Klimapolitik mit ohne Wissenschaft
Nicht erst seit gestern warnen die Wissenschafter vor einer von Menschen verursachte Klimakrise, die eine menschliche Existenz auf der Erde gefährdet. Beharrlich klopfen sie an die Pforten der Politik, mit Berechnungen und Maßnahmen, wie man den Treibhausgaseffekt in erträglichem Rahmen begrenzen könne. Sie öffnen sich einen Spalt, man verspricht und vertröstet auf später.
Ein neues Virus bedroht die Menschen. Eilig werden Wissenschafter und Mediziner in Krisenstäbe und Task Forces berufen, ihre täglichen Berechnungen und Modelle sind maßgeblich für die strikten Maßnahmen die man sofort zum Schutz der Bevölkerung setzt. Sie sind in alle Entscheidungen eingebunden.
Wieso holt man sich in der Covid-19-Krise weltweit in den meisten Ländern den Rat der Experten, während man bei der Klimakrise äußerst zögerlich darauf reagiert?
Sanctus der Wissenschaft
"Bei Corona war der Hauptgrund, dass man sehr drastische Maßnahmen gesetzt hat und dafür wollte man den Sanctus der Wissenschaft, damit man argumentieren kann, warum man das macht", erklärt Herbert Formayer vom Institut für Meteorologie und Klimatologie der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. "Bei der Klimakrise hätten die Politiker gerne den Sanctus, dass es O.K. ist, wenn man nichts macht, aber sie wissen, dass sie den von uns nicht kriegen, also wollen sie nicht, dass wir im Vordergrund stehen", meint er.
"Die Politiker wollten sich damit auch eine gewisse Absicherung schaffen", sagt Helga Kromp-Kolb vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der BOKU, die auch dem österreichischen Klimaforschungsnetzwerk Climate Change Centre Austria (CCCA) vorsteht: "Wenn sie nach dem Rat der Wissenschafter handeln, sind sie nicht im vollen Ausmaß selbst verantwortlich."
"Fragt man Politiker, ober sie auf die Wissenschafter hören und ihre Erkenntnisse in ihren Entscheidungen berücksichtigen, werden sie immer 'Ja' sagen – wir sehen aber gerade, dass Regierungen nur sehr selektiv auf Wissenschafter hören, und zwar dann, wenn sich die Ratschläge mit dem überschneiden, was in ihrem eigenen Interesse liegt", so Thomas Schinko vom Risk and Resilience Program des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. Bei der Coronakrise würden katastrophale Zustände mit vielen Tausend Toten sicher nicht dazu beitragen, dass ein Politiker in der Regierung wiedergewählt wird, was wohl zu seinen Haupt-Interessen gehört. In der Klimapolitik wären die Überschneidungen von politischen Interessen und einem ambitionierten Vorgehen derzeit aber nur "sehr mäßig", meint er.
Kurzfristige Auswirkungen und spätere Folgen
Der wichtigste Grund dafür ist für Schinko, "dass Ursache und Wirkung bei der Klimakrise eine starke räumliche und zeitliche Distanz aufweisen". Wenn die Versäumnisse glasklar erkennbar werden und die Katastrophe schließlich eintritt, ist der Politiker wahrscheinlich nicht mehr an der Macht, außerdem sind jene Länder, die sie verursachen, nicht jene, die am stärksten unter ihren Folgen leiden werden.
Die Auswirkungen von zu laxen, unzureichenden Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wurden hingegen stets kurzfristig, innerhalb von wenigen Wochen sichtbar, und zwar im eigenen Land und nicht irgendwo anders - zum Beispiel in Großbritannien und den USA, wo die verantwortlichen Politiker deshalb massiv kritisiert werden. Spätestens bei der nächsten Wahl würden sie dafür zur Rechenschaft gezogen, so Kromp-Kolb.
Politiker haben außerdem selbst unmittelbar die Folgen von Covid-19 am eigenen Leib verspürt, wie etwa der britische Premierminister Boris Johnson und ein Mitglied des australischen Parlaments, erklärte Schinko. Trotzdem setzten die Entscheidungsträger auch in der Coronakrise anfangs nur zögerlich Maßnahmen. "Dann hat man aber an Italien gesehen, wie schnell etwas passieren kann, wenn man nicht früh genug einschneidende und umfassende Maßnahmen setzt, und auch für Österreich zeigten die ersten Modellsimulationen, dass auch hier das Gesundheitssystem an die Grenzen hätte stoßen können, was zu vielen Todesfällen hätte führen können", so der Risikoforscher.
