Forschen Schrittes
Hautnah an Zukunftsthemen dran sein, aber nie genau wissen, wohin einen der Weg führt – und dabei kindliche Neugier mit empirischer Erkenntnissuche verquicken: Der Beruf des Forschers ist eine der spannendsten Tätigkeiten, die es gibt. Um die Früchte der wissenschaftlichen Arbeit ausreichend ernten zu können, ist angesichts oft schwieriger Rahmenbedingungen ein langer Atem angesagt.
"Es ist ein ungeheures Privileg, in großer persönlicher Freiheit eigenen intellektuellen Fährten nachzustöbern und dafür auch bezahlt zu werden. Ein Nachteil ist sicher, dass man permanent einen Motor am Laufen haben muss, der im hochtourigen Bereich dreht", bringt Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien Freud und Leid eines Forscherlebens auf den Punkt (siehe auch Umfrage).
Wer sich für eine Karriere in der Forschung entscheidet, befindet sich in guter Gesellschaft. In Summe sind in Österreich laut Statistik Austria 61.170 Personen (Vollzeit-Äquivalente) in Forschung und Entwicklung (F&E) tätig, davon entfallen mehr als 16.000 auf den Hochschulsektor (Stand 2011). Quer durch Europa nehmen Forschungsaktivitäten an Hochschulen seit 2004, gemessen am Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP), eine immer größere Rolle ein, hat Eurostat erhoben. In Österreich betrugen 2013 die entsprechenden F&E-Ausgaben 0,72 Prozent des BIP. Damit lag die Alpenrepublik nach Dänemark, Schweden und der Schweiz – seit der vorhergegangenen Erhebung 2008 unverändert – an vierter Stelle.
Mangelnde Karriereperspektiven
Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Karriereperspektiven für Forscher an den Unis alles andere als ideal sind. Im zuständigen Wissenschaftsministerium (BMWFW) ist man sich des problematischen Status Quo bewusst. Laut Ministerium stehen rund 75 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter in befristeten Dienstverhältnissen mit wenigen Jahren Laufzeit und sie haben geringe Aussichten, in den festen Personalstand der Universität aufgenommen zu werden.
Die Spannungsfelder liegen unter anderem darin begründet, dass die Entwicklung des Stammpersonals mit dem Anstieg der Studierendenzahlen nicht mitgehalten, der Anteil externer Lehrender aber zugenommen habe. Der Anstieg des Drittmittelanteils – also projektbezogene Gelder, die zum Beispiel über den Wissenschaftsfonds (FWF) oder den Europäischen Forschungsrat (ERC) eingeworben werden – führte zu einer Ausweitung des aus diesen Mitteln beschäftigten Personals. Damit nahm auch der Anteil befristeter Dienstverhältnisse zu.
Als Hemmschuh für eine langfristige Karriereplanung erweist sich für viele Uni-Forscher die so genannte Kettenvertragsregelung, die in Paragraf 109 des Universitätsgesetzes (UG) 2002 verankert ist. Demnach darf die Gesamtdauer von unmittelbar aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen von Wissenschaftern an den Universitäten sechs Jahre (bei Teilzeitbeschäftigung acht) nicht überschreiten. Wenn nach Ablauf dieser Zeit keine entsprechende unbefristete Stelle frei ist, muss der Mitarbeiter die Uni verlassen.
Personalstrukturen im Fokus
Bei den Ende September/Anfang Oktober 2015 startenden Verhandlungen über die Leistungsvereinbarungen für die Jahre 2016 bis 2018 sollen die Personalstrukturen "ein zentrales Thema" sein, heißt es auf Anfrage von APA-Science aus dem Wissenschaftsministerium. Unter anderem soll die Personalstrukturplanung als Teil des Entwicklungsplans der jeweiligen Universität besser im Universitätsgesetz verankert werden. Die Regelung zu den Kettenverträgen erweise sich laut BMWFW als zu wenig flexibel und damit karrierehemmend. Das Kettenvertragsverbot soll daher künftig "einem Aufstieg in die nächste Karrierestufe nicht mehr entgegenstehen", heißt es.
Eine vom Wissenschaftsministerium in Begutachtung geschickte Novelle zum Universitätsgesetz sieht nun konkret eine Ausweitung der Kettenvertragsregelung vor: Neu eingeführt wird die Bestimmung, dass befristet Beschäftigte bei Wechsel in andere Funktionen als Neuabschlüsse zu werten sind - damit ist eine neuerliche Befristung bis zum Gesamtausmaß von sechs Jahren (bei Teilzeitbeschäftigung acht Jahren) zulässig. Außerdem wird klargestellt, dass Beschäftigungszeiten als studentischer Mitarbeiter bei der Berechnung der Höchstgrenze nicht berücksichtigt werden.
Kollektivvertrag als Kompromiss
Seit 2009 gilt an den Universitäten erstmals ein Kollektivvertrag. Herzstück ist ein neues Karrieremodell, das einen Kompromiss zwischen dem alten Beamtendienstrecht und dem amerikanischen Tenure-Track-Modell vorsieht. Dabei werden wissenschaftliche Mitarbeiter durch den Abschluss einer Qualifizierungsvereinbarung befristet Assistenzprofessoren. Wird die vereinbarte Qualifikation innerhalb der festgelegten Zeit erreicht, wird das Beschäftigungsverhältnis entfristet und die Stufe des Assoziierten Professors ist genommen.
