. Forschung bedeutet Fortschritt und Fortschritt wiederum führt zu Wohlstand, besserer Gesundheit und Lebensqualität und letztendlich auch sozialem Frieden."
Von Anna Riedler / APA-Science