"Schule 4.0" bringt Medien- und Technologieverständnis ins Klassenzimmer
Fake News als solche zu erkennen setzt einen kritischen Blick auf Medien und Textverständnis voraus. Wo Leser scharenweise auf bewusst gestreute Falschmeldungen oder aber auch die feine satirische Klinge hereinfallen - etwa wieder der Fall beim Satireportal dietagespresse.at - und die haarsträubendsten Geschichten für bare Münze nehmen, muss etwas im Argen liegen. Eng verknüpft sind Leseverständnis und sprachliche Kompetenzen mit der Fähigkeit, logisch zu denken. Algorithmisches Denken und Programmieren sind neben dem reflektierten Umgang mit neuen Technologien Bestandteil der jüngst präsentierten Digitalisierungsstrategie für Schulen (siehe "Mehr digitale Grundbildung für 6- bis 14-Jährige ab Herbst") und setzen bereits bei den Volksschülern an.
Digitale Grundbildung wird somit ab der Grundschule im Lehrplan verankert. "Glücklicherweise tut sich in diesem wichtigen Bereich jetzt etwas - das gemeinsame Papier zu 'Schule 4.0' ist ein riesiger Schritt nach vorn", freut sich Klaus Himpsl-Gutermann, Leiter des Zentrums für Lerntechnologie und Innovation (ZLI) an der Pädagogischen Hochschule (PH) Wien, gegenüber APA-Science. An der PH Wien wird Österreichs erstes "Future Learning Lab" eingerichtet, an dem angehende Lehrer mit digitalen Tools experimentieren können. Ebenfalls in Wien eingerichtet wird ab März das Lego Education Innovation Studio, über welches man sich in einem internationalen Netzwerk bewege und auf Erfahrungen von Ländern wie Irland, Belgien oder den Niederlande zurückgreifen könne. "Es dient als Innovationszentrum. Lehrer können das Studio mit der gesamten Schulklasse besuchen, aber wir kommen auch in die Schulen", erklärt Himpsl-Gutermann.
Lehramtsstudierende haben künftig eine Art Grundausbildung und wählen dann eine Spezialisierung, auch angehende Volksschullehrer. "Unsere Vorstellung ist, dass besonders die Studenten mit Schwerpunkt Inklusion, Sprachliche Bildung und Naturwissenschaften als Art 'Wahlpflichtfach' mit den Lego Studios arbeiten", erläutert der Fachmann. Ab 2018 könne man sich dann direkt darauf spezialisieren. Der Zusammenhang zwischen logischem Denken und dem Leseverständnis sei unbestritten: "Viele Verständnisprobleme hängen mit sprachlichen Defiziten zusammen", ist er überzeugt.
Projekt "Denken lernen"
In diese Kerbe schlägt auch Alois Bachinger von der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. Sein an der PH entwickeltes Projekt "Denken lernen - Problem lösen" richtet sich an Kinder der dritten Klassen Volksschule. Über einen Zeitraum von drei Semestern lernen Kinder Coding - also algorithmisches Denken. Wer programmieren lernt, lernt lösungsorientiert zu denken. Doch noch viel mehr als das: er lernt, mit Sprache sehr genau umzugehen, denn ein Problem muss exakt definiert und beschrieben werden. Lösungswege müssen erdacht und überprüft werden. Es braucht Ausdauer und Durchhaltevermögen. Manche Probleme sind so komplex, dass sie nur im Team gelöst werden können - also sind auch Gruppenarbeit und die Kommunikation untereinander sehr wichtig.
Taucht vor dem inneren Auge jetzt das Bild von Achtjährigen, die Programmiercodes in die Tastatur hämmern, auf, liegt man trotzdem falsch. "Es geht nicht um das Erlernen einer Programmiersprache, sondern um die Denkweise dahinter", erklärt Bachinger. Zu Beginn beobachten die jungen Schüler ihr Umfeld, etwa legen sie mit Bauklötzen einen zuvor gegangenen Weg nach. Das haptische Element - Angreifen, Be-greifen, Riechen, Schmecken von Objekten - könne durch nichts ersetzt werden, betont der Experte. Später arbeiten die Kinder mit Bee-Bots, kleinen bienenförmigen Bodenrobotern. "Das fördert auch das Raumverständnis enorm", weist er auf einen oft vernachlässigten Aspekt hin. Erst wenn das Abstraktionsvermögen ausreichend entwickelt sei, mache der Einsatz von Tablets Sinn, stellt der Softwareexperte klar, der logisches Denken und den kritischen Umgang mit Medien am liebsten bereits im Kindergarten fördern würde.
"Merken gar nicht, dass sie etwas lernen"
Die niedlichen Bee-Bots lassen sich steuern, indem ihre geplante Route durch das Drücken von Knöpfen auf der Rückseite festgelegt wird. Will man, dass sich die Biene vorwärts bewegt und nach drei Feldern links abbiegt, drückt man drei Mal den Vorwärtsknopf und dann LT (left turn). Auch wenn der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben sukzessive steigt, sei die Freude am Tun ungebrochen. "Dass die Kinder dabei programmieren lernen, merken sie gar nicht", erzählt Bachinger. Gerade in der Volksschule herrsche noch eine große Offenheit der Kinder. "Sie sind unvoreingenommen, und besonders Mädchen bringen oft die besseren Ergebnisse als Burschen", so seine Erfahrung.
