"Wissenschafterinnen gestern und heute: Barrieren und Chancen"
Wissenschaftliche Haltung zeigt sich in einer Leidenschaft zu forschen und in der Suche nach neuen Sichtweisen: "Herzlich liebe ich die Physik. Ich kann sie mir schwer aus meinem Leben wegdenken. Es ist so eine Art persönliche Liebe, wie gegen einen Menschen, dem man sehr viel verdankt" schreibt Lise Meitner, eine der Pionierinnen der ersten Forschungsgeneration von Frauen, die 1906 mit Auszeichnung in Physik an der Universität promoviert und ihr gesamtes berufliches Leben in den Dienst der Naturwissenschaft gestellt hat.
Dass dieses Engagement und diese Begeisterung für wissenschaftliche Forschung generell keine Seltenheit, sondern beinahe durchgängiges Merkmal gerade für die erste Forschungsgeneration von Frauen ist, belegt das Lexikon: "Österreichische Wissenschafterinnen in und aus Österreich", das ich gemeinsam mit Ilse Korotin herausgegeben habe und das 2002 im Böhlau Verlag erschienen ist - auf vielschichtige Weise. Beansprucht wurde und wird, aus der Perspektive der Frauen österreichische Wissenschaftsgeschichte neu zu schreiben, die über eine faktische Bestandsaufnahme hinausgeht. Die in dem Lexikon versammelten 342 Artikel geben nicht nur Zeugnis von der ersten Generation von Wissenschafterinnen, die sich an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck habilitieren konnten. Sie geben auch Zeugnis von der Lebendigkeit, dem Mut und dem Glauben an eine unbedingte Wissenschaft, die sich in einer erstaunlichen Vielfalt von Forschungsleistungen widergespiegelt hat. Nicht selten handelt es sich bei den in dem Lexikon porträtierten Frauen um Grenzgängerinnen in unterschiedlichen Bereichen: Grenzgängerinnen zwischen Universität und Schule, Grenzgängerinnen zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschungspraxis, Grenzgängerinnen zwischen institutionellem und autodidaktischem Wissenserwerb, aber auch: Grenzgängerinnen zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen.
Dass Frauen als Autodidaktinnen ihren Weg in die Wissenschaft finden mussten, hängt mit den bekannten Anfängen des Frauenstudiums zusammen: Erst 1878 durften Frauen als Gasthörerinnen zur Vorlesung. 1897 ließen die Universitäten in Wien, Prag, Graz und Innsbruck Studentinnen zur philosophischen Fakultät, ab 1900 zum Medizinstudium zu, weitere Fakultäten folgten im Laufe der folgenden Jahrzehnte. Jedoch nicht nur institutionelle Barrieren und gesetzliche Bestimmungen, vor allem ideologische und damit auch antifeministische und antisemitische Vorbehalte erwiesen sich als der größte Hemmschuh, dass es Frauen, wenn überhaupt, dann nur unter erschwerten Umständen im institutionellen System Universität gelingen konnte, nachhaltig Fuß zu fassen. Die langen Schatten, die antifeministische und antisemitische Vorbehalte bis in die späte Nachkriegszeit geworfen haben, haben die Wissenschaftskultur auch in Österreich nachhaltig geprägt. Ein Beispiel, so Autorin Eva Cescutti, ist Gertrud Hauser-Herzog, die erste Frau, die sich 1932 in Klassischer Philologie habilitieren konnte und deren Berufung nach Innsbruck 1950 auch an den bestehenden antisemitischen Ressentiments der dortigen Fakultät scheiterte.
