Umfrage: Das sagt die Community zu Fakten und Fake News
Unser Weltbild ist ein aufgeklärtes. Dennoch werden Ergebnisse aus Forschung und Wissenschaft immer wieder angezweifelt, Fakten verdreht und zu Fake News verändert. Wie gehen Forscherinnen und Forscher, deren Fachgebiete im Kreuzfeuer der Kritik stehen, mit bewusst falschen Darstellungen um? Wir haben die Gentechnikexpertin Alexandra Ribarits, den Kernphysiker Georg Steinhauser, den Stammzellforscher Markus Hengstschläger, die Homöopathie-Kritikerin Natalie Grams und die Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt zur Situation in ihrem Forschungsfeld befragt.
Eigentlich sollte es über bestimmte, gut erforschte Themen einen breiten wissenschaftlichen bzw. gesellschaftlichen Konsens geben. Warum ist das bei Ihrem Forschungsgebiet nicht der Fall?
Alexandra Ribarits: Es stimmt zwar, dass in den letzten Jahrzehnten sehr viel zur Grünen Gentechnik geforscht wurde. Oft können die Arbeiten aber nur bedingt verglichen werden, weil die Experimente sehr unterschiedlich aufgesetzt wurden. Und in manchen Fällen, etwa wenn Tierfütterungsversuche gemacht werden, erreicht die optimale Planbarkeit ihre Grenzen. Noch schwieriger wird es, wenn man die Qualität der Studien, die ja in einem GutachterInnenverfahren geprüft werden und damit grundsätzlich den wissenschaftlichen Kriterien entsprechen, im Detail analysiert. Kurz gesagt: Kritikpunkte wird man fast immer finden!
Sieht man sich aber die Schlussfolgerungen der entsprechenden Publikationen an, dann fällt auf, dass Konsens nur in den zwei entgegengesetzten Standpunkten besteht, nämlich in dem der Gentechnikgegner und jenem der Gentechnikbefürworter. So lassen sich die ebenso gegensätzlichen gesellschaftlichen Meinungen in Wahrheit von den wissenschaftlichen Stimmen ableiten. Erschwerend kommt dazu, dass das Thema Grüne Gentechnik stark emotionalisiert ist. Als Folge ist die Darstellung meist sehr vereinfacht und neigt zur Schwarz-Weiß-Malerei.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine differenzierte Betrachtung der Chancen und Herausforderungen die Leute oft verwundert, um nicht zu sagen unzufrieden zurücklässt. Die Menschen sind dermaßen gewöhnt, dass eindeutig Stellung für oder gegen die Gentechnik bezogen wird - eben auch von WissenschafterInnen - , dass eine abwägende Haltung fast schon exotisch erscheint. Erst langsam beginnt eine tatsächliche Diskussion, aber von einem Konsens sind wir weit entfernt. Da die Meinungen oft schon feststehen, werden unterstützende Argumente gesucht, obwohl es häufig keine geeigneten wissenschaftlichen Grundlagen gibt. So gesehen ist es ein Fortschritt, dass man sich mit dem Selbstbestimmungsrecht seit 2015 auch mit gesellschafts- und agrarpolitischen Gründen für oder gegen den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen entscheiden kann.
Unabhängig davon gilt für die Arbeit der Europäischen Union das Vorsorgeprinzip. Dieses wird angewendet, wenn die wissenschaftliche Bewertung nicht zu hinreichend sicheren Erkenntnissen bezüglich eines möglichen Risikos gelangt. Mögliche Gefahren für die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder die Umwelt müssen erkannt und verhindert werden. Dazu bedient man sich einer Risikobewertung und dem anschließenden Risikomanagement, das heißt, die Behörden entscheiden je nach Risikoniveau über geeignete Maßnahmen. Das ist keine einfache Aufgabe, weil im Fall der Grünen Gentechnik die wissenschaftliche Datenlage sowohl in die eine oder als auch die andere Richtung ausgelegt werden kann.
