Politik am Prüfstand: "Kaufen lässt sich keiner"
Bessere Schnittstellen, mehr Evaluierungen und weniger Einflussnahme – das könnte das komplexe Verhältnis zwischen Forschung und Politik deutlich verbessern. Derzeit nehme der Druck auf die Wissenschaft, unerwünschte Resultate "klein" zu schreiben, aber zu, erklärte Klaus Schuch, Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI).
"Politisches Handeln sollte sich immer einer Evaluierung unterziehen. Das wird im Forschungs-, Technologie- und Innovationsbereich (FTI) auch gemacht. Es sind aber bei weitem nicht alle Abteilungen und Ministerien bereit, sich in diesen Diskurs zu begeben", so Schuch im Gespräch mit APA-Science. Die Ergebnisse würden zur Kenntnis genommen und ab und zu führe es auch zu Änderungen in den politischen Instrumenten, etwa bei Fördermaßnahmen. Allerdings müsse man eine solche Evaluierungskultur etablieren, kultivieren sowie dialog- und konfliktbereit sein.
"Das hat im FTI-Bereich 20 bis 30 Jahre gedauert und funktioniert vielleicht deshalb, weil Forschungspolitik nie ein so umkämpftes Politikfeld war wie etwa der Bildungsbereich, wo es oft darum geht, den politischen Gegner zu ärgern", ist der Experte überzeugt. Viele dieser Studien, die nicht die erwünschten oder erwarteten Resultate liefern, würden direkt in die Schublade wandern. Bei der österreichischen Plattform für Forschungs- und Technologiepolitikevaluierung (fteval), deren Geschäftsführer Schuch ist, habe man den Anspruch, annähernd 100 Prozent zu veröffentlichen.
Zahlreiche Spannungsfelder
"Es gibt immer die Gefahr, dass man von der Politik instrumentalisiert wird. Davor scheuen sich viele Forscherinnen und Forscher – und zwar zu Recht. Dennoch muss man sich mit Politikerinnen und Politikern auseinandersetzen, wenn man Erkenntnisse hat, die evidenzbasiert sind und geteilt werden müssen. In der Migrations- und Integrationspolitik gibt es zum Beispiel viele Studien, die aus politischen Gründen einfach ignoriert werden. Das ist nicht unbedingt etwas, mit dem sich die Regierung aktuell schmückt", so Schuch.
"Der Druck ist gestiegen, dass man das liefert, was die andere Seite hören will", verweist der ZSI-Chef auf die "berühmte" Kindergarten-Studie, "wo ja das Ministerium sogar reingeschrieben hat". Hier habe man völlig übers Ziel geschossen. "Wenn ich als Forscher höre, dass so etwas passiert, werde ich natürlich sehr aufmerksam", erklärte Schuch. In so einem Fall sei eine Interessengemeinschaft wie die fteval sehr nützlich: "Da muss man sich nicht alleine dagegen zur Wehr setzen und kann rückmelden: Liebe Leute, so geht das nicht! Wir lassen uns keinen Ghostwriter aus dem Ministerium reinsetzen."
Täglicher Kampf wird härter
Zum Teil werde versucht, sehr weit Einfluss auf die Evaluierung zu nehmen. "Aber ich glaube, dass man am Markt damit nicht lange besteht, wenn man Gefälligkeitsgutachten macht. Da wird man von der Community auch geschnitten. Ethische Grenzen sind in der Evaluierung ganz wesentlich. Aber es ist ein täglicher Kampf, der schon ein bisschen härter geworden ist", sagte der Experte. Zu beachten sei auch, dass die Entscheidung über die Fragestellungen bei ausgeschriebenen Evaluierungen bei den Auftraggebern liegt. "Sind das dann tatsächlich die spannenden, aber auch konfliktträchtigen oder nur prozesshafte Fragestellungen?", gibt Schuch zu bedenken.
