Die Geister, die wir riefen
1,5 Millionen Menschen sterben jährlich an einer Pilzinfektion. Gleichzeitig retten von Pilzen produzierte Antibiotika Menschenleben. Alleine Penicillin hat Schätzungen zufolge seit den 40er Jahren über 200 Millionen Menschenleben gerettet. Über das zweischneidige Schwert, das Pilze in der Medizin darstellen, hat APA-Science mit Hubertus Haas, Leiter des Instituts für Molekularbiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, gesprochen.
Mycophobiker haben es schwer, dem Stoff ihrer Alpträume zu entkommen. Denn die Pilze, vor denen sie sich fürchten, sind allgegenwärtig. Es ist schon schwer genug, ihnen in der Natur zu entkommen, unmöglich gestaltet sich die Sache aber im eigenen Körper. "Wir haben alle ein Mikrobiom - auf der Haut, den Schleimhäuten, im Darm", so Haas. "Das besteht hauptsächlich aus Bakterien, es sind aber auch ein paar Hefen dabei", zum Beispiel die Gattung Candida. Zusätzlich atmet jeder Mensch statistisch gesehen täglich hunderte Sporen ein. "Wenn Sie den Deckel ihres Komposthaufens aufmachen, dann inhalieren Sie wahrscheinlich nicht Hunderte, sondern Tausende oder Millionen. Das macht uns nichts aus, solange unser Immunsystem funktioniert." Ist das System aber gestört, beispielsweise durch die Einnahme von Immunsuppressiva im Rahmen einer Krebstherapie, kommt die opportunistische Natur der Pilze zum Tragen.
"Die meisten Chemotherapiepatienten durchleben Phasen der Immunsuppression", erklärt Haas. "Die Pilze können dann auf einmal ihre Chance nutzen und in die Gewebe eindringen - das kann zur lebensgefährlichen Erkrankung führen." Die eingeatmeten Sporen, die normalerweise schon in den Lungenbläschen und Bronchien eliminiert werden, können im Falle eines geschwächten Immunsystems auskeimen und in Gewebe einwandern. Weltweit betrachtet verursache Cryptopkoccus die meisten Probleme, besonders in Afrika, wo es Personen befällt, deren Immunsystem aufgrund von HIV supprimiert wird. Die Infektion ist lebensbedrohlich und verläuft unbehandelt meist tödlich.
Auch Schimmelpilzinfektionen oder Pilzinfektionen der Haut seien keine Seltenheit. In Europa und den USA kommt die Infektion mit dem Hefepilz Candida von allen Pilzerkrankungen am häufigsten vor. "70 Prozent aller Frauen haben zumindest einmal im Leben ein Candida-Problem in der Vagina (Vaginitis), im Darm ist es auch häufig", erklärt der Mikrobiologe.
Diagnostik von Pilzinfektionen
Ein großes Problem bei der Bekämpfung von Pilzinfektionen stellt die Diagnose dar. "Es gibt Möglichkeiten, diese Infektionen nachzuweisen, aber die Methoden sind nicht sehr sensitiv und nicht so spezifisch", erläutert Haas. Aktuell werden Risikopatienten oft prophylaktisch behandelt, was mit Kosten und Nebenwirkungen verbunden ist.
An diesem Punkt kommt Haas' Forschung ins Spiel. Der studierte Mikrobiologe und Professor am Department für Molekularbiologie forscht seit vielen Jahren am Siderophor-System von Pilzen und konnte erstmals aufzeigen, dass es essenziell für die Virulenz von Pilzen ist - eine Erkenntnis, die vor allem für die Diagnostik relevant ist.
Siderophore sind kleine Moleküle, die von Pilzen (und aeroben Bakterien - in diesem Fall sehen sie allerdings anders aus) gebildet und in die Umgebung abgegeben werden. Dort nehmen sie mit hoher Bindungsstärke Eisen auf und kehren so beladen zurück in den Pilz. In Zusammenarbeit mit dem Radiopharmazeuten Clemens Decristoforo hat das Team um Haas von Pilzen ausgeschiedene Siderophore statt mit Eisen mit Gallium beladen und in mit Aspergillus infizierte Tiermodelle injiziert. "Der Pilz sieht das Gallium-Siderophor, hält es für ein Eisen-Siderophor und nimmt es auf", vergleicht Haas das Täuschungsmanöver mit einem trojanischen Pferd. Das schnell zerfallende Gallium lässt sich mit einem PET-Scan, wie er auch in der Krebsdiagnostik zum Einsatz kommt, nachweisen. "Da sieht man dann am PET-Scan einen Pilz in der Lunge, der es aufnimmt."
