"Framing": Der Deutungsrahmen macht die Botschaft
Elisabeth Wehlings Expertise hat in Zeiten von "postfaktischen" politischen Debatten und "Fake News" Hochkonjunktur. Die deutsche Sprachwissenschafterin hat sich auf das Thema "Framing" spezialisiert, ein Konzept, das die grundlegenden Mechanismen politischer Sprache erklärt. Zu verstehen, wie genau welche Botschaften beim Rezipienten ankommen, ist entscheidend für eine gerechtere Demokratie, ist die an der University of California, Berkeley, forschende Linguistin überzeugt.
Die Ideale der Aufklärung sind ... Ideale. Denn dass Menschen vernunftgesteuerte Wesen sind, die in Abwägung aller relevanten Fakten objektive, rationale Entscheidungen treffen, greift nicht nur angesichts neuester Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionswissenschaft zu kurz. Mehr noch, es geht an der Realität vorbei, argumentiert Wehling in ihrem 2016 erschienenen Buch "Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht". In politischen Debatten seien "nicht Fakten an und für sich entscheidend, sondern gedankliche Deutungsrahmen, in der kognitiven Wissenschaft Frames genannt", heißt es in dem Buch, in dem sie eindringlich dafür plädiert, "unsere Naivität gegenüber der Bedeutung von Sprache in der Politik abzulegen."
Wenn es gilt, Worte oder Ideen zu begreifen, aktiviert das Gehirn einen Deutungsrahmen ("Frame"), dessen Inhalt und Struktur sich aus den Erfahrungen mit der Welt speist - sowohl körperliche Erfahrungen mit Bewegungsabläufen und Handlungen wie auch mit Sprache und Kultur. "Das ist an sich kein neues Phänomen, so hat Kommunikation und Denken schon immer funktioniert", wie Wehling im Interview mit APA-Science erklärt - mit einem Unterschied: "Um zu sehen, wie das Entscheiden beeinflusst wird, haben wir heute mit den Methoden der Gehirnforschung aber auch der Verhaltenspsychologie die Möglichkeit, diese Prozesse viel detaillierter nachzuvollziehen, als das früher der Fall war."
Über Worte aufgerufene Frames haben also nicht nur Denken und Wahrnehmung des Menschen, sondern auch Handeln und Bewegungen fest im Griff, ist eine der Hauptbotschaften Wehlings. Die Linguistin zitiert dazu Studien wie jene, bei der Probanden Texte mit Worten zu lesen bekamen, die an einen alten Menschen denken ließen - "grau", "vergesslich", "faltig" etc. Eine andere Gruppe erhielt einen in dieser Hinsicht neutralen Text vorgelegt. Anschließend maßen die Versuchsleiter heimlich, wie schnell sich die Probanden beim Verlassen des Gebäudes einen Korridor entlang bewegten, um zu einem Aufzug zu gelangen. Ergebnis: Jene Teilnehmer mit den "alten" Begriffen bewegten sich signifikant langsamer als jene, die einen neutralen Text gelesen hatten.
Diskursanalyse...
Methodisch nähern sich Wehling und ihr Team einem Thema je nach dem aktuellen Forschungsschwerpunkt auf verschiedene Arten an. Aus der Gehirn- und Kognitionsforschung stammende Erkenntnisse darüber wie Worte funktionieren, bilden die Basis für die sogenannte konzeptuelle Diskursanalyse. Bei einer gehäuften Verwendung von Phrasen wie eine "schmutzige Steueraffäre" oder ein "reines Gewissen" bzw. eine "weiße Weste" lasse sich ein Framing identifizieren, das ganz klar konservativen Gruppen in die Hände spiele, denn: "Menschen in der politischen Mitte, die ideologisch noch unentschieden sind, lassen sich ganz besonders von Reinheits- und Schmutzkonzepten hin zum Konservativen drängen."
...und Verhaltensforschung...
Weitere Erkenntnisse stammen aus der Verhaltensforschung, aus Framing-Experimenten. So wurde vor der US-Präsidentschaftswahl in einem Online-Experiment erhoben, wie noch zwischen Trump und Clinton unentschiedene Wähler ("Swing Voters") ideologisch aufgestellt sind. Diese politische Mitte beschreibt Wehling als halb "streng ideologisch" - mit Werten wie Sozialdarwinismus, Disziplin, Bestrafung, moralischen Hierarchien - und halb "fürsorglich", hier zählen Werte wie Empathie, Kooperation, menschliches Wohlwollen.