Viele Wissenschafterinnen kehrten nach dem intellektuellen Kahlschlag durch den Nationalsozialismus nie mehr nach Österreich zurück. Viele Wissenschafterinnen wurden ermordet. Eine dieser Wissenschafterinnen war die Romanistin Elise Richter. 1905 habilitierte sie sich an der Universität Wien, 1907 bestätigte man ihre Dozentur und sie wurde damit die erste außerordentliche Professorin. Nach dem "Anschluss" wurde sie aufgrund der gelten Rassengesetze gekündigt und 1943 in Theresienstadt ermordet. Die intellektuelle Tradition hat durch umfassende Zäsuren, die weit über die Vernichtung von individuellem Leben hinausging, Teil an einer kollektiven Kultur des Vergessens, die wissenschaftliche Aufarbeitung der "intellektuellen Emigration" notwendig gemacht hat. Verloren ging die Vertiefung und Weiterentwicklung der Forschung der ermordeten und/oder vertriebenen ersten Generation der österreichischen Wissenschafterinnen.
Die zweite Wissenschaftsgeneration von Frauen musste unter komplett neuen Vorzeichen und noch einmal ganz von vorne als Einzelkämpferinnen ihren Platz im universitären Feld erkämpfen. (Dazu erscheint Ende 2017 ein von Ilse Korotin und Nastasja Stupnicki herausgegebenes Lexikon: Bedeutende österreichische Wissenschafterinnen: "Die Neugier treibt mich, Fragen zu stellen").
Aktuelle Wissenschaftsförderung und Unterstützung von Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung am Standort Universität muss auch vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Einbrüche gesehen werden. Die Bemühungen der Frauen, ihre Position in der Wissenschaft als ebenbürtig und ihren männlichen Kollegen als fachlich gleichrangig zu verankern, ist bis in die Gegenwart ein hoch emotionelles Thema, dessen Wurzeln in der Vergangenheit zu suchen sind. Konstant sinkt der Frauenanteil mit steigender Karrierestufe: Nur rund 22 Prozent Prozent der Professorinnen und Professoren sind weiblich (Unidata 2016).
Belegt wird mit dieser Zahl jedoch nicht die mangelnde Qualifikation oder das mangelnde Engagement von Frauen, sondern der Umstand, dass wissenschaftliches Kapital einer symbolischen Deutung unterliegt, welche wissenschaftliche Anerkennung geschlechter-hierarchisch auslegt. Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung zeigen, dass Wissenschafterinnen noch immer besser als ihre männlichen Kollegen sein müssen, um die gleiche wissenschaftliche Anerkennung zu finden. Hier ist vor allem auch eine effiziente Unterstützung vonseiten der Führungskräfte gefragt. Die konsequente Infragestellung von geschlechter-stereotypen Verhalten und Bewertungen auf allen institutionell entscheidungsrelevanten Ebenen stellt eine zentrale Voraussetzung für die Gleichstellung von Frauen und Männern dar, betont die Juristin und Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien, Sylwia Bukowska.
Nicht nur die mangelnde wissenschaftliche Anerkennung, sondern kompetitive Verfahren, die weniger auf Zusammenarbeit ausgelegt sind, so die Physikerin Beatrix Hiesmayr, erweisen sich für Frauen nicht selten als Stolperstein, um sich in der männlich dominierten Universität Stimme und Gehör zu verschaffen. Diese Annahme belegt die erste Generation von Wissenschafterinnen. Ihr Erfolg und ihre erstaunliche wissenschaftliche Innovativität war nicht selten darauf zurückzuführen, dass diese Frauen eingewoben in sozialen Netzwerken waren, innerhalb derer es den Frauen weder an Austausch noch an aktiver Beteiligung an bisweilen auch kontrovers geführten Debatten gefehlt hat.
Fazit: Die These, dass Frauen anders forschen, ist zweifellos nicht stichhaltig, die Schlussfolgerung jedoch, dass Frauen genauso wie Männer forschen müssen, Forschung demzufolge geschlechtsneutral sei, ein problematischer Umkehrschluss. Diese Differenzierung gewinnt vor allem dann an Plausibilität, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Wissenschaft nicht nur nach einer persönlichen Haltung verlangt, sondern eingewoben in ein Netz von sozialen und kulturellen Praxen ist, die Geschlechterbarrieren für alle Bereiche des Systemkomplex Forschung bedeuten können, und wie die Praxis zeigt, bis in die Gegenwart bedeutet.