Der Pilz als Künstler und Vandale
Unter dem Mikroskop betrachtet sehen sie wie Kunstwerke aus, die Formen, die Aspergillus flavus in seiner Petrischale erschafft. Dabei ist der fotogene Schimmelpilz in Museen kein gerngesehener Gast. APA-Science hat bei Katja Sterflinger, Gutachterin an der Schnittstelle zwischen Mikrobiologie und Kunst- und Kulturgut, nachgefragt, warum Pilze in Kunst und Kultur gleichzeitig Fluch und Segen sind.
Ein Fliegenpilz mit weißem Stiel und blutrotem Hut, inmitten von Moos und Wald. Ein türkisblauer Kleinsporiger Grünspanbecherling. Ein dottergelbes Eierschwammerl in grüner Flur. Malerische Kompositionen wie diese werden nicht nur in Kinderbüchern gerne verwendet (beispielsweise als Behausung für Feen und Schlümpfe). Das künstlerische Potenzial der Pilze eignet sich ebenso für Fotografien oder Ausstellungen, und ihre Fähigkeit, als Stoffwechselprodukte farbige Pigmente zu bilden, findet nicht nur in der Anstrichmittelindustrie ("Die farbenfrohe Welt der Pilze") sondern auch auf der Leinwand Verwendung.
Vielfältig zerstörerisch
Die andere Seite der Medaille zeigt den Pilz jedoch weniger in der Rolle des Künstlers und mehr in der Rolle des Vandalen. "Pilze sind insofern zerstörerisch, als dass sie überall da wachsen können, wo organisches Material vorhanden ist, das sie abbauen können - und das ist in der Kunst sehr häufig der Fall", zählt Sterflinger nicht nur Leinwände und Bindemittel für Ölgemälde, sondern auch Holz und Papier auf. Aber nicht nur organisches Material, auch steinerne Kunst, etwa in Form von Statuen, Freskomalereien oder Putzoberflächen, und Metallarbeiten werden von ihnen angegriffen. "Was wir auf dem Kompost ganz toll finden, finden wir bei solchem Material nicht toll. Viele dieser Gegenstände sind nur deshalb über lange Zeit erhalten geblieben, weil Pilze nicht nur Nährstoffe, sondern auch Wasser brauchen."
Wenn durch Bauschäden, defekte Klimaanlagen oder Ähnliches die Luftfeuchtigkeit steigt, können die Pilze auf den entsprechenden Objekten wachsen und Schäden viererlei Art anrichten: "Erstens eine optische, ästhetische Schädigung, dadurch, dass der Pilz auf der Oberfläche des Objektes wächst. Zweitens dadurch, dass der Pilz organisches Material abbaut, zum Beispiel das Bindemittel wie Öl auf einer Malerei. Das Pigment, das die Farbe ausmacht, hat dann keinen Halt mehr." Auch anderes organisches Material wird von den Pilzen als Nahrungsmittel verwendet und zerfressen. "Drittens produzieren Pilze Säure, die sie ausscheiden. Dadurch kommt es zu Korrosionserscheinungen. Das kann Gläser, Metalloberflächen oder Naturstein treffen. Der vierte Aspekt ist eine mechanische Zerstörung. Pilze bilden Netzwerke und dringen damit auch in Material ein, zum Beispiel in Steine oder Materialschichten, und breiten sich dort aus."
Klimawandel begünstigt Schimmelpilzwachstum
Von den rund 100.000 Pilzarten, die unterschieden werden, kommt der Großteil auch an Kunst- und Kulturgut vor. Hauptsächlich sind die Übeltäter Schimmelpilze, aber "ich habe auch schon Schwammerl mit Stiel und Hut auf Wandmalereien erlebt, wo es wirklich ganz nass war. Das ist aber die Ausnahme", so Sterflinger, die als Uniprofessoren an der Universität für Bodenkultur (BOKU) tätig ist, aber auch Vorträge an Kunstuniversitäten hält. Dem Pilzbefall vorbeugen könne man nur durch die angemessene Klimatisierung der Objekte. Kleine, transportfähige könne man in entsprechend überwachte Depots schaffen, bei größeren, vor Ort verhafteten Objekten wie Höhlenmalereien oder Fresken gestaltet sich der Schutz wesentlich schwieriger.