Diese Studien zeigten, dass Siderophore zu nahezu hundert Prozent über den Harn wieder ausgeschieden werden. Ein Nachweis über den Harn brächte den Vorteil, dass er nicht invasiv durchgeführt werden müsse, so Haas. "Man bräuchte dem Patienten kein Blut abnehmen, sondern könnte den Harn als Probenmaterial verwenden. Wir glauben, dass wir damit einen neuen, hoffnungsvollen Biomarker haben." Ziel für die Zukunft sei es, die Messmethode (ein hoch-sensitives Analyseverfahren, das auf der Massenspektrometrie beruht) zu vereinfachen.
Verteidigung und Angriff
Im Gegensatz zu tierischen und pflanzlichen Organismen haben Pilze keine Immunzellen. Sie müssen sich ihrer Feinde also mit Hilfe chemischer Waffen erwehren. Dafür haben sie spezielle Enzymsysteme, mit denen sie Moleküle herstellen, die sie zur Verteidigung und manchmal auch zum Angriff verwenden können.
"Die bekanntesten dieser Waffen sind Antibiotika. Sie wurden von Pilzen entwickelt, um sich gegen Bakterien zu wehren", verweist Haas auf das Penicillin, eines der ältesten heute noch verwendeten Antibiotika pilzlichen Ursprungs. Die antibakterielle Wirkung des Pilzes Penicillium erkannte bereits 1874 der Chirurg Theodor Billroth - aber nicht das verantwortliche Molekül, Penicilin. Dieses wurde erst fast hundert Jahre später von Alexander Fleming identifiziert, der 1945 den Nobelpreis dafür erhielt. Im zweiten Weltkrieg wurde die Antibiotika-Forschung in den USA verstärkt vorangetrieben und neue Stämme von Penicillium gezüchtet, um den Stoff in großen Mengen für die Behandlung verwundeter Soldaten einsetzen zu können.
Von Pilzen lernen
Sich Pilze medizinisch zunutze zu machen, ist aber keine Erfindung der Moderne. Schon die Steinzeitmenschen wussten um ihre Heilkraft und verwendeten den Zunderschwamm nicht nur als urzeitliches Feuerzeug, sondern auch als Wundauflage, um Blutungen zu stillen. Auch der Birkenporling wurde - in dünne Streifen geschnitten - wegen seiner entzündungshemmenden Eigenschaften als Bandage verwendet und gilt heutzutage als mögliches Mittel gegen Krebs. Beide Pilze wurden in der Gürteltasche des Ötzi gefunden.
Mittlerweile gibt es dafür synthetischen Ersatz, die ursprüngliche Wirkungsweise stammt jedoch von Pilzen. Manche der von Pilzen hergestellten Verteidigungsmoleküle können das Immunsystem unterdrücken und kommen deshalb beispielsweise bei und nach Organtransplantationen zum Einsatz, um eine Abstoßungsreaktion des Körpers gegen das fremde Organ zu unterbinden. "Die Immunsuppression, die diese Transplantation erlaubt, haben wir von Pilzen gelernt. Die Kehrseite ist aber die: Wenn Patienten immunsupprimiert sind, laufen sie in Gefahr, von einem anderen Pilz infiziert zu werden", weist Haas darauf hin, dass jede positive Seite immer auch eine Schattenseite hat. "Man nimmt es in Kauf, weil man keine andere Möglichkeit hat."
Ein weiteres Problem, vergleichbar mit der Antibiotika-Problematik in der Medizin, sind die zunehmenden Resistenzen durch den massiven Einsatz von Antimykotika (also Substanzen, die gegen Pilze wirken) in der Landwirtschaft: Die wenigen überlebenden Pilze entwickeln Resistenzen. Wir wollen ja keine Mykotoxine in unseren Lebensmitteln. Um das zu verhindern, machen wir etwas, das wieder ein anderes Problem erzeugt", zitiert Haas den Zauberlehrling von Goethe: "Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los."
Von Anna Riedler / APA-Science