Georg Steinhauser: Den gesellschaftlichen Dissens in meinem Bereich sehe ich eigentlich primär bei der Frage der Stromerzeugung aus Kernkraft, weniger im Bereich der Nuklearforschung. Der Hauptgrund für die Diskrepanz ist wahrscheinlich die mangelnde Alltagserfahrung: bei manchen Forschungsthemen bringen wir einen gewissen Erfahrungsschatz aus unserem Alltag mit und können damit verbundene Risiken direkt abschätzen. Zum Beispiel werden viele beim Wandern schon einmal einen elektrischen Weidezaun berührt und sich einen elektrischen Schlag eingefangen haben: da erscheint uns die Elektrotechnik nicht mehr als unbekanntes Terrain und folglich als Hochrisikotechnologie. Bei nuklearen Vorgängen fehlt diese Erfahrung aus dem Alltag. Als beängstigende Komponente kommt noch hinzu, dass wir kein Sinnesorgan haben, um diesen Risikofaktor wahrnehmen zu können. Die Schmerzen, die uns der elektrische Schlag am Weidezaun verursacht, wird uns vor einem weiteren Risikoverhalten bewahren. Ionisierende Strahlung wird im menschlichen Organismus keinerlei Reize verursachen, um uns vor ihrer Schadwirkung zu warnen. Das erklärt das latente Unwohlsein, dass viele beim Thema "Strahlung" haben. Ein ganz ähnlicher Mechanismus ist wohl auch für das schlechte Image der Gentechnik verantwortlich. Ionisierende Strahlung lässt sich übrigens leicht messen und damit "sichtbar" machen.
Die Tatsache, dass es im ganzen Tierreich kein Lebewesen gibt, das ein Sinnesorgan für ionisierende Strahlung hat, ist übrigens hochinteressant. Die Natur war extrem einfallsreich und hat für viele physikalische Faktoren, die der Mensch nicht wahrnehmen kann, Sinnesorgane evolutionär entwickelt. Denken wir nur an Tauben, die Magnetfelder wahrnehmen können, oder Fledermäuse, die mit Ultraschall durch die Nacht navigieren, oder Schlangen, die mit einem Infrarotorgan ihre Beute aufspüren. Man muss sich die Frage stellen, warum kein Lebewesen einen Detektor für ionisierende Strahlung entwickelt hat. Offenbar war diese Strahlung nie eine ausreichende evolutionäre Bedrohung. Wenn man bedenkt, dass es Orte auf der Welt gibt, die auf natürliche Weise höher radioaktiv sind als zum Beispiel weite Teile der Sperrzone in Fukushima, so ist dies schon bemerkenswert. Vielleicht sollte uns die Tatsache, dass wir kein Sinnesorgan für Strahlung haben, nicht beunruhigen, sondern eher beruhigen?
Markus Hengstschläger: Die Stammzellforschung ist einerseits noch ein relativ junges Gebiet. Zusätzlich ist es ein Thema, das international rechtlich unterschiedlich geregelt ist und ethisch auch unterschiedlich eingestuft wird: beispielsweise ist die verbrauchende humane embryonale Stammzellenforschung in Österreich und auch anderen EU-Ländern verboten - in vielen Ländern der Welt ist sie aber legal und wird auch praktiziert. Die damit in Zusammenhang stehende Frage nach dem Beginn des individuellen, schützenswerten menschlichen Lebens wird von Naturwissenschaftern, Juristen, Philosophen oder etwa auch den Weltreligionen weltweit sehr unterschiedlich gesehen.
Natalie Grams: Im Fall der Homöopathie gibt es ja einen breiten wissenschaftlichen Konsens, aber in Deutschland auch die einmalige Gesetzessituation der besonderen Therapierichtung, die besagt, dass die Homöopathie von einem Wirknachweis befreit ist - so kann sie der Nachweis der Nichtwirksamkeit auch nicht so einfach aus der Medizin katapultieren. Damit wird es aber natürlich umso schwerer, ihre gesellschaftliche Verankerung anzugehen bzw. sogar aufzulösen. Die Homöopathie ist sozusagen die erste Verschwörungstheorie mit gesellschaftlicher und politischer Adelung der vollen Akzeptanz.
