Heiße Luft mit "Quanten"
„Wissen ist grundverschieden vom Glauben", sagt der Physiker Heinz Oberhummer in seinem Gastkommentar für dieses Dossier. Damit markiert der "Science Buster" bereits eine zentrale Trennlinie zwischen erkenntnisgetriebener, klaren Regeln unterworfener Wissenschaft und jenen Bereichen, die nur so tun als wären sie Wissenschaft, aber de facto keine sind: Genannt werden sie Pseudowissenschaften und sie erleben nach Meinung von Experten aktuell einen regelrechten Aufschwung. APA-Science ist dem boomenden Phänomen hinter dem Präfix „Pseudo“ auf der Spur, das unter falscher Flagge im Fahrwasser der Wissenschaft segelt und dabei oft reiche Beute macht.
Von der Anthroposophie über Chronologiekritik und Radiästhesie bis hin zur Welteislehre (siehe Glossar): Der Katalog dessen, was unter die Kategorie Pseudowissenschaften fällt, ist ebenso lang wie zwiespältig. Die Grenzziehung zu evidenzbasierter Wissenschaft fällt vor allem Laien schwer, die sich mit Produkten und Angeboten konfrontiert sehen, die sich mit der Verwendung von Begriffen wie „Energie“, „Schwingung“ oder „Quanten“ einen wissenschaftlichen und damit seriösen und potenziell verkaufsfördernden Anstrich geben.
Gift entziehende Fußbäder
Beim Verein für Konsumenteninformation (VKI) gehen immer wieder Anfragen zu Produkten ein, die Konsumenten mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse in die Irre führen. "Es gibt zum Beispiel Fußbäder, die so knapp unter 1.000 Euro vertrieben werden. Durch irgendeine chemische Reaktion färbt sich das Wasser, wenn man da die Füße hineinhält, orange", erklärte Renate Wagner, Bereichsleiterin Beratung im Verein Konsumenteninformation in der Wiener Mariahilferstraße auf Anfrage der APA. Seitens des Verkäufers werde dann behauptet, dass "namhafte Wissenschafter" erwiesen hätten, dem Körper würden auf diese Weise Gifte entzogen.
"Gerade bei gesundheitsbezogenen Informationen greifen sehr oft ältere Menschen zu einem Strohhalm und sind auch bereit viel Geld auszugeben für einen ausgesprochenen Humbug", so Wagner. Der VKI werde in erster Linie dann behilflich wenn es zu prüfen gilt, ob der Konsument aus einem Vertrag, den er geschlossen hat wieder herauskommt. Legale Unterstützung kommt dabei von Paragraf 3 des Konsumentenschutzgesetzes, wonach der Verbraucher unter gewissen Voraussetzungen innerhalb einer Woche ohne Angabe von Gründen wieder vom Vertrag zurücktreten kann.
Marktplatz für Voodoo-Technik
"Es ist immer noch so, dass Wissenschaft ein positives, seriöses Image hat. Also was wissenschaftlich abgesichert ist, ist gut und seriös und wirkt. Aber es gibt diesen Markt für Voodoo-Technik, also für funktionslose Gerätschaften, die gekauft und produziert werden in unzähligen Varianten", sagt Ulrich Berger, Präsident der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD), der Wiener Regionalgruppe der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Dazu zählt Berger unter anderem "Handychips, Abschirmungsgeräte, Erdstrahl-Detektoren und -Neutralisatoren und Biocomputer, die angebliche negative Strahlungen neutralisieren".
Die Hersteller und Betreiber würden als Werbemaßnahme pseudowissenschaftliche Texte - bevorzugt "irgendetwas mit Quanten" - verwenden, um zu untermauern, dass ihre Produkte funktionieren. "Und so wird Pseudowissenschaft als Verkaufsvehikel benutzt und zwar relativ ungeniert", kritisiert Berger im Gespräch mit der APA. "Auch der gesamte Wasserbelebungsbereich und die sogenannte Raumharmonisierung fallen hier darunter, denn auch hier wird gerne darauf verwiesen, dass die Frequenzen und Schwingungen, die da herumgeistern die selben sind, die in der Homöopathie eine Rolle spielen." Und weil diese in der Öffentlichkeit ein gewisses Ansehen genieße, verwende man die angebliche Nähe zur Homöopathie als Argument. "Durch eine Pseudowissenschaft die bekannter und beliebter ist, eine andere Pseudowissenschaft zu legitimieren, ist ein interessantes Konstrukt. Wenn man das zurückverfolgt, stößt man immer auf diese kommerziellen Interessen."
