Kann nur ein Mann? Wie man Vorurteilen das Wasser abgräbt
Während an den technischen Universitäten Österreichs Frauen inzwischen ein Drittel der Studienanfänger stellen, dümpelt der Anteil der Professorinnen dort bei mageren zehn Prozent vor sich hin. Mit Frauenprofessuren, Forschungsfreisemestern und einem klaren Top-Down-Commitment hat die Technische Universität (TU) Wien wirkungsvolle Instrumente gegen (unbewusste) Vorurteile für sich entdeckt. Einen zukunftsweisenden Weg schlägt auch die Wirtschaftsuniversität mit neuen Kriterien für Besetzungen im wissenschaftlichen Bereich ein.
Die technischen Universitäten jubeln über den verhältnismäßig gestiegenen Zulauf bei jungen Frauen - an der Montanuniversität Leoben gibt es laut unidata 26 Prozent Studienanfängerinnen (gesamte ordentliche Hörerinnen: 23,3 Prozent), an der TU Wien 32,1 Prozent (28 Prozent ordentliche Hörerinnen), an der TU Graz 36,7 Prozent (27,4 Prozent ordentliche Hörerinnen). Doch blickt man genauer hin, so sind es vor allem die großen Architekturfakultäten inklusive Raumplanung, die Frauen anziehen. In Wien bringt es die Architektur bei den ordentlichen Hörerinnen sogar auf 56,4 Prozent. Auch Technische Chemie, Technische Mathematik oder Bauingenieurwesen punkten bei Anfängerinnen vergleichsweise, Absolventinnen machen dort ein Drittel aus. In anderen Studienrichtungen sind die Zahlen seit Jahren ernüchternd: Elektrotechnik: 15 Prozent ordentliche Hörerinnen, einen Studienabschluss erreichen 6,9 Prozent. Informatik: 18, 9 Prozent ordentliche Hörerinnen, 13, 2 Prozent Absolventinnen (siehe Gastkommentar von Ruth Breuer). Maschinenbau: 11,7 Prozent ordentliche Hörerinnen und eine Absolventinnenquote von 7,1 Prozent.
Unconsious Bias - wir alle haben unbewusste Vorurteile
Fakt ist dennoch: An der TU Wien ist bereits ein Drittel (29,1 Prozent) aller Absolventen weiblich. In der Besetzung von Laufbahnstellen (Frauenanteil: 20 Prozent) und Professorenposten (10 Prozent) schlägt sich diese Entwicklung allerdings nicht wieder. Auch wenn Universitäten diese Erwartungshaltung lange Zeit mit sich herumtrugen: Ein "Nachziehen" von Frauen findet nicht von alleine, und schon gar nicht in einem vertretbaren zeitlichen Rahmen statt. Warum ist das so?
"Männer wie Frauen - und das ist der springende Punkt - beurteilen Frauen wesentlich schlechter und Männer wesentlich besser", erklärt Brigitte Ratzer, Leiterin der Abteilung Genderkompetenz an der TU Wien und führt das international gut erforschte Phänomen der "Unconscious Bias", also unbewusster Vorurteile, ins Treffen. "Wir alle haben bestimmte Vorstellungen davon, wie jemand sein, welche Eigenschaften ein guter Professor, eine gute Professorin mitbringen soll", stellt sie fest. "Dagegen kommen wir mit unseren Schulungen nicht an." Obwohl Männer und Frauen in den Berufungskommissionen redlich bemüht seien, Bewerbungen objektiv zu beurteilen, bleibe unter dem Strich oft der Eindruck, der männliche Kandidat sei besser geeignet als die Frau. Das belegen auch Experimente im Rahmen des Leaky Pipeline-Projekts mit Personalentscheidern, denen Bewerbungen von Kandidaten mit gleichen Qualifikationen vorgelegt wurden - erhielt eine Person ein weibliches Geschlecht, wurde sie strukturell benachteiligt.
Diese Erkenntnis scheint sich übrigens auch in anderen Branchen, in denen es wenige Frauen in höhere Positionen schaffen, durchzusetzen: So erzählte etwa Johann Strobl, Vorstandschef der Raiffeisen Bank International, erst unlängst in einem Standard-Interview, dass man einen anonymen Teil in den Bewerbungsprozess einbaue, um eben diese unbewussten Vorurteile auszuschalten. "Frauen bewerben sich für Führungspositionen - und bei Jobinterviews sind mehr als die Hälfte der Jurorinnen Frauen. Daran kann es also nicht liegen."
Nachteile kompensieren und Flagge zeigen
In den universitären Leitungsgremien muss der Frauenanteil steigen, so ist es in den seit 2002 im Universitätsgesetz (UG) festgeschriebenen Gleichstellungsmaßnahmen vorgesehen. "Dort, wo wir unter zehn Prozent liegen, müssten wir im Zweijahreszeitraum verdoppeln - aber so oft wechseln wir unser Personal nicht aus", gibt Ratzer zu bedenken. Die Dekane - alle acht Fakultäten der TU Wien werden von Männern geführt - sind auf vier Jahre bestellt und fallen nicht unter die Quote. Wer in Leitungsgremien kommt, bestimmt der akademische Senat, in dem eigentlich 50 Prozent Frauen sitzen müssten. "Wir können aber nicht mit zehn Prozent Professorinnen 50 Prozent der Professorenkurie bestücken", weist die Chemikerin auf die Problematik der sehr aufwendigen Sitzungsarbeit hin. Weil man das Ziel dennoch klar vor Augen habe und gleichzeitig Frauen unterstützen wolle, beschreitet die TU Wien neue Wege: Zum einen werden Professorinnen oder zum Mittelbau gehörenden Frauen für eine erhöhte Kommissionstätigkeit als Ausgleich Forschungsfreisemester angeboten.