Hinsichtlich des Aufgabenprofils ist diese Personengruppe den Universitätsprofessoren, die ein Berufungsverfahren durchlaufen haben, im Wesentlichen gleichgestellt. Da die Assoziierten Professoren organisationsrechtlich aber nicht der Gruppe der Universitätsprofessoren angehören, sind ihre Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Die Novelle zum UG soll dies laut Ministerium nun ändern und einen "echten Tenure-Track" ermöglichen: "Assoziierte Professoren/-innen sollen den berufenen Professoren/-innen organisationsrechtlich gleichgestellt sein, sofern das Qualifizierungsverfahren internationalen, kompetitiven Standards entsprochen hat." Für diese Personengruppe soll es weiters die Möglichkeit eines abgekürzten Berufungsverfahrens durch den Rektor geben. Damit sollen die im Kollektivvertrag fixierten neuen Karrieremöglichkeiten durch Laufbahnstellen auch im Organisationsrecht abgebildet werden. Auch außerordentliche Professoren können nach Maßgabe des Entwicklungsplans der jeweiligen Uni in die Professorenkurie übergeleitet werden.
"Wenn es um die akademische Karriereentwicklung geht, müssen die Qualität und die Qualifikation der jeweiligen Person im Zentrum stehen", so Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner in einer Aussendung. "Gleichzeitig wollen wir auch einem größeren Kreis behutsam die Mitsprache in den universitären Gremien ermöglichen."
In die in vielfacher Weise prekären Beschäftigungsverhältnisse der Forscher kommt also Bewegung. Ob das System tatsächlich von unten nach oben durchlässiger wird und damit bessere Laufbahnperspektiven eröffnet, muss sich erst in der Realität beweisen - zuletzt haben die Unis signalisiert, weiterhin auf befristete Dienstverhältnisse setzen zu wollen (siehe "Unis gegen 'Kündigungskultur'").
Rahmenbedingungen "besser als ihr Ruf"
Das Arbeitsumfeld für Forscher ist in Österreich zwar durchaus reformbedürftig, aber nicht grundlegend schlecht. Es scheint, als gelte auch hier das Sprichwort vom Gras, das woanders grüner ist. "Angebliche Topbedingungen in anderen Ländern gelten dort meist auch nur für einzelne Institutionen", sagt Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
"Eigentlich besser als ihr Ruf" sind die heimischen Rahmenbedingungen auch für Thomas Blaschke, stellvertretender Leiter des Fachbereichs Geoinformatik Z_GIS an der Universität Salzburg sowie Leiter des Research Studios iSPACE. "Ich persönlich finde die Arbeitsbedingungen oft sogar besser als an amerikanischen Universitäten – wenn man das Glück hat, einen Arbeitsvertrag zu bekommen. Das Problem ist also eher quantitativ: Wie viele hoch qualifizierte Personen schaffen es dauerhaft, einen Vertrag zu bekommen?", so Blaschke, der auf umfangreiche Auslandserfahrung verweisen kann.
Bei Attraktivität im Mittelfeld
Was die Attraktivität für eine Karriere in der Forschung betrifft, liegt Österreich im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Zu den attraktivsten Zielländern für die im Vergleich mit anderen Berufsgruppen überdurchschnittlich mobilen Forscher zählen die USA. Dieser Brain-Drain wirkt sich nachteilig auf Europas Forschungsleistung aus, besagt eine 2013 vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) erhobene Studie, bei der weltweit mehr als 10.000 Forscher befragt wurden.
Die Studie hat in der Zwischenzeit nichts an Aktualität verloren, wie Studienautor Jürgen Janger vom Wifo im Gespräch mit APA-Science betonte. Wie attraktiv Österreich als Forschungsplatz ist, sei auch von Institution zu Institution unterschiedlich. "In Österreich gibt es einzelne exzellente Forschungsinstitutionen, die auch internationales Best Practice in Bezug auf Karrierestrukturen aufweisen. Das beste Beispiel ist hier sicher das IST (Institute of Science and Technology) Austria in Klosterneuburg", so Janger. Während das IST Austria bereits "top attraktive" Bedingungen für Forscher, Professoren und Post-Docs bieten könne, hätten die öffentlichen Unis vor allem für Post-Docs kein echtes Tenure-Track-Modell – also keine durchgängige Laufbahnperspektive – vorzuweisen: "Das heißt, in Österreich müssen sie mit einer verspäteten Unabhängigkeit und Selbstbestimmung in der Forschung rechnen. Da fehlt einfach die Perspektive, das sind die wesentlichen Defizite."
