Tagung zeigte Österreichs Geschichte als "Asylland wider Willen"
Im 20. Jahrhundert wurden die sogenannten Flüchtlingskrisen häufiger und die Abstände zwischen ihnen kürzer als davor. In Österreichs Geschichte ist der Zustrom Vertriebener allerdings eine Konstante. Immer wieder war es in den vergangenen 300 Jahren "Asylland wider Willen", zeigte Ende September die Tagung "Flüchtlingskrisen. Nichts Neues in Österreich" an der Universität Wien.
Österreich sei schon immer mit vergleichbaren Flüchtlingsströmen konfrontiert gewesen - und damit klargekommen. Das soll bei dem vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichteforschung (INZ) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), dem Zentrum für Migrationsforschung (ZMF) und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) veranstalteten Symposium durch die Analyse historischer Flüchtlingsbewegungen - vom Osmanischen Reich bis zum Bosnienkrieg - aufgezeigt werden.
Keine Ideallösung aus der Geschichte
Die Geschichte liefere sicher keine Ideallösung für die Gegenwart, betont Historiker Börries Kuzmany von der ÖAW zur APA. Sie zeige aber, dass das Land trotz Überforderung von Politik und Öffentlichkeit in der Vergangenheit keinen Schaden genommen hätte. "Ich möchte zeigen, dass man nicht solche Angst zu haben braucht. Ein Land geht davon nicht unter." Im Ersten und Zweiten Weltkrieg etwa sei Österreich mit einer deutlich größeren Zahl an Flüchtlingen konfrontiert gewesen als heute; nach 1945 war es etwa eine Million Menschen, darunter ehemalige Zwangsarbeiter, aus den Konzentrationslagern Entlassene und volksdeutsche Vertriebene.
Beim Umgang mit den Flüchtlingen sieht Kuzmany über die Zeit Parallelen: Stets hätten die Behörden versucht, den Zuzug zu begrenzen und die öffentliche Ruhe aufrechtzuerhalten; bei sehr großem Andrang habe aber auch in der Vergangenheit der Grenzschutz oft versagt. Und es gab schon immer vielfältige Fluchtgründe und Menschen, die solche Notsituationen ausnutzten, indem sie sich als Opfer ausgaben oder als Schlepper daraus ein Geschäft machten. Ob Flüchtlinge in der Gesellschaft als Problem angesehen wurden, hing und hängt wiederum stark mit deren sozialem Hintergrund zusammen. Wer gebildet und wohlhabend war, hatte es schon immer leichter.
"Bescheidene aber konstante Bewegung"
Schon Ende des 17. und im 18. Jahrhundert gab es über die Grenze zwischen dem Habsburger- und dem Osmanischen Reich eine "bescheidene aber konstante Bewegung von Asylsuchenden" ins Land, heißt es im Abstract zum entsprechenden Vortrag. Militäraktionen und Territorialverluste der Habsburger oder der Kuruzenkrieg führten allerdings auch dazu, dass größere Menschenmengen im damaligen Österreich Schutz suchten.
Tausende Auswanderer kamen auch im Gefolge der Französischen Revolution 1789 in die Kernländer der Habsburgermonarchie. Insgesamt waren rund 150.000 Menschen aus politischem Dissens oder aus Angst um Leib und Leben aus Frankreich geflohen. Die Reaktion Österreichs auf die Flüchtlinge war allerdings nicht nur von "Jakobinerfurcht" und Revolutionsangst getrieben, sie konnten oft auch auf Interesse und Unterstützung der Gesellschaft zählen. Die Mehrheit der Revolutionsflüchtlinge kehrte dann in den 1800er-Jahren wieder in die Heimat zurück.
Parallelen zu heute
Parallelen zum aktuellen Umgang mit Flüchtlingen zeigen sich, als 1881 viele Juden vor antijüdischer Gewalt über die galizische Grenze flüchteten. Die Wiener Regierung ließ die Flüchtlinge angesichts der Notsituation konzentriert an (mit Hotspots vergleichbaren) Aufnahmeorten ins Land, die Betreuung wurde damals internationalen Hilfsorganisationen überlassen. Schon damals kamen nicht nur bedrohte Menschen über die Grenze, viele suchten eine günstige Auswanderungsmöglichkeit nach Übersee. Die Reaktion der Regierung: "Letztlich versuchte man, weitere Menschen von Flucht/Auswanderung abzuhalten, indem man die Notversorgung entlang der galizischen Grenze einstellte und den Großteil der noch im Land verbliebenen Flüchtlinge nach Russland auswies", schreibt Kuzmany. Nur maximal die Hälfte der 25.000 nach Österreich geflohenen Juden dürfte schließlich nach Westeuropa bzw. Amerika gezogen sein, das Gros kehrte in die Heimat zurück.
Für einen Verbleib haben sich hingegen nach Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere tausend ehemalige zivile Zwangsarbeiter entschieden, die zuvor von der Deutschen Wehrmacht nach Österreich verschleppt worden waren. Viele wollten nach Kriegsende nicht wieder nach Hause, vor allem jene aus Osteuropa befürchteten dort politische Repressionen. Auch Perspektivenlosigkeit oder die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben motivierten sie zum Bleiben.
Eine "kritische Überprüfung" der "mythenbeladenen Meistererzählungen" über die "ins kollektive Gedächtnis eingebrannte und gern memorierte Hilfe für Kommunismusflüchtlinge" liefern Maximilian Graf und Sara Knoll (beide Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien). Die Flucht aus den kommunistischen Regimen war ein Dauerphänomen, es kamen viele Tausende aus Ungarn, der Tschechoslowakei und Jugoslawien nach Österreich. Der Umgang mit den Ankömmlingen war allerdings "stets ambivalent". Abgesehen von 1989 - hier war klar, dass die DDR-Flüchtlinge nur Zwischenstation in Österreich machten und die Kosten von der BRD übernommen wurden - gab es demnach höchstens anfänglich eine Aufnahmebereitschaft von Politik und Bevölkerung, rasch setzte aber ein Gefühl der Überforderung ein. Die Bezeichnung von Österreich als "Asylland wider Willen" hat deshalb laut den beiden Wissenschaftern trotz der auch erfolgten Hilfe für die Flüchtlinge durchaus ihre Berechtigung.