Kein Impfstoff gegen Klimakrise
Zudem geht man davon aus, dass die Maßnahmen nur so lange aufrecht sein müssen, bis man zum Beispiel einen Impfstoff gegen das Virus hat. "Gegen die Klimakrise wird es aber niemals einen Impfstoff geben, und auch die Maßnahmen werden nicht zeitlich begrenzt sein", sagt er. Außerdem liegen bei der Klimakrise nicht so wie bei der Covid-19-Epidemie sowohl die Kosten wie auch der Nutzen im Hier und Jetzt. Bei ihr müssten heute die größten Anstrengungen getätigt werden, und zwar in den reichen Industrieländern, weil sie die größten Treibhausgas-Verursacher sind. "Nutznießer" eines weiterhin menschenfreundlichen Klimas wären aber vor allem die folgenden Generationen, und die ärmeren Staaten im globalen Süden, die am stärksten betroffen sein werden.
Man übersehe gerne, dass die Klimakrise durch die weiterhin steigenden Treibhausgasemissionen näher und näher rücke, und auch vor reichen Ländern wie Österreich nicht halt mache. Eine Häufung von Extremereignissen wie Überschwemmungen, Dürren und dadurch folgende Borkenkäferschäden zeugen bereits heute davon. Dennoch sei eine ambitionierte Klimapolitik derzeit noch nicht von einer demokratischen Mehrheit gestützt. Demnach haben die Entscheidungsträger sogar Interesse, die Klimawissenschaft nicht in der Politik mit Task Forces und Beiräten zu institutionalisieren, damit sie nicht so große Sichtbarkeit bekommt, erklärt Formayer. Im Hintergrund gäbe es durchaus immer wieder Konsultationen und einen "sehr guten informellen Austausch mit der Administration in den Ministerien auf verschiedenen Ebenen bis zum Abteilungsleiter. "Bis dorthin sind wir gut vernetzt und dort sitzen auch sehr gute Leute, die teilweise selbst aus der Wissenschaft kommen", sagt er: "Ab dem Sektionschef wird es dann aber oft sehr politisch."
Taffe Kommunikation
Wenn die Politik es ernst meint, eine Krise zu bekämpfen, kommuniziert sie auch ganz anders als derzeit beim Klimaschutz, dies sehe man bei der Covid-19-Pandemie, sagt Formayer: "Da wird sehr deutlich auf allen Ebenen klar gemacht, warum etwas notwendig ist, und auf allen Ebenen in die gleiche Richtung kommuniziert - da sieht man gleich, wenn etwas gewollt wird." Aus Sicht der Klimaforschung sei für ihn erkennbar: "So lange so lasch argumentiert und kommuniziert wird, passiert wahrscheinlich nichts." So lange würden auch keine Gremien mit nennenswerter Durchschlagskraft aufgestellt. "Die wissenschaftlichen Beiräte, die vor die Medien geschickt werden, um den Kurs der Regierung zu verteidigen, wird es erst geben, wenn auch im Klimakonnex Maßnahmen gesetzt werden, die nicht nur positiv sind, und es eine Argumentationslinie für die Politik braucht, damit es getan werden kann", erklärte er. Wenn es etwas umzusetzen gibt, das nicht alle glücklich macht, würde die Politik rasch die Wissenschafter als Kommunikationsgehilfen gebrauchen.
Ein erstes Zeichen, dass es mit dem Klimaschutz ernst gemeint ist, kommt aus der Bundeshauptstadt. Dort wurde 2019 der Wiener Klimarat ins Leben gerufen, der durchaus mit honorigen Wissenschaftern, unter ihnen die Klimaforscherin Kromp-Kolb, besetzt ist. Wie sehr die Stadtpolitik auf ihn hört, würde die Zukunft zeigen, so die Experten.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Bis die Politik die Klimawissenschafter adäquat in den Entscheidungsprozess einbindet, bleibt ihnen aber nichts anders über, als selbst an die Öffentlichkeit zu treten und ihren Rat quasi ständig aufzudrängen. "Ich sehe das als unsere Pflicht, solange die Politik nicht von sich aus aktiv wird", sagt Kromp-Kolb. Um ihre Botschaften an die Politik und Öffentlichkeit bringen zu können, haben die österreichischen Klimaforscher 2011 das CCCA gegründet. Sie verfassen informative Hintergrundpapiere und haben zum Beispiel einen "Referenz-Nationalen Energie- und Klimaplan" erstellt, den sie im September 2019 mit einer Pressekonferenz vorstellten. "Wir sind also von uns aus aktiv, wo es uns sinnvoll erscheint, und reagieren, wenn die Politik fragt, was erfreulicherweise auch ab und an passiert", so die Klimaexpertin. "Es wäre natürlich besser, wie man es in der Corona-Krise gesehen hat, wenn man die Wissenschaft direkt einbindet, denn das ist viel effizienter", meint Formayer: "Aber im Klimaschutzbereich hat man offensichtlich dieses Level der Umsetzung noch nicht erreicht."