Ursula Wiedermann-Schmidt: Beim Thema Impfen sind verschiedene Aspekte für die kontroversielle Diskussion verantwortlich. Es wird in der Öffentlichkeit sehr emotional diskutiert und jeder hat eine eigene Meinung, die von persönlichen Eindrücken, Erfahrungen, vom Austausch mit anderen, von unterschiedlichsten Informationen aus Medien oder dem Internet getragen wird. Dabei kann vom Laien nicht oder nur schwer unterschieden werden, ob Inhalte auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen oder einfach nur auf Mythen, Anekdoten oder Befindlichkeiten. Meldungen, die Ängste und Emotionen ansprechen, kommen viel leichter an, als "trockene" Informationen, die wissenschaftliche Inhalte vermitteln und oftmals schwer verständlich sind. Ein gutes Beispiel ist das Immunsystem, das in seiner Komplexität schwer vorstellbar ist und ohne Kenntnis der tatsächlichen immunologischen Vorgänge auch nicht leicht oder schnell erklärbar ist. Daher kommen Behauptungen wie "ein starkes Immunsystem braucht keine Impfungen" oder "das Immunsystem wird durch Impfungen überfordert" viel leichter bei der Bevölkerung an, als die Erklärung, dass wir "mit einer Zahl von mehr als 10^12 Immunzellen unterschiedlicher Rezeptorspezifitäten" eine unvorstellbar großen Zahl an Erregern abwehren können und eine Überforderung des Immunsystems durch Impfungen nicht möglich ist.
Dazu kommt auch noch eine Vielzahl von Informationen durch unterschiedliche Interessensgruppen, wodurch wissenschaftliche Inhalte und "State of the Art" in der Öffentlichkeit mit kommerziellen Interessen verquickt wahrgenommen und oft als Geschäftemacherei abgetan werden.
Ein entscheidender Punkt in der Diskussion zum Thema Impfen ist auch die Tatsache, dass Erkrankungen durch die erfolgreichen Impfprogramme stark zurückgedrängt wurden. Daher ist heutzutage die Angst vor vielen einst so gefürchteten Erkrankungen nicht mehr vorhanden und zunehmend machen sich Ansichten breit, dass es nicht mehr nötig sei, gegen "seltene" Erkrankungen zu impfen.
Es besteht ein Informationsdefizit hinsichtlich tatsächlicher Gefährdung durch Infektionskrankheiten und vermeintlicher Gefährdung durch Impfungen - auch in der Berichterstattung durch Medien ist oft eine völlige Schieflage eingetreten. Das Nebenwirkungsthema wird forciert, der Nutzen und Vorteil von Impfungen gerät dabei völlig ins Hintertreffen.
Die Tatsache, dass Impfungen bei gesunden Personen durchgeführt werden und niemand vorhersagen kann, ob man tatsächlich von der Impfung profitieren wird, führt außerdem zu einer völlig anderen Risikobereitschaft als bei einer Erkrankung, die therapiert wird und wo sich die Wirkung sichtbar einstellt. Die Angst, man könnte durch die Impfung krank werden, ist heute größer als der Wunsch, sich vor der jeweiligen impfpräventablen Krankheit durch Impfung zu schützen.
Schließlich ist da noch die gesellschaftlich-soziale Komponente des Impfens - man impft, um sich selbst zu schützen, aber auch, um sein Umfeld vor Ansteckung zu schützen. Letzteres ist das Grundprinzip von Impfprogrammen durch Etablierung einer Herdenimmunität durch hohe Durchimpfungsraten - allerdings ist das in vielen Köpfen gar nicht verankert. Der ethisch-solidarische Aspekt spielt beim Impfen also eine große Rolle und muss durch vermehrte öffentliche Diskussion und Aufklärung in einer immer mehr "Ich-bezogenen" Gesellschaft in Erinnerung gebracht werden.
Wie wird das Thema in den Medien dargestellt bzw. diskutiert? Was freut oder ärgert Sie da am meisten? Was hat sich durch den Vormarsch der Sozialen Medien geändert?
Alexandra Ribarits: Auffallend ist, dass es große länderspezifische Unterschiede gibt. In den Ländern, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, findet das Thema kaum Widerhall in den regionalen Medien. Immer wieder stark präsent ist es dagegen in den Ländern, die sich gegen einen Anbau solcher Pflanzen ausgesprochen haben, wobei dann häufig der Fokus auf den möglichen Gefahren liegt. Da kann auch nur der Hinweis auf mögliche Chancen schon zu einer hitzigen Debatte führen. Leider findet eine echte Diskussion über die Für und Wider selten statt.
