Unbeantwortetes öffnet Raum für Pseudowissenschaften
Mit der Beantwortung einiger existenzieller Fragen tun sich die Naturwissenschaften traditionell schwer. In vielen Bereichen ist man zwar bereits weit vorgestoßen, Phänomene, wie die das menschliche Bewusstsein, Freiheit von Entscheidungen oder gar der viel zitierte "Sinn des Lebens" bleiben aber harte Nüsse, die mit wissenschaftlichen Methoden wohl nicht zu knacken sind. Der Sozialpsychologe Andreas Hergovich von der Universität Wien sieht genau hier einen wichtigen Punkt, an dem Pseudowissenschaften ansetzen, da sie hier oftmals mit "klaren Antworten" punkten können. Die Faszination für wissenschaftliche Grenzbereiche und das Mystische sei jedenfalls schon immer da gewesen und auch die Wissenschaft täte gut daran, sich mit ihren Randbereichen auseinanderzusetzen, wie der Aberglaubenforscher im Gespräch mit der APA erklärte.
Die Grenze zwischen dem, was als Wissenschaft und als Pseudowissenschaft angesehen wird sei "im Detail schwer abzuschätzen", erklärt Hergovich. "Das Problem ist nämlich, dass Pseudowissenschaften meistens auch wissenschaftliche Komponenten haben und auch wissenschaftlich betrieben werden." Man brauche daher sehr viel Einblick und Unvoreingenommenheit, um beurteilen zu können, ob es sich bei etwas um Pseudowissenschaft handle oder nicht.
Durchlässige Grenzen
"Es gibt Gebiete, wo einfach keine Einigkeit besteht", so der Psychologe. Für Hergovich ist etwa die Homöopathie den Pseudowissenschaften zuzuordnen, es gebe aber sogar Universitätsprofessoren, die gegen diese Einschätzung klar Stellung beziehen würden. Gerade an dieser "Grenze zwischen eindeutig anerkannter Wissenschaft und eindeutiger Esoterik" sei die Trennlinie immer unscharf.
Klar sei daher auch, dass es viel Wissen und Zeit brauche, um sich ein Bild davon zu machen, was man im Einzelfall eigentlich vor sich hat - vor allem als Nicht-Wissenschafter. Für den "Mann oder die Frau auf der Straße" gelte womöglich schon vieles als Wissenschaft, was in den Medien kolportiert wird und mit "Prozentsätzen oder Zahlen" garniert sei. Oft reiche, laut Hergovich, vermutlich auch schon die Behauptung: "'Wissenschafter haben herausgefunden, dass...', um etwas als wissenschaftlich erscheinen zu lassen".
Das Bedürfnis nach "klaren Antworten"
Dem Wesen der Wissenschaft sei auch zu einem gewissen Grad immanent, dass "klare Antworten, die die Leute haben wollen" nur selten gegeben werden können. "Das findet man aber in der Pseudowissenschaft, da wird behauptet, dass etwas so und so ist". Das Bedürfnis nach klaren Antworten werde etwa in der Astrologie gut bedient.
"Die Naturwissenschaften können aus meiner Sicht bestimmte Dinge objektiv nicht beantworten." Hergovich: "Warum gibt es so etwas, wie die Freiheit des Willens, obwohl wir das auf der Ebene der Gehirnströme nicht verorten können? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist das Geheimnis des Bewusstseins? Das ist völlig unverstanden in den Naturwissenschaften."
Man versuche diese Phänomene zwar auf die Ebene der Biologie oder Physik herunterzubrechen, aber das funktioniere nicht ganz. "Das spüren die Menschen zu Recht und daher verstehe ich den Drang zu alternativwissenschaftlichen Erklärungen oder den Hang zu Esoterik gut", so der Wissenschafter.
Die Faszination des Unbekannten
Hergovichs Forschungsinteresse richtet sich auch teilweise auf solche Grenzbereiche. In seinem Fach ist einer davon die "Parapsychologie", also die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit scheinbar paranormalen Phänomenen. "Was mich an der Parapsychologie fasziniert hat, ist, dass sie immer wieder in den Medien herumgeistert, man aber relativ wenig wissenschaftliche Evidenz findet und sich wenige Forscher mit diesen Themen beschäftigen". Es handle sich um ein "Tabuthema innerhalb der Wissenschaft", erklärt der Forscher.
Auch hier werde sichtbar, dass sich die Naturwissenschaften mit manchen Inhalten eher nicht beschäftigen würden, von denen aber eine gewisse Faszination ausgeht. Hergovich: "Die Leute nehmen aber wahr, dass gewisse Themen von den Wissenschaften ausgespart werden und das fasziniert dann". Wenn es um "letzte Fragen" oder "Wunder" geht, dann seien die "harten Wissenschaften" nicht zuständig, hier öffne sich ein breites Feld für Religionen, Esoterik oder Pseudowissenschaften.
