Handauflegen mit Quanten - Die Physik als Feigenblatt
Quantenphysikalische Erkenntnisse lassen sich oft nur schwer mit dem beschreiben, was alltäglich beobachtet werden kann. Phänomene wie die "Verschränkung", bei der etwa zwei Photonen über beliebige Distanzen wie von Zauberhand miteinander verbunden bleiben, passen nur schwer in das Weltbild von Menschen, die sich nicht mit Quantenphysik beschäftigen. Gerade die Tatsache, dass die Quantenwelt nur schwer fassbar ist, macht sie zum beliebten pseudowissenschaftlichen Unterbau bei Erklärungsversuchen für verschiedenste Ansätze und Theorien. Dort wo ein solides wissenschaftliches Fundament fehle, würden viele Proponenten versuchen, ihren Methoden mit klangvollen wissenschaftlichen Begriffen Serösität zu verleihen, erklärte der Quantenphysiker, Wissenschaftsjournalist, Blogger und Skeptiker, Florian Aigner, im Gespräch mit der APA.
"Untergekommen ist mir in dem Bereich schon fast alles", so Aigner. "Ein ganz großes Thema ist natürlich die Quantenheilung. Aber man kann heute scheinbar alles, was irgendwie mit Medizin zu tun hat, über 'Quanten' verkaufen. Es gibt aber auch Quanten-Astrologie-Bücher. In der Esoterik-Szene gibt es insgesamt wenig, das man nicht in irgendeiner Weise mit Quanten in Verbindung bringt." Auch in Erklärungen für den behaupteten Effekt der Wasserbelebung oder in Argumentationen zur Wirkweise homöopathischer Mittel, in denen rein rechnerisch der ursprüngliche "Wirkstoff" gar nicht mehr enthalten ist, stoße man laut Aigner auf Verweise zur Quantenphysik.
In der Quantenheilung wird etwa behauptet, dass sich, wie bei der Verschränkung zweier Photonen, auch beliebige Punkte im Körper ganz einfach miteinander verbinden lassen und so - wie durch Zauberhand - allerlei Heilungseffekte an verschiedensten Stellen im Körper erzielen lassen.
"Quanten-Pickerl" für "nicht einmal neue Esoterik"
Die Quantenheilung sei ein gutes Beispiel dafür, wie althergebrachte, auf Aberglaube basierende Praktiken, wie das seit Jahrhunderten bekannte "Handauflegen", für die Anwendung in unserer modernen Gesellschaft mit völlig aus dem Zusammenhang gelösten wissenschaftlichen Begriffen behübscht werden. Aigner: "Die Quantenphysik wird als Add-on für Dinge verwendet, die es schon lange gibt. Diese Quanten-Esoterik-Welle hat nicht einmal neue Esoterik hervorgebracht. Sie nehmen die alten Hüte und kleben Quanten-Pickerl drauf - das ist nicht einmal originell."
Beim belebten Wasser und homöopathischen Mitteln gehe es wiederum darum, Erklärungen dafür zu finden, dass dort etwas drinnen ist, was in normalem Wasser oder Zucker, aus dem die Globuli bestehen, nicht enthalten ist. Da sich die Substanzen aber in der chemischen Analyse nicht von ihrem quasi unbehandelten Ausgangsstoff unterscheiden, müsse "man irgendwie argumentieren, warum sie andere Eigenschaften haben sollen, als das was aus der Wasserleitung oder der Zuckerdose kommt. Dann sagen die Leute eben, 'da ist Quanteninformation drinnen'", erklärte der Physiker.
Auf der Suche nach dem wissenschaftlichen Klang
Dabei berufe man sich immer darauf, dass die Quantenphysik "geheimnisvolle Zusatzeigenschaften" gefunden habe. Dann höre man immer die gleichen Schlagworte, wie "Quantenverschränkung", "spukhafte Fernwirkung" oder "Quanteninformation". Aigner: "Das sind ja tatsächlich Begriffe, die in der Fachliteratur vorkommen, allerdings auf eine ganz andere Art und Weise." Mit den wissenschaftlichen Begrifflichkeiten würden sich Anbieter derartiger Methoden aber meist nicht auseinandersetzen. "Das brauchen sie ja auch nicht, sie brauchen ja nur eine wissenschaftlich klingende Legitimation, um mehr Geld für das verlangen zu können, was sie anbieten."
Dass so ein Missbrauch möglich ist, stehe auch damit in Zusammenhang, dass das Wissen über Quantenphysik außerhalb von Forscherkreisen eher gering sei. Es herrsche das Bild: "Quantenphysik ist etwas Kompliziertes und es ist komisch." Hier gelte es weiterhin mehr an allgemein verständlichen Informationen anzubieten, so der Wissenschaftsjournalist, der im Büro für Öffentlichkeitsarbeit der Technischen Universität (TU) Wien arbeitet und dieses Dilemma auch in Vorträgen zu überwinden versucht. "Die Quantentheorie ist für mich eine große wissenschaftliche Theorie, wie jede andere. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass sie vom Verständnis her so viel komplizierter ist als die Elektrizitätslehre - an die wir uns ja auch gewöhnt haben. Wir können mit dem elektrischen Strom im Alltag umgehen, 'die Quanten' sind für uns eben noch etwas ganz Ungewohntes."
