Dialog Politik-Wissenschaft: Verständnis für die andere Seite finden
Um den Nationalratsabgeordneten neue Erkenntnisse aus der Forschung zur Verfügung zu stellen, haben der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Anton Zeilinger, und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka 2018 ein neues Dialogformat zwischen Wissenschaft und Politik ins Leben gerufen.
Bisher gab es zwei derartige Veranstaltungen: beim ersten Gespräch im Herbst 2018 trafen Abgeordnete mit Wissenschaftern aus den Bereichen Quantenphysik, Lebenswissenschaften, Weltraumforschung und Demographie bzw. Migration zusammen, bei der zweiten Veranstaltung im Juni 2019 drehte sich alles um "Digitalisierung". Das nächste Treffen von Abgeordneten des Nationalrats und Wissenschaftern der ÖAW und anderer Forschungseinrichtungen ist noch für Juni geplant, dabei geht es um die Coronakrise, deren Folgen für Arbeit, Wirtschaft und den Bereich Gesundheit und darum, welche Lehren wir für die Zukunft ziehen können, wie ÖAW-Präsident Zeilinger im Gespräch mit der APA erklärte.
Frage: Wie kam es aus Ihrer Sicht zu dieser Initiative?
Zeilinger: Ein befreundeter Politiker hat mir einmal gesagt: "Ihr braucht euch nicht wundern, wenn wir im Bereich Wissenschaft nicht so aktiv sind, weil wir alle wissen, was ihr von uns haltet." Da dachte ich mir, das kann man verbessern, indem sich die Leute persönlich treffen. Das war genau der Grund, warum ich vorgeschlagen habe, so etwas zu machen - und genau diese Verbesserung ist eingetreten.
Warum hat es erst zwei derartige Veranstaltungen gegeben, ist die Nachfrage nicht da oder ist der Aufwand so groß, so etwas zu organisieren?
Wir haben gesagt, wir wollen das zwei Mal im Jahr machen, und jede Veranstaltung hat immer eine gewisse Vorlaufzeit. Es liegt nicht an der mangelnden Nachfrage, auch Nationalratspräsident Sobotka ist sehr dafür. Es gab ja schon ein ähnliche Veranstaltung noch unter NR-Präsidentin Barbara Prammer, gemeinsam mit NR-Präsident Sobotka gab es zwei und ein weiteres Gespräch soll es in der zweiten Junihälfte geben - eben zum Thema Corona, aber in der breitesten Thematik, also auch wirtschaftlich.
Wie waren ihre bisherigen Eindrücke von den Diskussionen?
Die Gespräche waren außerordentlich gut, die Diskussionen waren sehr intensiv und tief. Es gab von keinem der Teilnehmer Unverständnis gegenüber der anderen Seite. Man hat voneinander gelernt, etwa warum die Wissenschaft bzw. die Politik sich so verhält und etwas so sieht. Das ist eine gute Sache.
Das heißt, das ist nicht eine Einbahnstraße, in der die Wissenschaft der Politik die Welt erklärt und quasi eine Einführungsvorlesung in ein Thema hält?
Nein, es ist ein Dialog, es wird diskutiert und zwar an mehreren Tischen, wo Wissenschafter und Politiker aller Parlamentsparteien zusammensitzen. Dabei ist nur das grobe Thema vorgegeben. Es gibt natürlich auch Wissenschafter, die in Falle tappen, belehrend sein zu müssen - aber das muss man dann auch vonseiten der Wissenschaft durchbrechen.
Was haben Sie von den bisherigen Veranstaltungen gelernt?
Ich habe gelernt, dass die Politikerinnen und Politiker, die ich getroffen habe, sehr interessiert daran waren, mit uns zu reden. Und es sind zum Teil auch weitergehende persönliche Kontakte entstanden zwischen den Teilnehmern. Die Offenheit war vollkommen da, wobei die Wissenschafter eher diese Offenheit lernen mussten als die Politiker.
Was lässt sich durch solche Formate bewirken?
Dass man Gesprächspartner findet und sich vernetzt. Aber vor allem Verständnis für die jeweils andere Seite.
Kennen Sie Beispiele für eine gelungene bzw. misslungene Politikberatung?
Eine offene Problematik ist die Politikberatung in der Klimafrage. Da wird ewig diskutiert, ob es einen Klimawandel gibt und was man dagegen tun kann. Ich sehe es aber als Problem, dass die Meinung von jenen Leuten nicht stärker diskutiert wird, die wohlbegründet sagen, wir müssen uns darauf einstellen, dass die Maßnahmen, die wir setzen, nicht viel bewirken könnten. Ich will dabei keine Seite beziehen, aber es gehört ganz klar diskutiert, was es ganz konkret für Österreich heißen würde, wenn wir das nicht mehr beherrschen können, etwa Auswirkungen wie die Trockenheit. Einfach für den Fall, dass es nicht gelingt, weltweit einen politischen Konsens zu produzieren.
Dazu müsste aber auch die Politik auf die Wissenschaft zugehen und sagen, setzen wir uns doch zusammen.
Und es würde voraussetzen, dass man auch in der Politik imstande ist, festgefahrene Meinungen in Frage zu stellen.
Wo sehen Sie denn die größten Unterschiede zwischen dem System Politik und Wissenschaft?
Der Unterschied liegt in der Notwendigkeit, angesichts oft unzureichender Informationen Entscheidungen zu treffen. Weil wenn die Information ausreichend ist, dann wäre es ja keine Entscheidung mehr, sondern eine logische Konsequenz. Diese Notwendigkeit haben wir in der Wissenschaft nicht.
Um mehr Informationen zu bekommen, halten sich - wie derzeit in der Corona-Krise - Politiker große Beraterstäbe. Werden dadurch die Entscheidungen besser?
Einer der Minister unter der Obama-Regierung, mit dem ich befreundet bin, hat erzählt, dass US-Präsident Barack Obama gegen Ende seiner Amtszeit bedauert hat, dass er zu oft auf seine Berater gehört hat anstatt Entscheidungen nach seinem politischen Gespür zu treffen. Es ist verlockend, weil es eine vermeintliche Sicherheit ist, auf seine Berater zu hören. Aber dann besteht die Gefahr, dass eine schwammige und beliebige Politik herauskommt und kein Mensch weiß mehr, wofür ein Politiker steht. Das ist nicht gut, auch nicht für die Demokratie.
Wie groß ist denn die Versuchung, als Berater Politik zu machen bzw. zu beeinflussen?
Die ist sicher groß. Am gefährlichsten ist es, wenn ein Wissenschafter dann zu einem glühenden Verfechter einer politischen Richtung wird. Das geht selten gut aus.
Wie funktioniert dann gute Politikberatung?
Man muss einfach immer klar seine Meinung sagen. Ich erinnere mich an die Debatte um die Kernenergie, in Österreich sehr unpopulär, in der mein akademischer Lehrer Helmut Rauch immer ganz klar seine Meinung gesagt und argumentiert hat, dass die Probleme künstlich und die Kraftwerke sicher seien. Wenn man dafür von der Öffentlichkeit sozusagen ins Seitenout gestellt wird, dann muss man das auch akzeptieren - das hat Rauch auch gemacht.
Das Interview führte Christian Müller / APA