Zum anderen rief das Rektorat in einem internen Wettbewerb alle Fakultäten auf, nachhaltige Gleichstellungskonzepte vorzulegen. Als Preis winkten zwei Professuren und zwei Laufbahnstellen für Frauen. Die "Sieger": die Fakultäten für Bauingenieurwesen, Technische Chemie, Informatik, Maschinenwesen und Betriebswissenschaften. Die Erfahrung mit den Ausschreibungen sei sehr positiv gewesen. "Es gab überraschend viele Bewerbungen und exzellente Kandidatinnen", erzählt die Gender-Expertin und meint weiter: "Wir werden das wiederholen. Bei regulären Ausschreibungen zögern Frauen offenbar, sich zu bewerben - vielleicht, weil sie die Erfahrung gelehrt hat, dass sie wenig Chancen haben und sie sich die Frage stellen, ob sich der Aufwand dann überhaupt lohnt."
Eine der wichtigsten Prärequisiten in der Gleichstellungsarbeit ist für Ratzer jedoch, dass das Rektorat Flagge zeigt - "und das macht Frau Seidler (Anm.: TU-Rektorin Sabine Seidler)", betont sie. Mit ihrem Amtsantritt sei in dieser Hinsicht eine neue Kultur eingezogen. "Es gibt immer Männer und Frauen, die der Sache wohlgesonnen gegenüber stehen und bereit wären, sich zu engagieren. Die kannst du aber nur aktivieren, wenn von oben deutlich Position bezogen wird", so ihre Überzeugung. Andererseits wecke man die "Trolle und Dinosaurier" auf, wenn gegenteilige Signale kämen.
Ein Netzwerk, das einen trägt
Die wissenschaftliche Karriereleiter erklimmt man kaum je im Alleingang. "Egal, welches Geschlecht man hat: Ein angehender Forscher muss gefördert werden. Man braucht jemanden, der mit einem publiziert, der einen in die Netzwerke einführt, der dafür sorgt, dass man auf Konferenzen oder für einen Vortrag eingeladen wird oder man einen Session Chair übernehmen kann", weist die Chemikerin auf eine ganze Liste von Dingen hin, die es abzuhaken gelte. Nicht allen Betreuern sei Nachwuchsförderung ein Anliegen. "Aber dort, wo sie stattfindet, erfolgt sie leider viel öfter für Männer als für Frauen", stellt sie fest und verweist auf das Bild des "Kronprinzen", der nach dem Similar-to-me-Effekt ausgewählt werde.
Auch wenn Wissenschafterinnen fachlich sehr gut seien und ausgezeichnete Publikationen vorweisen könnten, würden manche von ihnen an der fehlenden unmittelbaren Bestätigung leiden, was sich durch Unsicherheit im Bewerbungsgespräch manifestiere. "Forscherinnen brauchen wie ihre männlichen Kollegen Feedback und ein Netzwerk, das sie trägt", betont Ratzer die wichtige Rolle von Mentoren.
Ist man als Jungforscher einmal auf den Wissenschaftszug aufgesprungen, gibt es keine Haltemöglichkeit mehr. Überlange Arbeitszeiten und Sitzungen, die erst um 17 oder 18 Uhr beginnen, gehören zum Alltag. Der Druck im Forschungsbetrieb steige, vor allem international, und da könne man sich auch in Österreich nicht abkoppeln, meint Ratzer. Auszeiten, etwa durch Familiengründung, seien nicht vorgesehen. Viele Forscherinnen wählen mangels alternativer Perspektiven dann einen Komplettausstieg. "Wir haben fünf bis zehn Prozent Wissenschafter, deren ausschließliches Lebensprojekt es ist, zu forschen und zu schreiben. Gegen die treten alle anderen an - Frauen und Männer - , und das setzt sie reihenweise außer Gefecht", so ihre Erfahrung. Forschungs-Output, gemessen in Impact-Faktor, Publikationen oder eingeworbenen Drittmitteln ist alles, was für das berufliche Weiterkommen zählt.
WU bewertet Leistung neu
Doch dieses Bild des Wissenschafters, der kein Privatleben, keine anderen Interessen und keine Berufsunterbrechung haben darf, greift für Edeltraud Hanappi-Egger, Rektorin der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien zu kurz und trage den vielfältigen Aufgaben einer Universität nicht adäquat Rechnung. Mit einem neuen Leistungsbewertungskonzept (uLiKe) für Positionen im wissenschaftlichen Bereich will sie "traditionelle Bilder von Karrieren aufbrechen und das Augenmerk auf Qualität, Impact und Konsistenz der Leistungen unter Berücksichtigung der Lebensumstände" legen, heißt es dazu in einer Aussendung. So zählen neben der Publikationsleistung auch die Qualität der Lehre oder übernommene Aufgaben in der Universitätsentwicklung. Ebenfalls bewertet wird das Engagement im Wissenstransfer, beispielsweise die Arbeit mit Schulen oder Medien. Am Ende solle ein neues, zeitgemäßes Verständnis von Leistung als Leitprinzip an der WU verankert werden, so Hanappi-Egger, und weiter: "Wir hoffen außerdem, dass wir mit unserem Konzept einen hochschulübergreifenden Nachdenkprozess anstoßen können." Für Ratzer ist das Konzept jedenfalls "zukunftsweisend. Und dabei geht es nicht um Mann oder Frau, oder um die Bewertung von Stillzeiten. Und es hat natürlich einen Gender-Effekt, weil Frauen diese systemerhaltenden Aufgaben viel öfter übernehmen."
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science