Neues aus dem Internet der Pilze
Wenn ein Pilzgeflecht eine Nahrungsquelle gegen Bakterien verteidigt oder auf sonstige Art mit seiner Umwelt interagiert, dann sehen Forscherinnen und Forscher der Plattform BiMM (Bioactive Microbial Metabolites) in Tulln ganz genau hin. Das Wissen um die molekularen Prozesse und die "Links" im "Internet der Pilze" könnte sich sogar als Waffe gegen Krebs oder multiresistente Keime erweisen.
Es mag den Schülerinnen und Schülern der HBLFA Francisco Josephinum durchaus so vorgekommen sein, als seien sie Protagonisten in einem Science-Fiction-Streifen à la "Ghostbusters", als sie mit modifizierten Staubsaugern immer wieder die Umgebung von Wieselburg nach Mikroorganismen durchkämmten. Tatsächlich leisteten sie mit den eingefangenen Pilzen und Bakterien wertvolle Feldarbeit für das zweijährige "Sparkling Science"-Projekt "PiNet" des Wissenschaftsministeriums (BMBWF), das Ende September 2019 abgeschlossen wurde. Wobei "abgeschlossen" relativ ist, wie Projektleiter Joseph Strauss hinsichtlich der insgesamt 600 gesammelten Proben anmerkt. "Mit der Aufarbeitung sind wir noch immer beschäftigt", erklärte der Leiter des Departments für Angewandte Genetik und Zellbiologie (DAGZ) an der Universität für Bodenkultur (Boku) im Gespräch mit APA-Science.
Reaktion auf Umweltsignale
Gemeinschaften von Schimmelpilzen bestehen aus einem riesigen Geflecht von zusammenhängenden Zellen (Myzel), die über Porenkanäle miteinander verbunden sind. Treffen Umweltsignale auf das Netzwerk, müssen die Informationen in irgendeiner Form weitergeleitet werden. "Wenn ein Geflecht auf einen Kompetitor trifft, wie reagiert es? Wird die gesamte Kolonie in Alarmbereitschaft versetzt oder nur lokal an der Stelle, wo das Signal ankommt?", erläuterte Strauss eine der Arbeitshypothesen. Nicht minder faszinierend stellte sich die zweite Ausgangsfrage dar, nämlich ob Pilze eine Art Erinnerungsvermögen besitzen, so etwas wie ein primitives, epigenetisches Nährstoffgedächtnis.
Um diese Mechanismen möglichst umfassend untersuchen zu können, sollte das in der Forschungsplattform BiMM hauptsächlich gebräuchliche Modellsystem zwischen dem Schimmelpilz Aspergillus nidulans und dem Bakterium Streptomyces rapamycinicus auf so viele Organismen und Konfrontationen wie nur möglich ausgeweitet werden. Dafür schwärmten die Schüler des Francisco Josephinum mehrfach an ungewöhnlichen Orten aus, vielfach waren das Viehställe. Ihre Proben sammelten sie mit eigens entworfenen, sterilen Staubsaugeraufsätzen. Im Labor der BiMM-Plattform am Boku-Campus Tulln half den Jungforschern ein spezieller Roboter, der eine vollautomatische Auswertung von tausenden Interaktionen zwischen Pilzen und Bakterien innerhalb weniger Wochen schafft. Sichtbar gemacht wurden die bei den Interaktionen entstehenden Signale durch mikroskopische und makroskopische Fluoreszenz-Analysen, die die Forscher gemeinsam mit den Schülern dokumentierten.
E-Mail: "Es gibt Essen"
Die Analysen bestätigten zum einen die Annahme nach einem systemischen Effekt, einer Art Generalwarnung an die gesamte Pilzkolonie über das "Internet der Pilze". "Wenn es um die Nähstoffverfügbarkeit geht, wird das Signal an das gesamte Netzwerk weitergeleitet", sagte Strauss, der auch die zur Boku gehörende Forschungsinfrastruktur BiMM leitet. Sobald ein Nährstoff erkannt wird, springt das Sensorprotein NirA an, was dazu führt, dass das genetische Programm für die Verwertung des Nährstoffs ablaufen kann. "Die Nährstoffe sind so klein, dass sie durch die Porenkanäle durch das gesamte Netzwerk durch diffundieren können", erklärte der Wissenschafter.
