"Wer schreit lauter 'Fake'? Der Kampf um die Deutungshoheit ist entbrannt"
"Fake News!" Eine Anklage hallt durch das Land - zumindest aber durch den (digitalen) Blätterwald. Es ist ja auch schnell geschrieben. Oder geschrien. Doch gerade Journalisten sollten sich hüten, solch einen Begriff überzustrapazieren. Wird er inflationär und muss für alles herhalten, was einem nicht in den Kram passt, werden Gegenstrategien unmöglich.
Was sind denn "Fake News" überhaupt? Eine klassische Falschmeldung, sagt der Bauch. Doch der Kopf schaut sich im Netz um und sieht noch viel mehr. Facebook-Seiten - und längst nicht nur solche mit rechter Schlagseite - teilen Content von bekannten und anerkannten Medien, und nur der Anreißer des Postings reicht aus, einer an sich unverdächtigen Meldung einen Drall ganz nach Gusto des Seitenbetreibers zu verleihen. Eine nüchterne Zeitungsmeldung über die Kriminalstatistik, versehen mit dem dezenten Begleittext "Stopp dem ASYLWAHNSINN!!!" suggeriert etwas, das nirgends behauptet wird. Ist das eine Falschmeldung oder "nur" klassisches "Framing"?
Selektive Information reicht oft schon aus, um die Wahrheit zu verschleiern. Doch ist das Weglassen von Fakten bereits "postfaktisch"? Generalisierung und Zuspitzung, Manipulation und Desinformation gehören zu den liebsten Strategien jener, die Facebook und Twitter für ihre Agenda nutzen. Doch wo setzt hier der professionelle Faktencheck an?
Dazu kommt: Auch viele echte Falschmeldungen sind vom Nachrichtenwert her per se nicht relevant genug, um einen Platz in der überregionalen Berichterstattung zu finden. Zwei Männer verirren sich im Hallenbad einer niederösterreichischen Stadt in die Damensauna (und verlassen diese umgehend wieder). Sind das Breaking News? Nach dem Motto "Kleinvieh macht auch Mist" wird hier ein postmediales Grundrauschen erzeugt.
Wir kennen die alte Mahnung an Kinder: Wer allzu schnell "Feuer" schreit, vergrämt irgendwann die Feuerwehr. Wenn Politiker, aber auch Journalisten, unliebsame Äußerungen als "Fake" abtun und abwehren, werden die echten und gefährlichen Falschmeldungen gar nicht mehr wahrgenommen. Und man sollte sich hüten, den Hype noch zu befeuern. Denn für viele, die vor einem Jahr noch "Lügenpresse" riefen, ist "Fake News" schon der neue Kampfbegriff. Die Deutungshoheit über den Terminus ist nicht geklärt, was ihn per se abwertet.
A propos Faktencheck: Auch so ein Buzzword, das bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit in die Runde geworfen wird. Manchmal kommt man schier ins Staunen, wie sich Journalisten stolz auf die Schulter klopfen, weil sie ihren Job machen. Check, Recheck, etc. - das ist doch wohl die goldene Regel des (Qualitäts-)Journalismus. Fact Checking, wie es derzeit boomt, ist anders gemeint. Zum einen die akribische Hinterfragung einer behaupteten Tatsache, inklusive des Werdegangs und der Herkunft dieser Behauptung. Zum anderen in einem Live-Kontext wie TV-Diskussionen, wenn etwa Aussage gegen Aussage steht und die "Wahrheit" nicht unmittelbar geklärt werden kann.
Doch was passiert, wenn eine Journalistin eine Falschmeldung auf Facebook findet, recherchiert, die Falschheit beweist und darüber schreibt: Die traurige Wahrheit: zuerst einmal gar nichts. Nachdem eine APA-Kollegin berichtet hatte, dass ein Post über eine angebliche Attacke auf ein muslimisches Mädchen schlicht "fake" war, konnte sie noch stundenlang dabei zuschauen, wie der Beitrag eifrig geteilt und kommentiert wurde. Erst Tage danach räumten die Seitenbetreiber ihren Fake ein und löschten den Post - sinnlos, weil er ohnehin bereits da draußen unterwegs war. Ihre Entschuldigung im Wortlaut: "Bitte um Verständnis wir sind keine Profi Journalisten, aber sehr lernbereit."
Nein, sie sind keine Profijournalisten. Sie sind überhaupt keine Journalisten. Doch dass in den "sozialen" Netzwerken Menschen Informationen verbreiten und das mit dem Gefühl, zumindest "Amateurjournalisten" zu sein, erzeugt dieses Unbehagen bei uns Medienschaffenden im Umgang mit dem Thema. Kein Wunder - bedrohlich ist diese Entwicklung tatsächlich. Doch Angst wird schon genug verbreitet. Die Gegenstrategien liegen auf der Hand, auch wenn sie langweilig klingen: Gelassenheit, journalistisches Handwerk, ethische Grundsätze - und ein bisschen weniger laut "Fake!" schreien.