Konfrontiert mit "faktischen" Argumenten - allerdings "erforscht" von fiktiven Experten der "Universität Tinneroy" (etwa: "Unter einer Regierung Trump wird die Arbeitslosigkeit um zehn Prozent steigen"), bewegten sich die Wechselwähler weder zu Trump noch zu Clinton. Anders in der zweiten Stufe, als "moralische" Framings ins Spiel gebracht wurden. Als die "Experten" nun dahin gehend zitiert wurden, unter Trump würden "Werte wie Selbstdisziplin und des moralischen Eigeninteresses endlich wieder hochgehalten werden in Amerika", bewegten sich die Leute sogleich signifikant zu Trump.
Wirkungsweise von Frames
Alle Methoden - darunter auch die Auswertung von Magnetresonanztomographie (MRT)-Aufnahmen des Gehirns - führen am Ende zur Erkenntnis, dass Fakten und Framings nur in einer sinnvollen Kombination miteinander die volle Wirkung erzielen. "In der Regel ist es so: Das schönste Framing nützt nichts ohne Fakten, aber auch die schönsten Fakten nützen rein gar nichts wenn Sie nicht mit einem Framing Ihre Sicht auf die Dinge begreifbar machen, also Ihre Handlungsmotivation dazu", so Wehling.
Trump habe es in einem "hoch ideologischen" Wahlkampf verstanden, seine Werte begreifbar zu machen - ob einem das gefalle oder nicht. Trotz erfolgreicher Framings fehlten ihm zum Teil jedoch Fakten und Programmatik. Das machte er wett, indem er seine Marke als "authentischer" Saubermann etablieren konnte. "Mit eindringlichen Framings, die das politische Vorhaben von alltäglicher Moral begreifbar machen, erreichen Sie die Menschen, und zwar aus einem sehr guten Grund. Die politische Moral ist nicht abgetrennt von der alltäglichen Moral sondern sie ist deren Erweiterung. Das was ich im Alltag richtig und falsch finde, finde ich auch in der Politik richtig und falsch."
Es gebe daher keine Frames in der politischen Debatte, die objektiv besser oder schlechter sind, sondern nur solche, die authentisch die eigene Sicht auf die Dinge kommunizieren oder eben nicht. Wer somit kommunizieren möchte, dass ihm die menschlichen Einzelschicksale des Kriegs in Syrien wichtig sind, der sollte demgemäß auch von Menschen auf der Flucht sprechen, die Schutz suchen - nicht von Flüchtlingskrisen und -Strömen und -Wellen, so die Linguistin: "Das Wort Flüchtling ist ein Frame. In der deutschen Form ist das Wort männlich, es heißt DER Flüchtling, nicht DIE Flüchtling. Damit wird sofort ein Frame aktiviert, der unter anderem dazu führt, dass stereotype Merkmale von Männlichkeit übertragen werden, bewusst oder unbewusst, auf die Person oder die Personengruppe. Nämlich jener Frame, der die Gruppe der geflüchteten Menschen oder Menschen auf der Flucht greifbar macht, eher in Form von männlichen Stereotypen, gepaart mit Geschichten mit Aggression, Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen."
Postfaktisch? Präfaktisch!
Wie ist das nun mit dem bereits notorischen "postfaktischen" Zeitalter, das im Vorjahr ausgerufen wurde? "Das ist natürlich ein völlig falscher Ansatz - das Problem ist eigentlich nicht postfaktisch, sondern präfaktisch", betont Wehling. "Vor den Fakten kommt der Mensch in jedem politischen Moment mit einer Weltanschauung. Innerhalb dieser Weltanschauung interpretiert er die Fakten, leitet politische Handlungsvorschläge ab und kommuniziert diese dann." Kommuniziere man mit Worten, die man selbst nicht begreift oder mit Fakten, die die eigene Weltsicht nicht mit transportieren, dann sei die Kommunikation fehlgeschlagen.
Mehr denn je war jüngst in diesem Zusammenhang von Frames die Rede, und doch ärgert sich Wehling besonders über ein hartnäckiges Missverständnis, wonach Framing eine Gegenüberstellung von Fakten mit Emotion bedeute. Wenn Politiker nun glauben würden, nicht mehr über Fakten sprechen zu müssen, sondern stattdessen nur noch an Emotionen zu appellieren versuchen, dann irrten sie: "Die Vereinfachung von Politik auf Emotion ist völlig falsch. Es ist genau das Gegenteil. Man muss die ideologischen Unterschiede, die zu unterschiedlichen politischen Plattformen führen, begreifbar machen. Am ehrlichsten ist immer das ideologische oder moralische Framing, das Begreifbarmachen der eigenen Denkweise im Sinne der eigenen Weltanschauung. Und zwar nicht nur, weil man damit Wahlen gewinnt, sondern weil das demokratisch und ehrlich ist."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science