"Lebendige Architektur" baut auf Pilze
Die Natur zum Vorbild nehmen und dabei nachhaltige Architektur kreieren. Das ist das Credo der österreichischen Architektin Petra Gruber, Professorin am Biomimicry Research and Innovation Center der University of Akron (Ohio, USA). Im Interview mit APA-Science erzählt die Expertin, was sie an Pilzen als Baumaterial fasziniert und welche Potenziale sie für ihr Projekt "Living Wall Systems" sieht.
APA-Science: Sie beschäftigen sich mit Bionik im Bereich Architektur. Wie ist es dazu gekommen, was fasziniert Sie daran?
Petra Gruber: Ich war immer schon an verschiedenen Disziplinen interessiert. Design und Biologie sind meine Favoriten. Im Lauf meines Architekturstudiums habe ich dann das interdisziplinäre Feld der Bionik entdeckt, das seither mein Forschungsgebiet ist. An der Biologie fasziniert mich der unglaubliche Reichtum an Lösungen und Varianten, der immer schon Inspirationsquelle für Design war, aber jetzt in unserer Zeit der Umweltzerstörung globalen Ausmaßes das einzige Vorbild ist, von dem wir lernen können.
Sie haben unter anderem mit der Wiener Weltraum-Architekturplattform Liquifer gemeinsam an Pilzen als Baumaterial geforscht. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir hatten ein von FWF-PEEK gefördertes Forschungsprojekt "Growing as Building, GrAB", in dem wir mit Pilzen und auch vielen anderen Organismen gearbeitet haben. Das Ziel des Projekts war, von biologischem Wachstum für Architektur und Kunst zu lernen. Wir haben mit verschiedenen Möglichkeiten experimentiert, mit Pilzen organisches Abfallmaterial zu verfestigen. Dieser Prozess ist ein Wachstumsprozess, in dem das Pilzmycel ein vorbereites Substrat durchwächst und damit von einem losen Aggregat in ein festes Material verwandelt. Damit wird in einem natürlichen Prozess ein Recyclingprodukt hergestellt, das von den Materialeigenschaften her einer Holzfaserplatte oder Weichholz gleichkommt. Zur Verwendung der Materialien muss der Wachstumsprozess aber gestoppt werden, um einen stabilen Zustand zu schaffen und die Verbreitung von Sporen, die potenziell für Menschen schädlich sind, zu verhindern.
In GrAB haben wir auch mit unterschiedlichen Varianten für die Formgebung experimentiert, zum Beispiel 3D-gedruckte Schalungsformen, Körbe und textile Hängeschalen hergestellt.
Bitte beschreiben Sie das Projekt Living Wall Systems (LIWAS) etwas näher...
Das Living Wall Systems Projekt war ein Forschungsprojekt am Biomimicry Research and Innovation Center der Universität von Akron, Ohio, das wir 2018/19 durchgeführt haben. In diesem Projekt haben wir das Pilzmaterial in einem größeren Maßstab hergestellt und angewendet. Wir haben in Kooperation mit dem Architekturbüro redhouse zusammen sogenannte Mycoterial-Paneele hergestellt, um das Material in einem Wandprototypen im Außenbereich zu testen. Eine der großen Fragen zur Anwendung von Mycoterial im Bauwesen ist die Wasserlöslichkeit des Materials. Wir haben im LIWAS-Projekt diverse Möglichkeiten zur Nachbehandlung der Paneele getestet und qualitativ ausgewertet, zum Beispiel Backen, Pressen und verschiedene Oberflächenbeschichtungen.