Ab dem Sommersemester wird "Denken lernen" über das an der PH Oberösterreich angesiedelte Bundeszentrum für eEducation, die Education Group Oberösterreich und an allen Pädagogischen Hochschulen "ausgerollt". "Erstmals gibt es seit September des Vorjahres - die offizielle Eröffnung folgt im Februar - nun eine zentrale Stelle, welche die Vielzahl an eLearning-Aktivitäten bündelt", freut sich Bachinger. Am Projekt sind alle österreichischen PH beteiligt. "Es funktioniert nach einem Top-Down-System: die Pädagogischen Hochschulen suchen sich im Projekt 'Denken lernen' sogenannte Expertenschulen, die schon Erfahrung mit eLearning gesammelt haben. Diese Schulen wiederum wählen Memberschulen, an die sie ihre Expertise und ihre Erfahrungen mit dem Projekt weitergeben", erläutert Bachinger. Fix mitmachen werden anfangs 100 Volksschulen, in einer zweiten Phase soll der Kreis auf 500 erweitert werden. "Später wollen wir auch Eltern und Lehrer auf breiter Basis ansprechen", so der Pädagoge, der selbst Softwareproduzent ist und schon etliche eLearning-Materialien entwickelt hat.
"In Österreich gehören wir mit dem Projekt zu den Pionieren, aber England, Deutschland oder Skandinavien sind da schon weiter", berichtet Bachinger. Während sich Bildungsministerin Sonja Hammerschmid als "ein großer Fan von digitaler Bildung als Unterrichtsprinzip" geoutet hat - sie finde es am besten, wenn sich das gesamte Kollegium für die Thematik zuständig fühle und sie nicht an einem Fachlehrer hängen bleibe - würde Bachinger zusätzlich ein eigenes Fach fordern. Laut Digitalisierungsstrategie bleibt nun den einzelnen Schulen überlassen, wie sie das Thema vermitteln wollen: integrativ, im Fachunterricht oder in einer Mischform.
England macht vor, wie es geht
Die Lehrpläne besonders radikal umgekrempelt hat England, wo seit eineinhalb Jahren alle 5-16jährigen in den Genuss des Fachs "Computing" kommen. Damit kehrte das Land dem reinen, User-zentrierten Informatikunterricht den Rücken und setzt seither auf "Computational Thinking". "Noch ehe Kinder in die Schule kommen, können diese Fähigkeiten trainiert werden: Wir definieren ein Problem, suchen Lösungswege, testen die Idee, planen und entscheiden, wie eine Aufgabe angegangen wird, lösen das Problem und erreichen unser Ziel - das ist Alltag für englische Vorschulkinder, aber eben genauso für Softwareingenieure bei Google, Microsoft und Facebook", schreibt Miles Berry, Mitglied des Managment Boards von Computing at School und CSTA, dem UK Forum für Computing Education, und der Raspberry Pi Foundation, in einem Sonderheft des österreichischen Bildungsministeriums.
Selbst die Jüngsten könnten lernen, eigene, einfache Programme zu schreiben. Schon jetzt lasse sich erkennen, dass die Zahl der englischen Schüler ab 16, die Computing als vertiefendes Fach wählen, stark gestiegen sei. Die bisherigen Erfahrungen von Schülern wie Lehrern mit dem neuen Fach seien großteils positiv, berichtet er weiter. Warum sollte man Programmieren in der Schule unterrichten? Sicher nicht, um der Wirtschaft ausgebildete Softwareentwickler liefern zu können, meint er und vergleicht es etwa mit dem Musikunterricht. Auch dieser gewähre Einsichten in das menschliche Wesen und berge tolle Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken. "Und genau das gilt auch für das Programmieren."
Lehrer sind nicht mehr allwissend
Ui, schon wieder geswattet worden? Wer jetzt nur Bahnhof versteht, ist wohl nicht allein. Mit dem Wort wird ein US-Phänomen bezeichnet, bei dem eine SWAT-Einheit (US-Spezialeinheit) aus reinem "Spaß" an einen Tatort beordert wird, an dem sich gar kein Verbrechen ereignet hat: bevorzugt werden Netzspieler angeschwärzt - und auf Youtube lässt sich dann "live" zusehen, wie eine Polizeieinheit - bzw. in unseren Breiten maximal die Feuerwehr - deren Haus stürmt. "Schüler konfrontieren Lehrer natürlich mit Phänomenen wie diesen", erzählt Himpsl-Gutermann. "Unser Problem ist, dass permanent neue Phänomene auftauchen, über die Jugendkultur, aus der 'Nerd'-Ecke ... wir alle sammeln gemeinsam Erfahrungen", spricht der Fachmann ein Dilemma an, das manchem Pädagogen zu schaffen mache: "Es ist nicht mehr möglich, immer Experte zu sein. Man muss sich auch von den Jugendlichen mal etwas sagen oder erklären lassen können", betont er. Wichtig sei auf jeden Fall, die Schüler nicht allein zu lassen: "Es braucht diesen Reflexionsraum in der Schule." Wenig hilfreich sei es jedoch, Medienbildung mit dem erhobenen Zeigefinger des Erwachsenen durchzuführen.
Um auch die Pädagogen nicht allein zu lassen, wurde für Junglehrer vor dem Einstieg in den Schulbetrieb eine begleitende verpflichtende Fortbildung entwickelt, und auch in der Fort- und Weiterbildung von Pädagogen wird das Schwerpunktangebot ausgebaut. Man wolle weg vom Gießkannenprinzip und hin zu Angeboten, die zum jeweiligen Schulentwicklungsplan passten. "Wir möchten das gesamte Kollegium einer Schule erreichen und nicht einzelne Lehrer", erläuterte Himpsl-Gutermann.
Über das eEducation-Zentrum an der PH Oberösterreich gibt es bereits 400 Expertenschulen. Diese Zahl soll in vier Jahren auf 2000 Schulen steigen - das wäre bereits mehr als ein Drittel der rund 5.800 österreichischen Schulen.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science
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