"Wer ist der Krampus?" - Forscherinnen gehen Integration am Land nach
Wie abseits der Städte mit dem Zuzug von Migranten und Flüchtlingen umgangen wird und wie die angestammte und zugezogene Bevölkerung das Zusammenleben am Land erleben, analysieren zwei Forschungsprojekte in Niederösterreich und Kärnten. Dabei zeigt sich, dass ein Schlüssel im Zugang zu kulturellen und sozialen Codes liegt. Fragen wie "Wer ist der Krampus?" stehen im ländlichen Raum.
Mit der Forschung in diesem Bereich betritt die Wissenschaft gewissermaßen Neuland, denn bisher sei das Interesse dafür, was sich rund um die gesellschaftliche Integration und Inklusion auf dem Land tut, in der Forschungsgemeinde noch relativ gering, wie die Integrationsforscherin Marika Gruber von der Fachhochschule (FH) Kärnten gegenüber APA-Science erklärte. Auch in politischen Debatten über Migration wandert der Blick noch relativ selten in die ländlichen Gegenden - auch weil 2012 62 Prozent aller ausländischen Staatsangehörigen in Österreich in Städten mit über 20.000 Bewohnern lebten.
Oft relativ hoher Migranten-Anteil in kleineren Gemeinden
Im Steigen ist aber auch die Zahl jener Gemeinden unter 15.000 Einwohnern, in denen der Anteil an Personen mit ausländischer Herkunft über zehn Prozent liegt. Mittlerweile trifft das auf knapp 700 kleine und mittelgroße Gemeinden in ganz Österreich zu, wie Gruber in ihrer für den Kärntner Bezirk Hermagor erstellten Pilotstudie mit dem Titel "Migration als Chance für den ländlichen Raum" schreibt.
"Gerade dieser Aspekt findet bisher in Österreich relativ wenig Beachtung", sagte Gruber, die bereits 2013 im Auftrag des nunmehrigen Integrationsministeriums das Praxishandbuch "Integration im ländlichen Raum" verfasst hat. Das sei damals ein erster Vorstoß dahin gehend gewesen, den ländlichen Raum auch als Ort der Zuwanderung zu begreifen. Gruber: "Vorher war das überhaupt nicht im wissenschaftlichen und medialen Fokus." Auch in Deutschland gebe es erst vereinzelte einschlägige Forschungsprojekte, deren Fokus allerdings nur selten bis in die Regionen und Kommunen reicht. Ähnlich ist die Situation auch in Österreich, wo in einzelnen Projekten Wissenschafter genauer in den ländlichen Raum hineinschauen.
Niederösterreich analysiert sich als Migrationsraum
So wird etwa in Niederösterreich die Geschichte des Landes als Migrationsraum momentan im Rahmen eines groß angelegten wissenschaftlichen Vorhabens von einem weitverzweigten Forschungsnetzwerk vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart erforscht. Mit den Auswirkungen der aktuellen Migrationsbewegungen setzt sich dabei das Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten auseinander, wie die leitende Mitarbeiterin des Projekts, Katharina Auer, APA-Science erklärte.
Dabei handle es sich um ein auf zwei Jahre anberaumtes "Sondierungsprojekt" über die gelebte Praxis im Umgang mit (im Projektzusammenhang vor allem anerkannten) Flüchtlingen. "Wir schauen uns aus unterschiedlichen Perspektiven an, was in den ländlichen Gemeinden passiert", sagte Auer. Dafür ist sie und eine Kollegin viel unterwegs: "Wir führen Beobachtungen bei Gemeindeveranstaltungen, wie etwa Sommerfesten für Flüchtlinge und Zuwanderer oder Vorträge über deren Herkunftsländer, durch." Vor allem seit dem großen Flüchtlingsaufkommen ab dem Sommer 2015 haben sich auch viele Initiativen formiert. Auch bei von ihnen organisierten Treffen von freiwilligen Helfern docken die Sozialwissenschafterinnen nun an.