Im Vergleich zu den öffentlichen Unis ist das IST Austria freilich überdurchschnittlich gut finanziell ausgestattet – was aber für strukturelle Veränderungen eine untergeordnete Rolle spiele. "Geld ist nicht ausschlaggebend, man kann auch so Strukturen verändern", ist Janger überzeugt. Für Reformen sei es nie zu spät. "Im Universitätsbereich gibt es, befördert durch die Rankings, sehr starke Reputationsspiralen. Wenn eine Uni einmal super ist, zieht sie die besten Forscher an." Anstatt darin zu investieren, österreichische Forscher aus dem Ausland für Professuren zurückzuholen, sollte an der Verbesserung der Rahmenbedingungen an den Unis selbst gearbeitet werden, fordert Janger.
Noten sind zweitrangig
Die konkreten Jobperspektiven spielen beim potenziellen Forschernachwuchs noch keine Rolle. Hier geht es noch um viel grundsätzlichere Fragen, etwa was Wissenschaft überhaupt ist und wie man damit in Berührung kommen kann. "Noten sagen nichts über Forschergeist aus. Man sollte sich auch nicht von der Vorstellung entmutigen lassen, dass andere klüger seien oder eine Idee schon bearbeitet wurde", gibt etwa Tobias Gawron-Deutsch von Siemens Corporate Technology im Rahmen der Umfrage (zukünftigen) Jungforschern mit auf den Weg.
Hemmschwellen überwinden und das Interesse für die Wissenschaft schüren: Das versucht zum Beispiel das Programm Sparkling Science, bei dem Wissenschafter zusammen mit Schülern Forschungsprojekte durchführen. Ist bei den Kindern und Jugendlichen vorher noch das klassische Bild eines Wissenschafters im Kopf – "Bart, weißer Kittel, Elfenbeinturm" – ändere sich das nach dem Kontakt im echten Leben sofort. "Das ist ja auch ein Mensch", sagt Petra Siegele, Leiterin des Programmbüros von Sparkling Science in der OeAD-GmbH, über eine häufig zu beobachtende Reaktion von Schülern nach einem "leibhaftigen" Kontakt mit einem Forscher (siehe auch Gastkommentar).
Vom Wissens-Schaf zur Wissenschaft
Diese sich im Lauf der Zeit wandelnde Wahrnehmung kann auch Barbara Streicher, Geschäftsführerin ScienceCenter-Netzwerk, mit einer Anekdote aus dem "Wissensraum" – eine Art Werkstatt-Konzept, bei dem sich Menschen jeglichen Alters spielerisch mit wissenschaftlich-technischen Fragestellungen beschäftigen können – bestätigen. Auf die Frage, was denn unter Wissenschaft zu verstehen sei, zeichneten die Kinder etwas ratlos kurzerhand ein "Wissens-Schaf". "Wohl einfach deshalb, weil dieser Begriff so abstrakt und schwierig ist", so Streicher.
Empirische Begleitforschungen über die langfristige Wirkung von solchen Initiativen gibt es bis jetzt noch nicht. Eine identitätsstiftende Wirkung sei aber auf alle Fälle auch so zu beobachten. Anfangs unsichere Besucher der "Wissensräume" würden später selbstbewusst die Neuen begrüßen und ihnen zeigen, wie etwas funktioniert. Bei der Erklärung eines Experiments werde durchaus auch die Didaktik von Lehrpersonen übernommen.
Vor allem bewirke ein direkter Kontakt mit der Wissenschaft Akzeptanz im sozialen Umfeld, nicht zuletzt bei bildungsfernen Schichten. "Wenn man ein Schulprogramm mitmacht, ist das eine Sache. Aber wenn man sich als Einzelperson für eine Sache interessiert - gerade auch als Mädchen für Technik - wird man vielleicht schiefer angesehen als wenn man sagt: "Ich bin bei den OMV Technik Queens aktiv". Das hat einen ganz anderen Stellenwert", sagt die Expertin: "Ich glaube schon, dass es vom Image her etwas bewirkt und vor allem auch bei Eltern oder Freunden die Wahrnehmung für solche Themen verstärkt."
Studie in Arbeit
Von einzelnen, privat organisierten Workshops bis zu groß angelegten Programmen von Ministerien wie etwa die "Talente"-Schiene des Infrastrukturministeriums (BMVIT) oder Sparkling Science: Initiativen, die Kinder und Jugendliche für die Forschung begeistern wollen, gibt es mittlerweile sehr viele (siehe "Mit Hands-on-Projekten Forschergeist wecken"). In einer vom Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFT) beauftragten Studie werden derzeit von Joanneum Research österreichweit mehr als 400 Instrumente der Wissenschaftskommunikation im Bereich Naturwissenschaft und Technik erfasst und in einer Landkarte verortet. Damit soll das bestehende Angebot hinsichtlich regionaler Verfügbarkeit, Zielgruppenausrichtung und Intensität veranschaulicht werden.
"Auf Basis dieser Information können alle interessierten Stakeholder in ihrem Wirkungsbereich weitere Planungen und Kampagnen aufbauen", heißt es seitens des Forschungsrats. Ziel des Projektes sei es, neben den bekannten Kommunikationsinstrumenten auch insbesondere die kleineren und regionalen Instrumente zu erfassen, um hier eine ganzheitliche Sicht auf das aktuelle Angebot zu bekommen. Die Studie wird im Herbst 2015 auf der Webseite des Rates veröffentlicht.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science