Ganz anders sieht es aus, wenn ein Konkurrent um eine Nahrungsquelle abgewehrt werden soll. Dann wird an der Stelle, wo sich das Bakterium anpirscht, eine Wand aus chemischen Abwehrsubstanzen hochgezogen. Der Pilz produziert dabei Orsellinsäure, ein bakteriostatisches Molekül, und scheidet sie aus seinem Netzwerk aus. Unter dem Mikroskop lasse sich der Vorgang gut beobachten, man sieht "eine richtig schöne gelbe Wand", so der Molekulargenetiker. An dieser Stelle wird das Bakterium gestoppt, auf der gegenüberliegenden Seite des Pilzes dagegen passiert nichts.
Diese beiden Mechanismen - die Diffusion von Nährstoffen durch das ganze Netzwerk und die lokale Abwehr von Kompetitoren - dürften sich generell durch das Reich der Mikrobiologie ziehen, ist sich Strauss so gut wie sicher, schränkt aber ein: "Nachdem die Forschungsergebnisse noch so neu sind, haben wir nichts in der Hand, womit wir das auch wirklich beweisen können."
Chemische Kommunikation
Bleibt noch die Frage, wie ein Pilz mangels Sinnesorganen überhaupt merkt, dass sich ein Bakterium annähert und ihm die Nahrung streitig machen will. Ob der Pilz ungewöhnliche Moleküle registriert oder Metaboliten, die das Bakterium ausscheidet, sei noch unklar. Es gebe jedenfalls eine chemische Kommunikation, die lokal geschieht und nicht weitergeleitet wird. "Was wir bisher nachgewiesen haben, ist, dass es eine direkte, physische Interaktion zwischen Bakterium und Pilz braucht, damit der Pilz dieses Programm hochfährt."
In einer im Fachblatt "eLife" publizierten Arbeit hat sich Strauss gemeinsam mit Kollegen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und von deutschen Forschungseinrichtungen angesehen, was dabei auf zellulärer Ebene vor sich geht. "Nachdem die betroffenen Zellen das Bakterium gespürt haben, fangen sie an, ihre Ressourcen umzuverteilen. Es kommt zu einem Hungersignal", so der Experte. Das Hungersignal löst das Hochfahren des Abwehrprogramms aus. Nimmt man das Bakterium weg und führt zusätzliche Nährstoffe hinzu, kann der Pilz das Programm wieder zurückfahren. Es bleibt allerdings ein epigenetischer Fußabdruck zurück. Nachweisen lasse sich dies mittels Chromatin-Immunpräzipitation - eine experimentelle Methode zur Bestimmung von Protein-DNA-Interaktionen -, die mit Hochdurchsatz-Sequenzierungsverfahren kombiniert wird. Diesen bisher noch nicht publizierten Ansatz sieht sich das Team um Strauss derzeit genauer an.
Zwei Stoßrichtungen in der Anwendung
Geht es in Richtung Anwendung der Grundlagenforschungsergebnisse, verfolge man zwei Stoßrichtungen. "Wir versuchen das epigenetische Programm systematisch in der Kultivierung von unterschiedlichsten Pilzen auszunutzen", so Strauss. Mithilfe von Automatisierungstechnik lassen die Forscher tausende Pilzspezies gegen tausende Bakterienspezies antreten, und beobachten, ob sich dabei möglicherweise für medizinische Zwecke interessante Substanzen bilden. Durch dieses Programm laufen sowohl die im Rahmen des PiNet-Projekts gesammelten Proben, als auch eigene Stammsammlungen sowie solche, die über Kooperationen dazugekommen sind.
Zwei Substanzen aus zwei Millionen Interaktionen
Seit dem operativen Start der BiMM-Plattform vor gut dreieinhalb Jahren wurden etwa zwei Millionen Interaktionen zwischen Bakterien und Pilzen getestet. Gefunden hat man dabei ungefähr 20 neue Substanzen, von denen man noch nicht gewusst hat, dass sie von Mikroben produziert werden. Zwei davon haben bisher unbekannte, vielversprechende Wirksamkeiten gezeigt. Die eine ist ein im bereits im Patentverfahren befindliches Antibiotikum, das gegen multiresistente Bakterien wie den "Krankenhauskeim" MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) wirkt. Die andere Substanz scheint gegen Chemotherapie-resistente Brustkrebszellen anzuschlagen. Strauss zeigt sich ob des Potenzials der Wirkstoffe zuversichtlich. Im Falle des möglichen "Resistenzbrechers" heiße es aber optimistisch gesehen noch sieben Jahre warten, bis er in die Anwendung kommt - realistisch gesehen noch zehn Jahre.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science