Industrie hinkt bei Forscherinnen-Anteil noch weit hinterher
Wieso ist der Anteil der weiblichen F&E-Beschäftigten in heimischen Unternehmen so viel niedriger als im Hochschulbereich? Weil Unis "Ehre und Anerkennung", weniger Leistungsdruck, mehr Kolleginnen, ein besseres Arbeitsklima, Teilzeitstellen und flexiblere Arbeitszeiten bieten. Außerdem hat die Industrie nach wie vor ein Imageproblem. Warum sich daran trotz vieler Aktivitäten in den vergangenen Jahren nichts geändert hat, erklärten Expertinnen und Experten im Gespräch mit APA-Science.
Zur Ausgangslage: Der Frauenanteil am Hochschulsektor betrug 2004 exakt 39,9 Prozent. Bis 2015 stieg er kontinuierlich auf 43,2 Prozent. Ganz anders der Unternehmensbereich: Hier kam man laut Statistik Austria 2004 auf 15,7 Prozent, im Jahr 2015 waren es ebenfalls 15,7 Prozent – Töchtertag hin, Frauen in die Technik her. Die Gründe dafür scheinen vielschichtig und nicht gänzlich klar zu sein. Ein paar Einflussfaktoren lassen sich aber herausarbeiten.
Image als Arbeitgeber
"Der Industrie haftet nach wie vor der Nimbus an, kein attraktives Arbeitsumfeld zu bieten. Es existiert kein gut entwickeltes Bild der Industrieforscherin", erklärte Helene Schiffbänker von der Forschungseinrichtung Joanneum Research. Zwar gebe es zahlreiche Aktivitäten, das zu ändern, diese seien allerdings weitgehend erfolglos. Von den wenigen Frauen, die aus für die Unternehmen relevanten Studienrichtungen kommen, würden sich viele für die außeruniversitäre Forschung oder die Universität entscheiden.
"Der Umstieg in die Industrie hat ein männlich konnotiertes Bild und gilt als sehr kompetitiv, sehr leistungsorientiert und zeitlich unflexibel. Die Bilder, die wir über die Berufsperspektiven im Kopf haben, bestimmen unser Denken noch immer. Das macht es schwierig, als Arbeitgeber für junge, vor dem Abschluss stehende Frauen in Betracht zu kommen", so Schiffbänker. Zwar würden sich die Unternehmen zum Teil bemühen, die Rahmenbedingungen – Stichwort: Vereinbarkeit von Beruf und Familie – zu verbessern. Nach wie vor seien die Rollenbilder in Österreich aber sehr traditionell und die Berufswahl sehr segregiert.
Konkurrenz durch Unis
Dass die Unis für viele Absolventinnen als attraktivere Arbeitgeber erscheinen, hat für Gerhild Schinagl, die als Entwicklungsingenieurin bei der Siemens AG Österreich in Graz arbeitet, mehrere Gründe. "Zum einen ist es in manchen Aspekten einfacher, gleich an der Universität zu bleiben. Zum anderen ist für Frauen das Einkommen nicht so wichtig wie für Männer. Hauptsache es ist interessant und macht Spaß", sieht die Maschinenbauerin, die Forschungs- und Universitätsassistentin am Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik an der TU Graz war, unterschiedliche Motivlagen.
Viele Frauen seien an einer wissenschaftlichen Karriere mit Ruhm und Ehre interessiert, "aber dass finanziell etwas rausschaut, das muss ja nicht unbedingt sein. Deshalb bleiben viele an der Uni hängen". Auch sie habe das relativ lange hingenommen, "aber das war einkommenstechnisch völlig uninteressant". Dann habe sie gesehen, was man in der Industrie verdient. Dementsprechend ortet sie derzeit vor allem zwei Motive, in die Industrie zu gehen. "Einerseits wird man von der Uni weggedrängt, weil es einfach keine Stellen gibt. Andererseits zeigt sich, dass man vielleicht keine Karriere machen kann oder wenig verdient", so Schinagl.
Ungünstige Rahmenbedingungen
Ein Nachteil in der Industrie seien die relativ unflexiblen Arbeitsmodelle. "Unis bieten viele Halbzeitstellen an. Und das macht die Industrie eigentlich nicht", erklärte die Ingenieurin. Eine Vollzeitbeschäftigung werde von den Forscherinnen aber oft abgelehnt, sieht auch Gerd Hesina, Geschäftsführer des VRVis – Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung, einen wichtigen Grund für den geringen Frauenanteil in den heimischen Unternehmen. Beim VRVis habe man ein flexibles Arbeitszeitmodell mit individuellen Lösungen und unterstütze Karenzen.
Im Vorjahr wurde zudem ein Projekt zur Frauenförderung gestartet. "Damals waren wir bei einem Forscherinnen-Anteil von neun Prozent, momentan sind es 17 Prozent. In drei Jahren wollen wir auf 25 Prozent kommen", gab Hesina die Richtung vor. Mit Unterstützung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) habe man die Situation analysiert und mehrere Ansatzpunkte entdeckt. Am meisten gewirkt hätten Änderungen beim Rekrutierungsprozess: "Ausschreibungen werden breiter gestreut und müssen mindestens drei Monate dauern. Der Prozess muss vollständig dokumentiert werden – also wer hat sich wann und wie beworben? Bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt aufgenommen", so Hesina.
