Coronavirus - Forderung nach Pandemie-Institut und Legistik-Verstand
Ein eigenes Institut für Pandemien und sich rasch ausbreitende Infektionskrankheiten sowie mehr legistischen Sachverstand bei Entscheidungsträgern fordern Wissenschafter anlässlich der Coronakrise. Konjunkturpakete sollten eine mögliche Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Klimaschäden nicht zunichtemachen, hieß es am 16. Juni bei einer Pressekonferenz.
Bei der von Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW), und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) ins Leben gerufenen Reihe "Wissenschaft und Politik im Gespräch" diskutieren Forscher und Parlamentarier regelmäßig über aktuelle Themen. "Diesmal ging es, wie könnte es anders sein, um die Covid-19-Pandemie", sagte Sobotka.
Verstreutes Expertentum
Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht hätten sich zwar alle beeindruckt gezeigt, wie produktiv die Wissenschaft ist und wie rasch sie auf solche aktuellen Themen reagiert, was eine Fülle an Publikationen rund um das Coronavirus belegen, berichtete die Infektionsbiologin Sylvia Knapp vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CEMM) in Wien und der Medizinischen Universität Wien. Man habe aber auch Schwachstellen erörtert: So sei das Expertentum in Österreich ein wenig verstreut, und es fehle eine zentrale Auskunft- und Anlaufstelle für die Entscheidungsträger. Deshalb plane man ein Institut speziell für Pandemien und Infektionskrankheiten aufzubauen.
Bezüglich der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus sei man sich einig gewesen, dass es eine "enorme Herausforderung für die Politik und Gesellschaft" gewesen sei, in Eile und bei unsicherer Faktenlage Entscheidungen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen, sagte Magdalena Pöschl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. An den entsprechenden Verordnungen habe es aber teils massive Kritik gegeben. Aus rechtlicher Sicht und für eine effektive Verhaltenssteuerung sei es sehr wichtig, dass die Normen auch in Krisenzeiten klar und eindeutig sind und korrekt kommuniziert werden. Dazu braucht es aber legistischen Sachverstand, den man strukturierter den Entscheidungsträgern übermitteln sollte, erklärte sie. Dieser müsse zum Beispiel in den Ministerien verstärkt werden. Der Verfassungsgerichtshof könnte sich außerdem selber bemächtigen, auch schon außer Kraft gelaufene Verordnungen als verfassungswidrig einzustufen.
Pandemie-Schock und langsame Klimakrise
Die Coronapandemie sei ein Schock für die Bevölkerung gewesen, die Klimakrise sei hingegen eine langsam voranschreitende Krise, erklärte Sigrid Stagl vom Institut für Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien. Man habe beobachten können, dass Entscheidungsträger ganz anders darauf reagieren, "weil es viel schwieriger ist, die Leute auf eine latente Krise zu sensibilisieren, als auf einen Schock", sagte sie. Derzeit hofften alle, dass es möglich ist, das Wirtschaftswachstum beizubehalten und gleichzeitig die Umweltschäden zu reduzieren. Dies sei zwar noch nicht wirklich gelungen, aber es gäbe eventuell eine leichte Entkoppelung. Bei der Finanzkrise habe sie beobachtet, dass die Konjunkturpakete genau diese Entkoppelung konterkarierten. "Ich hoffe, dass es jetzt anders gemacht wird bei den Konjunkturpakten in der aktuellen Krise."
Service: Zu diesem Thema gibt es ein aktuelles Interview mit Anton Zeilinger im Rahmen des Dossiers "Weise den Weg weisen" (http://science.apa.at/dossier/politik) auf APA-Science: http://go.apa.at/GQci8mrz