Diese Diskussion beginnt jetzt allerdings wieder in Bezug auf die sogenannten "Neuen Techniken" in der Pflanzenzüchtung, bei denen noch nicht geklärt ist, ob sie rechtlich unter die Gentechnikregelungen fallen oder nicht. Dieses Thema ist in seiner Bandbreite sehr umfassend. Darum findet auch viel häufiger eine Differenzierung statt, die es davor so nicht gegeben hat. Das Finden von Antworten wird zwar komplizierter, aber das Thema an sich hat so viele Facetten, dass es einfache Antworten vermutlich gar nicht geben kann.
Interessant ist, dass die starke Emotionalisierung des Themas und die vorgefassten Meinungen dazu führen können, dass die Leute nach geeigneten Argumenten zur Versicherung ihres jeweiligen Weltbilds suchen. Diese Tendenz wird durch die sozialen Medien wahrscheinlich verstärkt. Eine weitere interessante Frage ist, woher JournalistInnen ihre Informationen beziehen. Egal, ob sie mit WissenschafterInnen sprechen oder Studien recherchieren - eine umfassende Darstellung ist eine große Herausforderung! So verwundert es auch nicht, dass im Endeffekt oft doch wieder eine mehr oder weniger eindeutige Positionierung aus einem Beitrag herausgelesen werden kann. Und durch die sozialen Medien werden diese verbreitet, verstärkt und letzten Endes der Eindruck gesicherten Wissens erweckt.
Ich habe außerdem den Eindruck, dass sich die ForscherInnen in den letzten beiden Jahrzehnten in eine vereinfachende Darstellung des Themas drängen ließen. Trotz aller Bemühungen um eine umfassende Darstellung der Chancen und Risiken sind diese erfahrungsgemäß schwer in der ganzen Bandbreite darstellbar. Die Herausforderung ist, bei der Komplexität des Themas alle Aspekte unterzubringen. Da verliert man die KonsumentInnen leicht. Die Medien-KonsumentInnen wären vermutlich auch irritiert, weil sie es gewohnt sind, eine eindeutige Aussage zum Thema zu bekommen.
Oft sind die WissenschafterInnen auch nicht die geeigneten VermittlerInnen ihres Wissens, obwohl die Kommunikation mit den Menschen eigentlich so wichtig ist. Es braucht KommunikatorInnen, die Öffentlichkeitsarbeit machen und die auch die WissenschafterInnen sensibilisieren, wie wichtig der Kontakt mit den Leuten ist. Das ist wichtig, damit das Halbwissen abnimmt, den KonsumentInnen Ängste vor dem Unbekannten genommen werden, und damit auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Forschung und in die Behörden bewahrt wird. Menschen, die die Hintergründe von neuartigen Entwicklungen besser verstehen, sind auch zugänglicher für seriöse Diskussionen abseits von plakativen Darstellungen. Ich wünsche mir, dass die Medien diese Verantwortung übernehmen und ForscherInnen sie dabei unterstützen.
Georg Steinhauser: Die Medien übernehmen mit ihrer Kontrollfunktion eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Die Medien decken Missstände auf und erweisen der Gesellschaft damit einen großen Dienst. Weniger glücklich bin ich, wenn komplexe Themen so weit vereinfacht werden, dass die Schlussfolgerung nicht mehr zulässig ist. Die Krebserzeugung durch ionisierende Strahlung ist beispielsweise eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit. Dies lässt sich schlicht nicht in den drei Schlagworten "Strahlung verursacht Krebs" zusammenfassen. Die sozialen Medien verstärken diese Simplifizierung oft derart, dass am Schluss nur noch eine glatte Falschmeldung übrig bleibt. Es scheint auch, dass die sozialen Medien den Zeitdruck auf die Journalisten erhöhen. Man hat oft das Gefühl, dass die Qualität der Berichterstattung über Themen, die mehr als 24 Stunden Recherche benötigen, unter diesem Zeitdruck leidet.
Markus Hengstschläger: Am meisten ärgern mich als Forscher, der gleichzeitig auch in der Patientenbetreuung tätig ist, überzogene Heilsversprechen. Auch ich glaube, dass Stammzellen in Zukunft immer mehr in den klinisch-therapeutischen Alltag Einzug finden werden. Sehr oft aber werden von den WissenschafterInnen, aber auch von den Medien - vielleicht um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen - zu hohe Erwartungen geweckt. Andererseits freut mich das hohe Interesse der Menschen an neuen Forschungsergebnissen. Gerade in Österreich wäre das Interesse der Bevölkerung allerdings auch noch steigerbar. Diskussionen vor allem auch über ethische Fragestellungen in den sozialen Medien finde ich sehr begrüßenswert und wichtig. Anonymität im Internet darf aber nicht für die Verbreitung polemischer unwissenschaftlicher Informationen ausgenutzt werden.