Talente-Pool sehr überschaubar
Außerdem habe man von der FFG ein FEMtech-Karriere-Projekt bewilligt bekommen: "Da geht es darum, einerseits im Unternehmen Bewusstsein für die Gender-Thematik zu schaffen, andererseits um das Anwerben und Halten von MINT-Nachwuchskräften", erläuterte Hesina. Es bestehe ein politischer Wille, den Frauenanteil zu steigern und das unterstütze man auch. Nicht vergessen werden dürfe aber, in welchem Talente-Pool man fischt. Es gebe im Bereich Informatik sehr wenige Absolventinnen – "die Quote ist sogar rückläufig" – und dieser Pool werde durch die Spezialisierung auf Visual Computing nochmals eingeschränkt.
Chancengleichheit sei jetzt präsenter und öfter ein Gesprächsthema, so Maria Schimkowitsch, die sich am VRVis mit "Multiple Senses" beschäftigt, der Interaktion mit Computern abseits der klassischen Sinne. Auch bei Unternehmen merke man zum Teil ein Umdenken. Langfristig müsse man aber früher ansetzen, um alte Muster aufzubrechen und mehr Bewusstsein für die Vorteile der Diversität zu schaffen, ergänzte Maria Wimmer vom Bereich "Biomedical Image Informatics". Eigentlich sollte man da zurück bis in den Kindergarten gehen, "aber da sind wir nicht, da können wir nichts bewegen", erklärte Hesina: "Ich habe selber drei Töchter und da merkt man schon auch, wie es zu stereotypen Beeinflussungen kommt im Kindergarten und später in der Schule. Wir können nur einen Töchtertag machen oder Kinder einladen, um zu zeigen, wie der Forschungsalltag aussieht."
Konkrete Maßnahmen notwendig
Dass man Unternehmen überhaupt dazu bringt, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, sei sehr schwierig, stellte Schiffbänker fest. "Viele wollen gemischte Teams, weil auch das Klima dann besser ist. Aber wenn es darum geht, wirklich Maßnahmen zu setzen, tut sich wenig. Das ist der entscheidende Punkt, dass ein Unternehmen darüber nachdenkt, wo es Anreize setzen, Prozesse verändern und auch nach außen transportieren kann, dass das Unternehmen auch für Gruppen, die bisher nicht ausreichend zum Zug gekommen sind, attraktiv wird."
Der bisherige Zugang, nur bei den Frauen anzusetzen, habe jedenfalls keine großen Früchte getragen. "Jetzt sollten wir die Betriebe in den Mittelpunkt der Anstrengungen stellen und sagen: Wir wollen nicht die Frauen an die Unternehmen anpassen, sondern wir schauen, wie man die Prozesse im Unternehmen so organisieren kann, dass es für unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten gut passt", so die Expertin. Dadurch würden auch ganz andere Zielgruppen ins Spiel kommen: "Da geht es um die Verantwortung des Managements, um das Einbeziehen der HR-Leute oder der Finanzleute, wenn es um Einkommensgleichheit geht. Die Entscheider sind gefragt und nicht mehr, ob man jetzt ein Frauen-Coaching macht."
In den Fokus des Recruitings rücken würden Fragen wie: Wie spreche ich Frauen an? Wie ist der Auswahlprozess? Wer führt das durch? Welche Kriterien kommen dabei zur Anwendung? Welche Bilder von einem erfolgreichen Kandidaten bzw. einer erfolgreichen Kandidatin habe ich? Diese Prozesse zu professionalisieren sei insgesamt wichtig, um die "passendere" Person auszuwählen und könnte auch Männern helfen, die vielleicht nicht der Norm entsprechen. Hier beginne sich die Awareness in den Unternehmen aber erst zu entwickeln.
Ohne Quoten keine Änderung
Ohne Druck von oben werde sich aufgrund von starken Widerständen und Umgehungsmechanismen wenig ändern. "Deshalb unterstütze ich Quoten", erklärte Schiffbänker. Sie plädiert aber für Zielgrößen statt absoluter Quoten. "Also beispielsweise einen jährlichen Zuwachs von zehn Prozent in zwei Jahren von dem Ausgangsniveau auf dem man ist. Das ist viel realistischer und auch motivierender für die Unternehmen." Wichtig sei die Einbettung in einen gewissen organisationalen Wandel. Das Argument mit der Quotenfrau lässt sie nicht gelten, "weil es gibt ja immer irgendwo Quoten, auch bei den Männern – Bünde, Seilschaften und Co., die da zum Zug kommen". Und auch Schinagl meint: "Wenn man wirklich in der Industrie etwas verändern will, müsste man auch über Quoten reden. Mit der Situation, die wir jetzt haben, wird sich so schnell nichts ändern."
Von Stefan Thaler / APA-Science