Auf der Suche nach Zusammenhängen
Untersuchungen würden zeigen, dass es statistisch gesehen Personengruppen gibt, die für derartige Inhalte empfänglicher sind. Das seien vor allem jüngere Menschen, aber auch Frauen scheinen darauf etwas stärker zu reagieren. Zusammenhänge mit der Ausprägung bestimmter Persönlichkeitseigenschaften, wie etwa Suggestibilität oder Leichtgläubigkeit wurden ebenfalls gefunden. "Personen, die sich leichter hypnotisieren lassen, glauben auch eher an pseudowissenschaftliche Inhalte", so Hergovich. Zusammenhänge mit psychiatrischen Erkrankungen, wie etwa Schizophrenie, würden immer wieder diskutiert. Personen, die eine "schizoide Persönlichkeit" aufweisen, würden auch stärker zum "magischen Denken" tendieren. Ebenso dürften traumatische Lebensereignisse in der Kindheit die Empfänglichkeit etwas erhöhen, wie der Wissenschafter erklärt.
Im Bezug auf Religiosität zeige sich ein differenzierteres Bild. Zusammenhänge hingen etwa davon ab, welcher Konfession die Menschen angehören. Es zeige sich aber auch, dass Menschen, die sich sehr stark mit Glaubensinhalten identifizieren, weniger an Astrologie glauben würden. Auch Atheisten würden teilweise zu Ersatzglauben neigen, die durch Esoterik oder Pseudowissenschaften bedient werden können. "Das muss man ganz differenziert betrachten", betont Hergovich.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Klar sei jedenfalls, dass Pseudowissenschaften, Aberglaube und Esoterik immer in der Gesellschaft verankert waren. Die jeweiligen Ausprägungen würde sich aber stetig verändern."In den 1970er Jahren waren es die UFOs. Die sind jetzt völlig verschwunden. In den späteren 1980er Jahren gab es eine 'Astro-Welle" - also das kommt und geht", so der Forscher. Booms auf diesem Gebiet würden auch in den Medien "immer wieder herbeigeschrieben". In Krisenzeiten - wie aktuell - könne man tendenziell aber von einem etwas verstärkten Zulauf ausgehen. "Einen besonders starken Boom würde ich aber nicht sehen", so Hergovich.
Warum glauben Menschen an Pseudowissenschaften?
In seiner Auseinandersetzung mit der Anomalistischen Psychologie gehe es einerseits darum, zu überprüfen, welche Phänomene sich bestätigen lassen, bzw. was aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar sei. "Was aber vor allem interessiert, ist es, Gründe dafür zu finden, warum Menschen an diese Phänomene glauben, das ist das Hauptforschungsinteresse".
Neben der Forschung in Richtung der erwähnten Persönlichkeitseigenschaften, widmen sich die Wissenschafter Mechanismen, die dazu führen, "dass der Zufall einfach ganz anders eingeschätzt wird", so Hergovich. "Wenn man mit zufälligen Ereignissen konfrontiert wird, kann man denen Bedeutung zuschreiben. Sieht etwa eine Wolke zufällig einem Gesicht ähnlich sieht, dann kann ich dem Bedeutung zuschreiben oder eben nicht. Es gibt Menschen, die im Zufall einfach mehr Bedeutung sehen und dann auch eher an esoterische Inhalte glauben."
Wissenschaftliche "Zaubertricks"
Untersuchen lassen sich solche Tendenzen etwa mit "Zaubertricks". Dabei werden den Teilnehmern Tricks gezeigt und dann Einschätzungen darüber eingeholt, wie verblüfft oder beeindruckt sie über das Gesehene sind und auf welchem Weg es zustande kam. "Aus meiner Sicht sind Zaubertricks die perfekte Methode, um paranormale Phänomene zu simulieren", erklärt der Forscher.
Mit Hergovichs Interesse tue sich die akademische Psychologie aber manchmal schwer. Man komme damit selbst teilweise in den Ruch, ein "Esoterikgläubiger" zu sein. Das sei auch dadurch zu erklären, dass die Psychologie lange darum gerungen habe, "quasi als Naturwissenschaft anerkannt zu werden. Daher möchte sie möglichst wenig an grenzwissenschaftlichen Themen anstreifen, selbst wenn man das - wie ich - skeptisch betrachtet", ist der Wissenschafter überzeugt.
Das sei aber schade, da diese Themen die Menschen bewegen und interessieren. Es sei denkbar, dass pseudowissenschaftliche Tendenzen der Wind aus den Segeln genommen werden könnte, wenn sich die Wissenschaft stärker mit diesen Phänomenen auseinandersetzen würde, vermutet Hergovich.
Von Nikolaus Täuber / APA-Science