ERC-Grant bringt Freiheit, Verantwortung und Fragezeichen
Die hoch dotierten Förderungen des Europäischen Forschungsrates (ERC) haben nicht nur das wissenschaftliche Leben zahlreicher Forscher nachhaltig verändert. Auch dem gesamten europäischen Forschungssystem hat die Einrichtung der Institution vor elf Jahren Schub verliehen, sind sich Experten einig. Das Geld des ERC bringe erfolgreichen jungen Wissenschaftern vor allem Freiheit und Verantwortung, aber auch ein paar Fragezeichen mit sich, wie Martin Kaltenbrunner von der Uni Linz im Gespräch mit APA-Science erklärte.
Seit 2007 vergibt der ERC Förderungen von jeweils bis zu 2,5 Mio. Euro an in Europa tätige Wissenschafter in verschiedenen Stadien ihrer Karriere. Der Wettbewerb um die Förderpreise ist dementsprechend groß, so wie auch die Freude, wenn es beispielsweise mit einem jeweils bis zu 1,5 Mio. Euro schweren, auf Jungforscher zugeschnittenen "Starting Grants" tatsächlich klappt. Fünf Jahre lang kann in der Folge an Grundlagenforschungsprojekten gearbeitet werden.
Obwohl man natürlich darauf hinarbeite, "kann man nie damit rechnen, auch wenn man es sich erhofft", sagte Kaltenbrunner, der in der Antragsrunde 2017 mit einem "Starting Grant" bedacht wurde. Für den Physiker und Leiter des Soft Electronics Labors der Universität Linz, der einer der Vorreiter in der Entwicklung "weicher" Roboter aus Hydrogelen ist, war die Zuerkennung "auf jeden Fall ein großes Ding".
"Start-up-Geld für junge Forschungsgruppe"
Nochmals attraktiver - und auch ein oftmals genannter Grund für den Erfolg des ERC - mache die Auszeichnungen die Tatsache, dass das Geld nur dem Grantee und seiner Forschungsgruppe exklusiv zugutekommt. "Das ermöglicht selbstständiges Forschen, das ohne so eine Unterstützung nur schwer möglich ist", sagte der Forscher. Die einzige heimische Förderung, die in diesem Karrieresegment mithalten kann, sind die Start-Preise des FWF.
Für Kaltenbrunner, der seit einigen Jahren u.a. auch gute Kontakte nach Japan unterhält, ist der ERC auch außerhalb Europas sehr gut angeschrieben: "Das ist ein gutes Start-up-Geld für eine junge Forschungsgruppe." Aber auch an der Uni Linz habe man sich über die Zuerkennung "sehr gefreut, weil es natürlich auch ein Erfolg für den Fachbereich und für die Uni selbst ist".
Gutes Zukunftssignal
Dementsprechend habe man auch versucht, die mediale Aufmerksamkeit zu nutzen. Gerade für kleinere Unis sei ein solcher Grant natürlich auch eine wichtige Möglichkeit, um darauf hinzuweisen, dass hier Spitzenforschung betrieben wird. Was die Zukunftsaussichten Kaltenbrunners betrifft, habe er in der Folge jedenfalls gute Signale seitens der Universität erhalten.
Da Ausgezeichnete den Grant auch an andere Forschungseinrichtungen in Europa mitnehmen können, sind Institutionen in der Regel gut beraten, sich um Zukunftsperspektiven von ERC-Preisträgern zu bemühen, heißt es aus der Wissenschaftscommunity immer wieder. Gehen ERC-Grantees nämlich in einen Bewerbungsprozess andernorts hinein, sind das Renommee und die Mittel, die damit verbunden sind, sicher nicht von Nachteil.
Steigende Aufmerksamkeit
Ein derartiger Grant ziehe umgekehrt auch die Aufmerksamkeit anderer Institutionen auf sich. Es passiere also durchaus, dass Anfragen gestellt werden, bestätigte auch Kaltenbrunner, der in Linz aber ein großen "Vertrauensvorschuss" genießt, wie er erklärte.
Durch die Förderung ergeben sich in der Forschungsgruppe des Physikers jedenfalls viele neue Perspektiven: "Ich habe eine junge Gruppe aufgebaut. Wir liefern laufend Ergebnisse und haben auch bereits zusätzliches Funding eingeworben", so Kaltenbrunner, dessen Team nun die stattliche Anzahl von sechs PhD-Studenten und einen Postdoc umfasst. "Ich habe die Gruppe doch stark erweitern können."
Kein Selbstläufer
Damit steige logischerweise auch die Verantwortung, was die Zukunft des nun größeren Teams betrifft. Obwohl man sich im Bereich der Grundlagenforschung - allerdings mit Perspektive auf Anwendung - befinde, gebe es einen gewissen Druck, das Projekt mit Fokus auf die Entwicklung von bionischen Systemen und Maschinen auf Basis spezieller Polymernetzwerke auch erfolgreich voranzutreiben. "Es ist eine große Chance, aber eben auch eine große Herausforderung. Es ist auch medienwirksam und es wird viel von einem erwartet", betonte der Linzer Wissenschafter.
Balance zwischen Grundlagenforschung und Anwendung
Die Vision "weicher, dehnbarer Robotik" zu verwirklichen, sei auf jeden Fall eine, bei der über Zeiträume von zehn oder fünfzehn Jahren gedacht werden müsse - eben Grundlagenforschung, die sich aufgrund des Zeithorizontes in Unternehmen kaum verwirklichen lasse. Erst einmal müsse man ein Fundament erarbeiten. "Die Industrie wünscht sich in der Regel Ergebnisse, die man schneller umsetzen kann. Die Forschung erlaubt uns weiter nach vorne zu blicken, ohne immer gleich Verwertbares zu haben", sagte Kaltenbrunner. In vielen Bereichen arbeite man jedoch schon anwendungsorientiert und eng mit Industriepartnern zusammen. Es brauche hier die richtige Balance zwischen freier Hochrisikoforschung und Technologieentwicklung.
Wie weit man bisher schon gekommen ist, zeige die Tatsache, dass "vor zehn Jahren die Leute noch über uns gelacht haben". Mittlerweile befassen sich zahlreiche Forscher an Top-Institutionen mit dem Thema: "Wir sind da mitten drinnen - und das ist schön", sagte Kaltenbrunner.
Von Nikolaus Täuber / APA-Science