Er plädiert daher für mehr auftragsungebundene Forschung. "Da fehlt es im FTI-Politikbereich in Österreich durchaus. Die Universitäten machen das nur sehr eingeschränkt, obwohl sie prinzipiell die Möglichkeiten hätten. Das ist eher das Feld der außeruniversitären Einrichtungen, die aber meist am Geldtropf hängen. Dennoch muss man dazu sagen: Kaufen lässt sich keiner, zumindest nicht in der fteval", ist der ZSI-Chef überzeugt. Es dürfe keine Diktatur der Wissenschaft über die Politik geben, umgekehrt sei aber auch ein Eingriff der Politik in die Wissenschaft ausgeschlossen.
Wissenschaft hat nur beratende Funktion
"Ich erwarte mir von Politik, dass sie im besten Sinne des Wortes politisch agiert – also aufklärend, Optionen darlegend und das Gemeinwohl im Auge habend. Die Forschung hat ihre eigene Agenda und eher eine Hilfsfunktion. Sie zeigt auf, wo Probleme sind und wie sie überwunden werden können. Aber es gibt natürlich immer Optionen. Und für das Ziehen von Optionen ist die Politik zuständig", so Schuch. Stärker verankert werden müsse, wie wichtig wissenschaftliche Evidenz ist: "Da gehört nachgebessert. Außerdem braucht es deutlich mehr Schnittstellen als die, die es bisher gibt."
Die klassische Schnittstelle in Österreich sei die Ministerialbürokratie, die Studien in Auftrag gibt, die Themen auch selbst recherchiert oder mit Forschern arbeitet. Hier gebe es aktuell zwei Probleme: "Einerseits schotten sich die Kabinette zunehmend von ihren Ministerialbeamten ab, die Durchlässigkeit nimmt also ab. Zweitens brauchen die Ministerien einen Spielraum bei den Ermessensausgaben, sonst können sie keine neuen Studien in Auftrag geben oder auf ein neues politisches oder auch epidemiologisches Umfeld reagieren. Inzwischen gibt es fast keine Ermessensausgaben mehr. Damit entledigt man sich einer Möglichkeit, Grundlagen für evidenzbasiertes politisches Handeln zu schaffen", kritisiert Schuch.
Transparente Besetzung notwendig
Zusätzlich zu dieser Schnittstelle brauche es mehr Austauschforen mit politischen Gruppen, beispielsweise den Parlamentsausschüssen. "Hier muss ein Diskurs über aktuelle Themen – teilweise auf Nachfrage der Politiker oder aufgrund neu gewonnener Resultate – stattfinden. Das gehört organisiert und finanziert. Außerdem muss transparent gemacht werden, wer da drinnen ist, und sichergestellt werden, dass nicht immer die gleichen Personen zum Zug kommen", so Schuch. Derzeit verlasse man sich bei der Expertensuche oft auf das Schneeballsystem – "einer verweist auf den anderen". Neben diesen "Bekanntschaften" gebe es aber auch ausgewiesene Suchprozesse, durch die sich die gewünschten Spezialisten aufspüren lassen.
Ob man Experten für ihre Dienste bezahlen sollte? "Vor allem außeruniversitären Institutionen muss man das auch entsprechend vergüten, denn die leben ja von Beratungsaufträgen und Studien, die sie kompetitiv eingeworben haben. Bei Menschen, die auf einem Planposten sitzen, frage ich mich aber schon, warum man denen noch etwas geben sollte. Wenn die Position ohnehin schon bezahlt ist, kann man das ja kostenlos machen", appelliert Schuch an das Selbstverständnis der Forscher, in Politik und Gesellschaft eine Wirkung zu hinterlassen.
In der aktuellen Coronakrise sei die Stimme der Wissenschaft jedenfalls gehört worden. Hinterfragen müsse man aber, in welche Bereiche die Mittel geflossen sind. "Für die Impfstoff- und Medikamentenforschung wurde viel ausgegeben, hinsichtlich sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen war das aber eher ein Trauerspiel. Ohne den Wiener Wissenschafts- und Technologiefonds WWTF hätte es düster ausgesehen", so Schuch. Außerdem sei von manchen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen "die einmalige Chance erkannt worden, so einen Ausnahmezustand zu beforschen und Aspekte zu beleuchten, die sonst einfach untergehen. So einen Lockdown hat es ja noch nicht gegeben."
Von Stefan Thaler / APA-Science