Natalie Grams: Ich meine zum Glück einen Trend zu einer breiten kritischen Darstellung der Homöopathie und verwandter Pseudoverfahren der Medizin wahrnehmen zu können. Was mich ärgert ist, dass Journalisten und Redaktionen aus gewohntem (ehrenhaftem!) Anspruch, neutral Bericht zu erstatten, auch immer einen Befürworter der Homöopathie zu Wort kommen lassen, so dass es jedes Mal ein Pro-Contra-Handgemenge gibt, das den Patienten ratlos zurück lässt. Bei tatsächlich falschen Behauptungen - "Homöopathie wirkt mehr als ein Placebo", "Homöopathie heilt feinstofflich" - sollten die Patienten auch eindeutig informiert werden. Die sozialen Medien führen dazu, dass man nicht abschätzen kann, welchen Wert, welche Qualität, und damit welche Verlässlichkeit Informationen haben - alles wird gleich.
Ursula Wiedermann-Schmidt: Meine Erfahrung mit diversen Medien und TV-Diskussionen zum Thema Impfen ist, dass der Auftrag zu einer ausgewogenen oder neutralen Berichterstattung gerne verwechselt wird mit der gleichgewichteten Gegenüberstellung von Impfgegnern - das sind etwa vier Prozent der Bevölkerung - und Impfbefürwortern oder Experten, die gültiges Fachwissen vertreten; dabei werden beiden Standpunkten entweder dieselbe Richtigkeit eingeräumt oder Fragen unbeantwortet stehen gelassen. So wird der Eindruck vermittelt, dass jeder für sich eine Wahrheit aussuchen kann, die besser ins jeweilige Weltbild passt. Der Auftrag zur Aufklärung auf der Basis von Fakten, Daten und dem Stand des Wissens wird dabei völlig verabsäumt. Was bleibt, ist die Frage, ob sich das "Impfdilemma" jemals lösen lässt - ein Dilemma, das aber de facto keines ist, wenn man nur vermehrt eine sachorientierte richtige Berichterstattung und Diskussion zulassen würde. Dies halte ich für ein grobes Versäumnis und es sorgt mich, weil man so die Chance zur Aufklärung und Reduktion von Verunsicherung und Polarisierung nicht nützt.
Was Facebook & Co betrifft: Dadurch werden die Meinungen und Ansichten von Menschen zu diversen Themen, so auch zum Impfen, in völlig unkontrollierbarer Weise ausgetauscht und verbreitet. Diese Medien werden andererseits aber kaum seitens Fort-und Ausbildung oder der Wissenschaft genutzt, um Evidenz und Sachinformationen über das Impfen zu verbreiten; hier gibt es sicher einen großen Nachholbedarf, denn insbesondere junge Menschen, die die Gesellschaft von Morgen darstellen, erreicht man vorwiegend über Social Media.
Wie kann/sollte die Wissenschaft auf faktisch falsche Darstellungen in (Sozialen) Medien reagieren - kurz- und langfristig?
Alexandra Ribarits: Meiner Meinung nach sind die Darstellungen selten absolut falsch oder richtig. Sehr viele Faktoren, die nicht alle kontrolliert werden können, spielen eine Rolle. Das ergibt sich allein schon durch die Komplexität des Systems Pflanze und inkludiert die Interaktionen mit der Umwelt, die Verwendung als Lebensmittel, in der Fütterung oder als Rohstoff. Es gibt unendlich viele Stimmen zum Thema und jeder Mensch hat eine Meinung dazu.
Durch die sozialen Medien ist es schwieriger geworden, auf alle plakativen oder bedenklichen Aussagen zu reagieren. Eine undifferenzierte Meldung führt häufig zu einem Schneeballeffekt, der bestehende Ängste und Meinungen schürt bzw. verstärkt. Im Fall der Grünen Gentechnik geschieht das oft, um eine bestimmte Klientel zu erreichen. Es wäre wünschenswert, wenn sich WissenschafterInnen hier häufiger aktiv zu Wort melden, um eine differenzierte Sichtweise einzubringen.