Wir arbeiten derzeit an einem Folgeprojekt, in dem wir Abfallprodukte aus der regionalen Landwirtschaft, Präriegras und Algen, als Grundsubstrat verwenden werden, und damit die wissenschaftliche Grundlage schaffen, ein regionales Recyclingprodukt herzustellen und zu vermarkten. Präriegras wird in Ohio an Feldrändern angebaut, um dem abrinnenden Wasser überschüssige Düngemittel zu entziehen, bevor es in umliegende Gewässer und damit in den Eriesee gelangt. Die regelmäßigen giftigen Algenblüten sind ein großes ökologisches und auch wirtschaftliches Problem. Mit diesem Projekt tragen wir zur sinnvollen Verwendung dieser Produkte bei, und langfristig zur besseren Nutzung von Ressourcen und CO2-neutralen Herstellung von Baumaterialien.
Wir haben unsere Konzepte im Kontext von Living Architecture Systems 2019 in Toronto präsentiert, und werden die Auswertung der LIWAS Studie 2020 auf der Konferenz Facade Tectonics 2020 in Los Angeles vorstellen.
Was ist hier allgemein der Status quo?
Der Prozess, Material mit Pilzwachstum herzustellen, wird auch schon industriell ausgewertet, vor allem in der Verpackungsindustrie - etwa von den Firmen Mycoworks oder Ecovative. Trotz der guten Eigenschaften des Materials in vielen Bereichen - mechanische Belastbarkeit, Wärmeisolierung, Schalldämpfung, Feuerbeständigkeit - gibt es noch keine Produkte auf dem Markt für das Bauwesen. Prototypen von Gebäuden aus ziegelförmigen oder modularen Bauteilen werden aber schon hergestellt, zum Beispiel der Hy-Fi Tower von David Benjamin 2014 im MOMA in New York, oder der MycoTree von Felix Heisel und anderen auf der 2017 Architekturbiennale in Seoul, Südkorea. Pilzmaterial wird auch schon im 3D-Druck verwendet.
Wie hat sich die Entwicklungsarbeit gestaltet?
Die Entwicklungsarbeit fokussiert auf drei Bereiche - Grundlagenforschung zu diesem neuen Material und seinen Eigenschaften, Optimierung des Herstellungsprozesses und Ausloten der Anwendungsbereiche in der Architektur. Generell ist das Arbeiten mit Organismen in einem neuen Kontext immer von Unwägbarkeiten charakterisiert. Wir wissen immer noch viel zu wenig über diese biologischen Prozesse, um die Umweltbedingungen für ein effizientes Wachstum zu gestalten und die Versorgung mit Nährstoffen und Sauerstoff zu optimieren. Kontaminierung mit anderen unerwünschten Organismen muss auch so gut wie möglich ausgeschlossen werden.
Bei welcher Art von Bauprojekten könnte man das System einsetzen?
Wir sind an der Weiterentwicklung des Materials als Paneel für architektonische Anwendungen interessiert, und an der Verwendung als Fassadenelement, eventuell auch für lebende Grünfassaden. Experimentelle Konzepte integrieren auch die Nahrungsmittelherstellung mit Mycoterials. Redhouse kooperiert mit der NASA an der Entwicklung von Konzepten für Bauten im Weltraum.
Was könnten Vor- und Nachteile einer "lebenden Wand" sein?
Living Architecture interessiert uns, um Aspekte wie Adaptionsfähigkeit, Selbstheilung, Feinanpassung an Umweltbedingungen, nachhaltige Herstellung, Resilienz etc. in die Architektur zu übertragen. Damit verbunden ist eine fundamental neue Interpretation des Gebäudes als lebendes System, das sich ständig verändert und auch kultiviert werden muss.
Befassen Sie sich außerhalb dieses Projekts noch mit Pilzen als Baumaterial?
Mein Forschungsgebiet ist Architekturbionik, und die Arbeit mit Pilzen ist derzeit ein Forschungsschwerpunkt. Wir arbeiten auch an der Erforschung von Wurzelsystemen und wie sich diese für die Bautechnik nutzen lassen, zum Beispiel für Uferbefestigungen in küstennahen Siedlungen.
Das Interview führte Mario Wasserfaller / APA-Science
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