Gründe für den Boom
Pseudowissenschaften sind insgesamt im Aufwind, meint Berger. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Im medizinischen Bereich würden viele Menschen mit chronischen Leiden, die unzufrieden mit dem ausbleibenden Behandlungserfolg der sogenannten Schulmedizin sind, alle Alternativen durchprobieren. "Manche davon, bei denen das Leiden dann irgendwann verschwindet, aus welchen Gründen auch immer, werden dann große Anhänger der letzten Methode die sie ausprobiert haben, weil die dann scheinbar gewirkt hat." Hier sei auch die Hauptursache für den Erfolg alternativer Heilmethoden zu suchen, nämlich in der Mundpropaganda: "Der 'Resi-Tant' hat das geholfen, jetzt probier ich das auch." Insofern sei das ein dynamisches, soziales Phänomen, das am ehesten die Marktforschung ergründen könnte.
Wie man Pseudowissenschaften erkennt
„Warum das Thema polarisiert, verstehe ich nicht“, meint dagegen Bernd Mayer vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften an der Universität Graz. Schließlich gebe es eindeutige Kriterien, um festzustellen, wann man es mit Wissenschaft zu tun hat und wann nicht. Wissenschaft sei ein veränderlicher Prozess mit prinzipiell widerlegbaren Theorien, während bei Pseudowissenschaften Dogmen und Unveränderlichkeit vorherrschen würden. „99 Prozent meiner Hypothesen wurden im Experiment widerlegt“, so der Professor für Pharmakologie und Toxikologie im Rahmen eines Vortrages in Wien über seine eigenen Forschungen.
Wo der gelernte Wissenschafter auf den ersten Blick ein trügerisches Angebot erkennt, kann sich der Laie mit einem schwer durchschaubaren Dschungel an verwirrenden Begriffen und Botschaften konfrontiert sehen. Mayer hat dafür eine Art Handwerkszeug parat, das hier helfen soll. Ob man es etwa mit Pseudomedizin zu tun habe, könne man unter anderem dadurch überprüfen, ob die Hypothese verständlich formuliert ist, die Behauptungen prinzipiell widerlegbar sind und ob auf Jahrtausende altes Wissen oder auf einen Guru verwiesen wird.
Als Merkmale von Pseudowissenschaften seien weiters die Missachtung von Naturgesetzen, selektive Beweisaufnahme, anachronistisches Denken oder die Suche nach Geheimnissen (Ufos, Yetis, neuartige Strahlen und Energieformen) charakteristisch. Bei der wissenschaftlichen Methode hingegen werden Hypothesen in Tests und Experimenten geprüft. Der Knackpunkt dabei sei immer die „intersubjektive“ - also durch unabhängige Beobachter erfolgende - Überprüfbarkeit, betonte Mayer.
Eine Million Dollar Preisgeld
Spannend wird es dann, wenn Pseudowissenschaften aufgerufen sind, sich in einem solchen überprüfbaren Rahmen zu beweisen. 1990 lud die deutsche GWUP Wünschelrutengänger dazu ein, unter kontrollierten Bedingungen künstlich angelegte Wasseradern zu finden. Die Teilnehmer zeigten sich zuversichtlich, scheiterten aber deutlich daran, eine signifikante Trefferquote zu erzielen. Die Anzahl der gefundenen "Wasseradern" lag im Bereich der erwarteten Zufallsverteilung.
Hintergrund der Aktion war auch eine von James Randi 1964 ausgerufene Herausforderung an alle Parawissenschafter, ihr jeweiliges "Fachgebiet" unter wissenschaftlicher Aufsicht zu reproduzieren und damit einen anerkannten Beweis für das behauptete Phänomen zu erbringen. Voraussetzung dafür ist jeweils, dass sich Probanden und Untersuchungsleitung mit der Versuchsanordnung einverstanden zeigen. Als Belohnung für die Beweiserbringung schrieb Randi zunächst einen Preis von 1.000 Dollar aus. Im Lauf der Jahre stieg das Preisgeld sogar auf eine Million Dollar, es musste aber bis heute kein einziges Mal ausbezahlt werden.
Skeptiker wollen aufklären
Die GWUP ist einer von vielen weltweit tätigen Vereinen, die sich die Aufklärung und Information über jene Bereiche, die Wissenschaft als Feigenblatt verwenden, zur Aufgabe gemacht haben. Esoterik zählt dabei meistens nicht zu den primären Interessensgebieten. Mit diesem eher im okkulten Bereich angesiedelten Themenkomplex (siehe auch GLOSSAR) beschäftigt sich Ulrich Berger von den Wiener Skeptikern nur, "wenn es sein muss". Anders sieht es aus, wenn es sich um Pseudowissenschaft handelt: "Dann fängt es an, mich persönlich zu interessieren, und vor allem dann, wenn es so erfolgreich ist, dass es sich an den Universitäten einnisten kann oder staatlich gefördert ist", sagt Berger.
Ein Dorn im Auge sind dem Mathematiker, der das Institut für analytische Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien leitet, vor allem einzelne Lehrveranstaltungen, die trotz mehrerer Beschwerden nach wie vor im Angebot von Universitäten aufscheinen. "Bei den Unis kritisieren wir in erster Linie die MedUni Wien, weil sie das Homöopathie-Wahlfach jedes Semester wieder anbieten lässt", so Berger, der in diesem Zusammenhang auch die "Ringvorlesung Komplementärmedizin" ins Visier genommen hat.