Der größte Risikofaktor ist dabei das Klima. "Aufgrund des schon eingetretenen Klimawandels wird das eine immer größere Herausforderung. Wir haben mehr Niederschläge, Überflutungsereignisse und insgesamt eine höhere Luftfeuchtigkeit und wärmere Sommer. Das begünstigt das Schimmelpilzwachstum", erklärt die studierte Biologin und erzählt von "Wandmalereien aus dem 9. Jahrhundert, die in den letzten drei Jahren durch allgemeine Klimaveränderungen von Schimmelbefall betroffen sind. Die sind 1.200 Jahre schimmelfrei erhalten worden und fangen jetzt durch vermehrte Regenfälle und verstärkte Luftfeuchtigkeit im Sommer an zu schimmeln." Obwohl dringend notwendig, gäbe es diesbezüglich noch keine Pläne.
Wochenlange Millimeterarbeit
Bereits befallene Objekte kommen zunächst in Quarantäne, um andere Gegenstände nicht ebenfalls zu kontaminieren. Millimeter für Millimeter wird dann von dem Befall befreit, mit kleinen Schwämmchen oder Wattestäbchen. Je nachdem, wie groß das Objekt und wie dramatisch der Befall ist, dauern diese manuellen Reinigungsaktionen Tage bis Wochen. Wenn ein ganzes Depot betroffen ist, auch Jahre, erinnert sich Sterflinger an den von ihr betreuten Salzburger Nachlass des deutschen Kunstsammlers Cornelius Gurlitt: "Das war eine Katastrophe. Da sind die Monets hinter dem Küchenkastl gestanden und verschimmelt."
Eine abschließende Behandlung mit Alkohol -wenn das Material es aushält- soll zusätzlich desinfizieren und längerfristig abtöten. Das gereinigte Objekt muss gut im Auge behalten werden, denn "die Infektion kommt nicht von außen, sondern sitzt im Material drinnen und wartet darauf, dass die Umweltbedingungen ermöglichen, dass der Pilz wieder wächst."
Pilzkunst: vergängliche Ästhetik
Wenn Pilze es sich auf einer Leinwand gemütlich machen, kann das aber auch vom Künstler beabsichtigt sein. So werden unter dem Begriff "BioArt" Kunstwerke aus lebendem Gewebe, Organismen, Bakterien und Co. geschaffen - darunter fallen auch die Pilze, die sich wegen ihres schnellen Wachstums besonders gut für Performance-Kunst eignen. Aber auch in der klassischeren Malerei kann man sie zu sehen bekommen. Prominent platzierte beispielsweise der italienische Maler Arcimboldo einen Pilz als Ohr seines aus saisonalem Obst und Gemüse gestalteten "Herbst"-Mannes. "Pilze spielen immer wieder eine große Rolle, weil sie so vielfältig und faszinierend sind und teilweise ein bisschen gruselig", verweist Sterflinger auf das ästhetische Äußere der Pilze in Kombination mit der morbiden Vergänglichkeit, die sie als Destruenten deutlich machen.
"Ich habe einmal die Aufgabe gehabt, zu schauen, inwiefern Pilzkunst eine gesundheitliche Gefährdung darstellt", erinnert sie sich. "Es musste tatsächlich ein Objekt entfernt werden. Das war eine mit Unrat und Erde gefüllte Badewanne, ein lebendiges Kunstobjekt in einem österreichischen Museum. Das hat auf der Oberfläche extrem zu blühen begonnen - das war vom Künstler so gewollt." Die Badewanne musste letztendlich entfernt werden - einerseits, weil man eine Gesundheitsgefährdung für Besucher und Museumsangestellte befürchtete, andererseits, weil die Gefahr bestand, dass herumfliegende Sporen die Belüftungsanlage kontaminieren und im ganzen Museum herumgepustet werden. Pilze als Bedrohung für Kunst. Pilzkunst als Bedrohung für den Menschen. Nach 25 Jahren als Gutachterin weiß Sterflinger: "Es gibt nichts, was es nicht gibt."
Von Anna Riedler / APA-Science
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