Es ist keine einfache Aufgabe, die Diskussionen zu Grüner Gentechnik auf eine neutrale Sachebene abseits der Emotionen und Ideologien zu heben, aber die ForscherInnen können und müssen einen wichtigen Beitrag leisten. Die Einbindung von Bildungseinrichtungen, seien es Schulen oder Erwachsenenbildung, kann dazu viel beitragen. Wichtig ist, eine verständliche Sprache zu finden, damit die KonsumentInnen unabhängig von ihrem Wissensstand die Möglichkeit bekommen, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Einige Leute werden so sicher zu eigenen Recherchen motiviert und nützen die Gelegenheit, sich eine eigene, qualifizierte Meinung zu bilden.
Georg Steinhauser: Die Wissenschaft muss primär erkennen, dass die Medien nicht Gegner, sondern Partner sind. Die Interaktion mit den Medien kann für die eigene Tätigkeit befruchtend wirken. Wer gelernt hat, sein komplexes Forschungsthema für die Medien verständlich aufzubereiten, wird wahrscheinlich auch bessere Vorträge halten und vielleicht bessere, verständlichere wissenschaftliche Arbeiten schreiben; kurz - ein besserer Wissenschafter werden. Gegen Falschmeldungen gilt es sachlich aufzutreten, Emotionen sind meist wenig hilfreich.
Markus Hengstschläger: Die stetige Bereitschaft von vielen WissenschafterInnen, den Medien immer wieder mit evidenzbasierter Information Rede und Antwort zu stehen.
Natalie Grams: Falsche Behauptungen sollten nicht stehen gelassen werden. Ich wünsche mir ein Aufstehen etwa der Ärzte gegen Pseudomethoden in ihrer eigenen Profession. Doch leider wissen viele Ärzte ja selbst nicht um die dramatischen Falschbehauptungen verschiedener Methoden wie der Homöopathie. Langfristig ist hier nur durch bessere Bildung - der Bevölkerung, Schüler, Studenten - und Ausbildung - der Ärzte, Apotheker, anderer Wissenschafter - etwas zu erreichen. Es muss klarer zwischen Fakten und Meinung unterschieden werden - und man sollte lernen, das eine vom anderen zu unterscheiden. Auch und gerade im Internet und in den sozialen Medien.
Ursula Wiedermann-Schmidt: Dem "Impfpopulismus" und der Flut an Falschinformationen kann man nur entgegnen, indem man dieselben Mittel und Medien zur vermehrten und akkordierten "State of the Art"-Wissensvermittlung nützt.
Die Kommunikation über Facebook und Internet ist aber eine sehr zeitintensive Maßnahme, die der einzelne Arzt oder Wissenschafter im Alltag kaum bewerkstelligen kann. Daher müssen vermehrt Informationsplattformen aufgebaut werden, die mit einer großen Gruppe von Experten - eventuell sogar länderübergreifend - fundierte Informationen liefern, und welche die Möglichkeit bieten, Fragen auf der Basis wissenschaftlicher Evidenz zu beantworten. Der Diskurs mit Impfskeptikern und Impfkritikern muss vermehrt geführt werden, denn hier gibt es - im Unterscheid zu den ideologischen Impfgegnern - die Chance, Verunsicherungen und Ängste durch richtige Informationen zu beseitigen.
Schließlich muss auch vermehrt an einer Harmonisierung, einem "Streamlining" der Informationen und Informationsgeber auf neutraler Basis gearbeitet werden, aber auch an vermehrten und verbesserten Lehr- und Lernprogrammen bereits in Kindergärten, Schulen, Ausbildungsstätten oder Universitäten, um das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen und das prinzipielle Wissen zum Thema Gesundheit - Stichwort "Health Literacy" - und Gesundheitsprävention durch Impfen in der Bevölkerung zu erhöhen.
Alexandra Ribarits ist Fachfrau für gentechnisch veränderte Organismen bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
Georg Steinhauser ist Nuklearforscher am Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Leibniz Universität Hannover
Markus Hengstschläger ist Stammzellforscher und Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien
Natalie Grams ist Ärztin und Autorin. Sie leitet das Informationsnetzwerk Homöopathie und ist Kommunikationsmanagerin der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.
Ursula Wiedermann-Schmidt ist Impfexpertin und Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien. Ihr neuer Impfratgeber ist jüngst im Manz Verlag in der Reihe "Gesundheit.Wissen" erschienen.