Druck aus der Bevölkerung notwendig
"Nicht nur als Wissenschafter, sondern auch als besorgter Bürger glaube ich, dass es jetzt darum geht, Koalitionen quer durch die Bevölkerung zu schmieden", sagt Schinko: Ambitionierter Klimaschutz würde nur umgesetzt, wenn die Bevölkerung ein sehr deutliches Zeichen an die demokratisch gewählten Entscheidungsträger sendet, dass sie für solche Veränderungen bereit ist und diese sogar fordert. "Wir Forscher und Forscherinnen aus dem Klima-Nachhaltigkeitsbereich sind mit der Scientists for Future Bewegung auch schon einen großen Schritt aus unseren Elfenbeintürmen herausgetreten und haben die gesellschaftliche Verantwortung verstärkt wahrgenommen", erklärt er. Damit unterstützen die Wissenschafter die Fridays for Future Bewegung inhaltlich, die wiederum mit den Organisatoren des Klimavolksbegehrens zusammenarbeiten.
Die beiden Initiativen haben sich nun wiederum an die Politik gewendet und fordern in einem offenen Brief vehement die Einbindung der Klimawissenschafter in die Konjunkturpakete.
Post-Corona Maßnahmen sind kritisch für Klimapolitik
Jetzt ist ein sehr kritischer Zeitpunkt für die Klimapolitik, sind sich die Experten einig. "Alles was wir machen, um aus der durch die Corona-Maßnahmen ausgelösten Wirtschaftskrise herauszukommen, ist entscheidend für die kommenden Jahrzehnte", sagt Schinko: "Wenn man jetzt sagt: Vergessen wir mal die nächsten ein bis zwei Jahre den Klimaschutz, jetzt müssen wir die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen, die AUA wieder in die Luft bringen, und die konventionellen Industriezweige wieder zum Leben erwecken - dann haben wir wenig Chance."
Die Klimaforschung zeige genau: Die Menschheit hat maximal zehn Jahre Zeit, um die Kurve noch zu kratzen, und den Klimawandel auf ein erträgliches Maß einzudämmen. Heutige Investitionen hätten eine Wirkungsdauer von 10 bis 30 Jahren und schaffen eine Pfadabhängigkeit, die man nicht so einfach auflösen kann. "Wir versuchen massiv zu kommunizieren, dass genau jetzt Maßnahmen gesetzt werden müssen, die zu einer nachhaltigen Entwicklung führen", so Formayer. Es wäre katastrophal, nun rasch eine von fossilen Quellen abhängige Wirtschaft hochzufahren, die man dann wieder umgestalten und einbremsen müsste. "Es muss hier wirklich eine Umlenkung der Geldflüsse in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung geben", meint er. Als Beispiel nennt er ein europäisches Verkehrskonzept ohne Billigflieger zu realisieren, bevor der Flugverkehr kostspielig mit Staatshilfe wieder hochgefahren wird.
Fleischlose Unterstützung
Auch im Kleinen sollte man an bei den Konjunkturpaketen an den Klimaschutz denken und dazu die Wissenschafter einbinden, erklärt Kromp-Kolb: "Wenn in irgendeinem Ministerbüro oder einer Abteilung zum Beispiel ausgesonnen wird, wie man den Gastwirten aus der Krise hilft, wäre es schön, wenn jemand vom Fach dabei säße", meint sie. Jener Experte würde wohl vorschlagen, dass man dies an Bedingungen knüpft und zum Beispiel jene Betriebe länger oder stärker unterstützt, die sich verpflichten regionale, saisonale und biologische Gerichte auf den Tisch zu bringen, und einen gewissen Prozentsatz fleischloser Menüs auf der Karte haben. "Dann hätten wir etwas für die Gesundheit der Gäste getan, für die hiesigen Bauern, für das Klima und die Wirte würde es nicht stören", sagt sie: "Ich glaube nämlich nicht, dass es irgendeinen Koch gibt, der kein fleischloses Gericht zustande bringt."
Vielfalt der Blickwinkel nötig
Doch auch bei der Covid-19 Pandemie sei nicht alles perfekt gelaufen, so Kromp-Kolb: "Ich vermisse, dass man die Vielfalt der Meinungen und Blickwinkel einholt". Freilich wären in den ersten Tagen der Krise Geschwindigkeit und schnelle Reaktionen gefragt gewesen, aber danach hätten Wissenschafter aus verschiedenen Bereichen, also neben Virologen auch Umwelthygieniker, Sozialmediziner und andere Experten die unterschiedlichen Blickwinkel zusammenfassen und den Politikern ein vollständigeres Bild liefern sollen. Somit hätten diese besser Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Maßnahmen abwägen können. Auch den Umgang mit unterschiedlichen Meinungen kritisiert sie: "Was mich sehr beunruhigt ist, dass derzeit die Gegenmeinungen als Verschwörungstheorien und Beschwichtigung abgetan und die Personen angegriffen werden, aber nicht ihre Sachargumente." In der Klimawissenschaft habe man hingegen gelernt, auch noch so abstrus wirkende Gegenpositionen ernsthaft zu prüfen und erst nach eingehender Überprüfung auf Basis von Argumenten zu widerlegen.
Von Jochen Stadler / APA-Science