Tatsächlich lesen sich die Titel der einzelnen Lehrveranstaltungen aus der Ringvorlesung im Sommersemester 2013 wie das "Who is who" der Pseudowissenschaften im alternativmedizinischen Bereich. Von Osteopathie, angewandter Kinesiologie, anthroposophischer Medizin bis zur Feldenkrais-Methode spannt sich das Spektrum. Auf der betreffenden Webseite der MedUni wird das Lehrziel damit beschrieben, "den Studierenden ein umfassendes Basiswissen über komplementärmedizinische Methoden zu vermitteln, welches sie zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Bereich der praktisch-ärztlichen Tätigkeit befähigt".
"Hintergrundwissen" für Ärzte
Michael Frass von der Medizinischen Universität Wien verweist hier gegenüber der APA auf die Notwendigkeit für Ärzte, für Anfragen von Patienten gerüstet zu sein: "Wenn Sie heute in der Praxis stehen und es kommen Patienten zu Ihnen, dann verlangen diese sehr oft nach komplementärmedizinischen Methoden. Unabhängig davon, ob Sie dafür oder dagegen sind, es ist wichtig dieses Hintergrundwissen zu haben. Daher erscheint es sinnvoll Methoden vorzustellen, mit denen man als Arzt in einem sehr hohen Ausmaß konfrontiert ist. Es gibt natürlich Methoden, denen ich mehr abgewinnen kann und weniger."
Skeptiker Berger, der im Rahmen der Ringvorlesung versuchsweise die Vorlesung für Angewandte Kinesiologie besucht hat, glaubt dagegen nicht an das ausgegebene Credo: "Da war keine Rede davon, dass da objektiv informiert wird, sondern das war ein praktizierender Kinesiologe, der das als eine wunderbare Errungenschaft vorgestellt hat und zwar auch anhand von absurden Demonstrationen." So sei einem Freiwilligen ein Handy auf die Schulter gelegt worden um damit zu zeigen, dass dadurch der Muskel geschwächt wird - "wegen der Strahlung".
Ursprünglich ist diese Vorlesung von Manfred Maier vom Zentrum für Public Health zusammengestellt worden, so Frass. "Wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr die Vorlesung in einer etwas anderen Form darstellen", erklärt der Präsident des Dachverbands österreichischer Ärzte für Ganzheitsmedizin. Voraussichtlich werde das Programm ein wenig gekürzt: "Bei der einen oder anderen Methode werden wir uns vielleicht doch überlegen, ob wir sie drinnen lassen oder nicht." Auf konkrete Methoden, die eventuell nicht mehr angeboten werden, möchte sich Frass "noch nicht festlegen".
Der Kampf um die Globuli
Dass auch die Homöopathie eine Pseudowissenschaft ist, darüber lassen ihre Gegner keine Zweifel aufkommen. Davon zeugen öffentliche Aktionen wie "Suizidversuche" mit Globuli und eine intensiv geführte Debatte in Wissenschaftsblogs und in den Medien. Auch der Pharmakologe Bernd Mayer kann bei der Homöopathie, die auf dem Simile-Prinzip („Ähnliches mit ähnlichem heilen“) und auf der Potenzierung - ein Arzneistoff ist umso wirksamer, desto mehr er verdünnt ist - beruht, „keinen Hinweis auf Gültigkeit“ erkennen. Sollte doch jemals die Wirksamkeit von Homöopathie nachgewiesen werden, müssten sämtliche Naturgesetze umgeschrieben werden.
Wo Kritiker von unwissenschaftlichem, unbewiesenem Humbug sprechen und jedwede Wirkung ausschließlich dem Placebo-Effekt zuschreiben, sehen die Proponenten wie Michael Frass in der Homöopathie eine evidenzbasierte Methode mit längst bewiesener Wirksamkeit. Hüben und drüben wird auf (Meta-)Studien verwiesen, die die jeweilige Argumentation stützen oder die von der Gegenseite fehlinterpretiert worden seien. Eine Schlichtung des Streits wird auch an dieser Stelle nicht möglich sein.
Eine ständige Angriffsfläche für Skeptiker ist die in der Homöopathie gängige Verwendung von extrem hohen Potenzen, also derart hohen Verdünnungen von Wirkstoffen, dass ein Nachweis der Grundsubstanz gar nicht mehr möglich ist. Als Lösung bietet Frass hier an, doch einfach stattdessen niedrigere Potenzen zu untersuchen, wo man die Ausgangssubstanz noch vorfinden könnte. Ein Allheilmittel sieht aber selbst der entschiedene Befürworter nicht in der Homöopathie: "Mir geht es um den Dialog zwischen konventioneller Medizin und Komplementärmedizin. Es gibt keine allein selige machende Methode zum Wohle des Patienten. Es ist nicht ein entweder/oder, sondern ein Miteinander."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science