Vom Kleinen und Großen
Einer der Gründe, warum gerade die Quantenphysik eine gewisse Mystik umgibt, liege auch daran, dass sie in den Frühstadien ihrer Entwicklung "tatsächlich sehr ungewohnt ausgeschaut hat und es auch für die führenden Wissenschafter damals sehr schwer war, zu verstehen was da passiert", so der Physiker. Im Gegensatz zur Mechanik sei es beispielsweise schwieriger gewesen, die neue Theorie und die damit veränderte Weltsicht anhand von Beispielen aus dem Alltag zu illustrieren.
Die Quantenphysik beschäftigt sich großteils mit Abläufen in kleinsten Maßstäben. Dort herrschen teilweise Gesetzmäßigkeiten, die sich von denen unterscheiden, die wir aus unserer Alltagserfahrung gewohnt sind. In der Quantenwelt können sich etwa Zustände überlagern. Ein System kann also verschiedene Zustände gleichzeitig einnehmen. Das geht in der klassischen Physik nicht. Die Quanteneffekte haben zwar Auswirkungen auf andere Ebenen, um die Phänomene aber isoliert experimentell beobachten zu können, braucht es enormen technischen Aufwand. Ihr seltsames Verhalten zeigen gewisse Untersuchungsobjekte nämlich erst unter weitestgehender Abschirmung von allen Umwelteinflüssen, etwa im Vakuum. Quantenexperimente werden außerdem oft unter Extrembedingungen, wie in Temperaturbereichen nahe dem absoluten Nullpunkt, durchgeführt.
...ich mach' mir die Quantenwelt, wie sie mir gefällt
Diesen Aufwand betreiben die Forscher nicht aus reinem Vergnügen, sondern aus Notwendigkeit. Man könne diese Phänomene eben nicht unter alltäglichen Bedingungen beobachten, wie Aigner erklärte. Sobald man also von Quanteneigenschaften bei großen Objekten wie Zuckerkugeln oder Wasserflaschen spricht, begebe man sich "auf ganz dünnes Eis. Das sind vollkommen spekulative Überlegungen, für die es überhaupt keine Beweise gibt." Unter diesem Gesichtspunkt wirke es "lächerlich, wenn Leute einfach sagen 'das ist in der Natur eh überall so', ich kann daher ein menschliches Gehirn auf diese Weise beeinflussen oder Verschränkungen zwischen mir und meiner Oma, die ganz woanders wohnt, machen."
In solchen Argumentationslinien würden physikalische Argumente sofort auf Ebenen gehoben, auf die sie nicht oder nur sehr eingeschränkt passen. In der Wissenschaft gebe es eine gewisse logische Hierarchie, so Aigner. Die Physik widmet sich den grundlegendsten Naturkräften, die Chemie behandelt diese Prozesse auf der Ebene der Verbindungen zwischen Atomen und Molekülen, die Biologie befasst sich mit den Auswirkungen auf lebende Organismen. Teilbereiche der Psychologie interessieren sich wiederum beispielsweise für das menschliche Denken und wie wir Naturkräfte wahrnehmen, die Soziologie bringt die Gesellschaft als Beobachtungsebene ein und die Philosophie versucht, die Welt und die menschliche Existenz zu deuten und zu verstehen.
Pseudowissenschaftliches "Aus-der-Reihe-Tanzen"
Die Kette umspannt also "das ganz fundamental Kleine", wie auch die übergeordneten Fragen. "Ich bin der festen Überzeugung, dass man diese Reihenfolge einhalten muss", betonte der Physiker, so funktioniere auch fächerübergreifende Forschungsarbeit. Was das pseudowissenschaftliche Vorgehen charakterisiere, sei ein "Heraushüpfen aus dieser Reihenfolge". Möchte man etwa darüber sprechen, wie die Quantenphysik mit dem Denken zusammenhängt, muss man laut Aigner "den ganzen Weg gehen. Wenn ich all die Schritte dazwischen durchlaufe, wäre ich von der Quantenphysik meinetwegen wirklich zur Psychologie gekommen. Das macht aber niemand. Stattdessen fangen die Leute bei der Quantenphysik an und springen gleich zur Philosophie - die argumentative Kette wird nicht geschlossen." Das sei, wie wenn man die Beschleunigung eines Autos nur mit dem Drücken des Gaspedals erklären würde und dabei beispielsweise die Funktionsweise des Motors völlig außer Acht ließe.
Das Interesse an Pseudowissenschaften und Esoterik ist für den Physiker aber auch ein Hinweis darauf, dass sich die Menschen sehr wohl dafür interessieren, wie die Welt funktioniert. Aigner: "Leider geraten sie dabei oft an Leute, die ihnen Blödsinn darüber erzählen. Was die Wissenschaft tun müsste, ist den interessierten Leuten die wissenschaftlich fundierten Antworten zu liefern. Das geht nur, indem man neue Kommunikationsrichtungen aufschließt."
Der Wissenschaft gehe es nicht darum, der Welt ihren Zauber zu nehmen, sie füge diesem Zauber lediglich zusätzliche Ebenen hinzu. "Wenn ich weiß, wie ein Regenbogen zustande kommt, ist er ja deswegen nicht weniger schön, sondern eher noch interessanter." Gegen das Bild der "kühlen, harten, trockenen Naturwissenschaften" gelte es in gewisser Weise anzukämpfen, betonte Aigner.
Internet: http://www.florianaigner.at; http://www.naklar.at
Von Nikolaus Täuber / APA-Science