Gute Erfahrungen in der Feldforschung
Das sei mitunter ein langwieriges Unterfangen, denn als Forscher brauche man Einstiegspunkte in die einzelnen Initiativen. Um erst einmal auf all die Akteure aufmerksam zu werden, müsse man eben viel im Feld unterwegs sein und zahlreiche Kontakte knüpfen. "Im Sinne des Schneeballprinzips kommt man eben immer ein Stück weiter", sagte Auer. Wichtig sei, stets transparent als Wissenschafterin aufzutreten, genau zu erklären, woran man interessiert ist und einfach mit den Leuten zu sprechen. Auer: "Damit habe ich bei den Veranstaltungen, die ich besucht habe, auch noch nie Probleme gehabt."
Gerade auf einschlägigen Veranstaltungen werde viel darüber diskutiert, was in den Regionen gut funktioniert und was weniger. Darüber hinaus führe man zahlreiche Gespräche mit Personen, die auf unterschiedlichste Weise in diese Prozesse involviert sind - von Bürgern über Politiker bis zu Geflüchteten. Man suche auch gezielt nach Gemeinden, die punkto Integration unterschiedliche Ansätze verfolgen, so die Forscherin. Einen großen Einfluss habe natürlich auch die Art der Unterbringung der Flüchtlinge - also, ob diese etwa in kleinen Gruppen privat in Dörfern oder in größeren Unterkünften am Rande der Ortschaften leben.
Arbeit an Inklusion als vielfältiges Feld und wechselseitiger Prozess
Im Kern wolle man sich der brennenden Frage annähern, ob es bestimmte übergeordnete Strategien gibt, die die Einbindung von Flüchtlingen im Gemeinwesen besonders fördern, und warum das so ist. Obwohl man erst am Beginn der Feldforschungsarbeit stehe, sei schon jetzt überraschend, wie unterschiedlich die Praxen in verschiedenen Regionen sind. Auf der anderen Seite zeige sich auch, dass Vieles erst im Entstehen ist: Initiativen, die mit einem elaborierten Handlungs-Programm offensiv versuchen Integration oder Inklusion zu unterstützen, seien bisher in Niederösterreich noch rar.
Wichtig ist Auer auch eine differenzierte Sichtweise auf die Begriffe. Denn in politischen und auch gesellschaftlichen Diskussionen werde "Integration" oft im Sinne der einseitigen Eingliederung einzelner Personen in ein größeres Ganzes verstanden. "Wir setzten uns mit der 'sozialen Inklusion' auseinander. Das heißt, wir gehen davon aus, dass sich auf Seiten der Zuwanderer und der Empfangsgesellschaft etwas verändert. Es ist ein wechselseitiger Prozess", erklärte Auer, die mit Ergebnissen des im Sommer begonnen Projekts bis spätestens 2018 rechnet. Die Landespolitik sei an den Erkenntnissen jedenfalls sehr interessiert: "Wir sind hier mit unterschiedlichen Akteuren in Kontakt."
Bezirk Hermagor im Wandel
Interesse vonseiten der öffentlichen Verwaltung war sogar der Ausgangspunkt eines Vorreiterprojekts, das bereits im Jahr 2013 seinen Ausgang nahm: Die Bezirkshauptmannschaft Hermagor (Kärnten) wollte damals wissen, was es braucht, um die Zuwanderer, die zu dem Zeitpunkt schon im Bezirk lebten, besser zu qualifizieren. Darüber hinaus stand die Frage im Raum, welche Maßnahmen gesetzt werden können, damit diese auch langfristig im Bezirk bleiben, wie die Projektleiterin Gruber erklärte. Gerade die Südkärntner Bezirkshauptmannschaft gelte österreichweit als eine der reformfreudigsten, was ihr auch mehrere Verwaltungspreise einbrachte.
Das liegt auch an den Herausforderungen, vor denen die Region steht. "Hermagor ist ein sehr ländlich geprägter Bezirk, der stark vom Bevölkerungsrückgang und Abwanderung geprägt und auch von den negativen Folgen des demographischen Wandels betroffen ist", sagte Gruber. Die Arbeitsplätze sind vor allem in der Bau- und Tourismusbranche konzentriert. Ungefähr 1.400 ausländische Staatsbürger leben momentan in der Region, der Großteil kommt aus dem EU-Raum - was sich angesichts der Entwicklungen in den vergangenen beiden Jahren verändern könnte.
Unverständnis im Angesicht des Krampus
Zuerst erhoben die Wissenschafter unmittelbare Bedürfnisse der Einheimischen und der Zuwanderer. Schnell stellte sich heraus, dass es im gesamten Bezirk keine Möglichkeit gab, Deutschkurse zu besuchen. Daraufhin wurden Angebote konzipiert und auch eingeführt, in die Informationen über die Region inklusive Freizeitaktivitäten, wie Besuche in der Stadtbibliothek oder bei der Arbeiterkammer, integriert wurden. Dieses breitere Konzept wurde gut angenommen, denn es stellte sich auch heraus, dass es vielen der Migranten an wichtigem regionalen Hintergrundwissen mangelte, ohne das sie das dortige Leben vor große Rätsel stellen kann. "Ein Zuwanderer hat das sehr treffend formuliert: Man ist im Winter mit dem Krampus konfrontiert, aber wer ist das eigentlich?", sagte die Integrationsforscherin.
Neben der Einführung von konkreten Maßnahmen wollten die Forscher anhand dieser Modellregion zusammen mit allen Beteiligten herausfinden, was Gründe für internationale Zuwanderer sind, um sich in einem ländlichen Gebiet niederzulassen. Dazu wurden Personen aus China, dem Iran, Tschetschenien, dem Kosovo, der Türkei sowie aus Italien, Slowenien, Slowakei, Ungarn und den Niederlanden interviewt.
Zufriedene Migranten schätzen Landleben...
Ob man bereits jemanden in der Region kennt, entpuppte sich als ein wichtiger Faktor für den Zuzug in die peripher gelegene Gegend. Auch positive Erfahrungen in der Region im Urlaub nannten einige Befragte als entscheidenden Anknüpfungspunkt. Außerdem wichtig: Die mediale Darstellung Österreichs als soziales Land mit schöner Landschaft, erklärte die Forscherin.
Neben der Landschaft schätzen die Zuwanderer etwa auch noch die hohe Sicherheit oder die allgemein hohe Lebensqualität in Hermagor. Alles zusammen gute Voraussetzungen für Integration, so die Forscherin. Die meisten Befragten beschrieben das Zusammenleben als "gut" oder "sehr gut". Viele drückten sogar dezidiert aus, dass "sie ein 'guter Zuwanderer' sein wollen" und entsprechend daran interessiert sind, "keine 'Fehler' zu machen".
...und spüren "Kühle" und "Distanz"
Neben den Deutschkursen in der Umgebung wünschten sich einige Zuwanderer allerdings "viel mehr Aktivitäten des sozialen Miteinanders. Auch wenn die Bevölkerung schon als sehr hilfsbereit erlebt wird, bleibt immer eine gewisse Distanz bestehen. Ein Zuwanderer hat es einmal so ausgedrückt: "Man grüßt sich zwar, aber man wird nicht nach Hause eingeladen", sagte Gruber. Über alle Zuwanderergruppen hinweg werde eine gewisse "Kühle und Distanz" beschrieben, die nur schwer zu überwinden sei. "Da spielt auch kaum eine Rolle, ob man mit einem Italiener, Niederländer oder einer türkischstämmigen Frau spricht."
Am Ende des Projekts stand die Erarbeitung eines Handlungskonzepts für die Bezirkshauptmannschaft und eines Regionshandbuches für Zuwanderer. Damit soll dem zentralen Wunsch, "mehr über das tägliche Leben in der Region zu erfahren", Rechnung getragen werden. "Einer der Befragten hat etwa erzählt, dass er nicht wusste, dass man in der Mittagszeit nicht Rasen mähen soll. Wenn man das nicht weiß, macht man natürlich Fehler", sagte die Forscherin, die im gesamten Projekt sehr viele Punkte im Bereich der kulturellen und der sozialen Integration angesprochen sieht.
Von der Bezirks- auf die Landesebene
Zusammen mit der regionalen öffentlichen Verwaltung will man in einem anschließenden Projekt das Angebot weiter ausbauen. "Denn das ist schon ein neues Thema, das jetzt auch im ländlichen Bereich ankommt", sagte Gruber, die auch von einer wissenschaftlicher Warte aus die Erstellung des Integrationsleitbildes des Landes Kärnten begleitet.
Service: Die Pilotstudie "Migration als Chance für den ländlichen Raum" kann unter www.region-hermagor.at/310902_DE.pdf heruntergeladen werden.
Von Nikolaus Täuber/APA