Demenz ändert die Pflegeausbildung
Die demografischen Veränderungen hinterlassen längst ihre Spuren in der professionellen Pflege und der Ausbildung. Das bestätigt Elisabeth Potzmann, Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Pflegepädagogik gegenüber APA-Science. Ein Wermutstropfen ist für sie, dass wissenschaftliche Evidenzen noch zu zögerlich in der Pflegepraxis ankommen.
Das sichtbare Mehr an Demenzdiagnosen habe natürlich – wie auch das Plus an chronischen Erkrankungen insgesamt - Auswirkungen auf den Pflegeberuf, berichtet die Pflegepädagogin. Sichtbar sei das etwa daran, dass die neue Ausbildung "Pflegefachassistenz" erst kürzlich geschaffen wurde. Man versuche damit - politisch gewollt -, durch kürzere Ausbildungen rasch zu mehr Pflegepersonal zu kommen.
Im Moment gebe es vier Ausbildungszweige in der Pflege: die einjährige Pflegeassistenz (früher Pflegehilfe), die eben erwähnte zweijährige Pflegefachassistenz, seit 2008 die sechssemestrige akademische Pflegeausbildung mit Bachelorabschluss und die klassische dreijährige Fachausbildung, die jedoch ausläuft. "Die Ausbildungslandschaft ändert sich sukzessive, die Zunahme chronischer Erkrankungen, zu denen die Demenz zählt, trägt dazu wesentlich bei. So wurden in Reaktion auf die demografischen Entwicklungen die Curricula entsprechend angepasst. Chronische Erkrankungen werden generell nun besser in der Ausbildung abgebildet" fasst Potzmann zusammen. In der Pflegefachassistenz gebe es zum Beispiel vier, fünf Fächer, in denen das Thema Demenz inhaltlich behandelt werde. Im Fachhochschulbereich seien es zwei Vorlesungen.
Wachsende Expertise
Mehr Wissen und Expertise bei der Pflege von Menschen mit Demenz werde künftig dadurch entstehen, dass sich Absolventen der akademischen Ausbildung zum Beispiel vertiefter mit der jeweiligen Materie auseinandersetzen, meint die Expertin. Demenz sei immer wieder Thema von Bachelor- und in weiterer Folge auch von Masterarbeiten. Weiters beobachtet Potzmann seit kurzem, dass sich bei der Pflege ein neues Feld rund um Technik und IT unter dem Schlagwort Ambient Assisted Living (AAL) auftut. So gebe es bereits mit "Health Assisted Engineering" an der FH Campus Wien einen eigenen Studiengang dazu: "Da gibt es zunehmendes Interesse daran, es wird viel geforscht und mittlerweile auch fächerübergreifend unterrichtet." Dass das an verschiedenen Ausbildungsstätten unterschiedlich gehandhabt wird, darauf deutet das Statement einer Absolventin eines Bachelor-Lehrgangs gegenüber APA-Science hin. Ihre Erfahrung war, dass zu wenig über neue technische Möglichkeiten während des Studiums gesprochen wurde.
Bei der endgültigen "Berufswahl" der Absolventen von Pflegeausbildungen zeigt sich laut Potzmanns Erfahrungen ein spannendes Bild: Jüngere Menschen gehen demnach nach ihrer Ausbildung vermehrt in den Akutbereich, während Ältere nicht selten die Langzeitpflege wählen. Wohin es den Einzelnen schließlich verschlagen werde, zeichne sich meist bei den Pflichtpraktika. Da werde meist sehr schnell klar, "wo man sich zuhause fühlt und wo die Stärken liegen".
Kommt die wissenschaftliche Evidenz noch zu wenig an?
Potzmann meint dazu: "In Österreich sind wir in einer speziellen Situation. Es gibt einen 'Theorie-Praxis-Gap'. Wir haben die Akademisierung, die Professionalisierung hinkt noch hinterher." Es würden genug Forschungsarbeiten zur Demenz existieren, international sowieso, aber auch im deutschsprachigen Raum. Der Durchdringungsgrad in der Praxis lässt für die Pflegepädagogin aber noch zu wünschen übrig. "Wir haben in der Pflege noch viel tradiertes Handeln und einige Konzepte, die schon lange angewendet werden (Stichworte Validation und Mäeutik). Neuere Erkenntnisse wie zum Beispiel das 'Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität in der Demenz' sind noch recht unbekannt."
Das Dilemma sei, dass oftmals "derjenige fehlt, der die Evidenz in die Praxis übersetzt." In vielen Einrichtungen würden genau die Stellen für Pflegewissenschafter fehlen, die Forschungsergebnisse sichten, bewerten und dann in einem nachvollziehbaren Konzept in den Pflegealltag bringen. Sie wünscht sich, dass diese Lücke zwischen Akademisierung und Professionalisierung geschlossen wird. Dafür müssten gezielt und flächendeckend Stabsstellen für pflegewissenschaftliches Personal direkt bei der Pflegedirektion - punktuell passiert das schon - geschaffen werden, die sich darum kümmern, dass die Wissenschaft ohne viel Reibungsverlust in die Pflegepraxis kommt. Das sollte rasch angegangen werden und sukzessive durch die zunehmende Zahl an akademisch ausgebildetem Pflegepersonal breit umgesetzt werden.
Noch gebe es dafür hierzulande zu wenig Bewusstsein, weiß Potzmann und verweist darauf, dass die erste akademische Pflegeausbildung erst 2008 gestartet ist. "Viele sehen die Notwendigkeit aber auch nicht und wollen dafür kein Geld ausgeben", so Potzmann. Aber, "natürlich gibt es Evidenz dafür, dass je besser das Pflegepersonal ausgebildet ist, desto besser der 'outcome' der Patienten", verweist sie auf die internationale RN4CAST-Studie. Darin wurde nachgewiesen, dass die Mortalität in Krankenhäusern mit einem hohen Anteil akademisch ausgebildeter Pflegekräfte signifikant niedriger ist. Jede Erhöhung des Anteils von Bachelorabsolventen in der Pflege um zehn Prozent war mit einem Rückgang der Mortalität um sieben Prozent verbunden.
Kritisch merkt sie diesbezüglich an, trotz der Akademisierung der Pflege schafft man es in Österreich nicht, dass es der ganzen Berufsgruppe besser geht. Auf der Ebene der Hauskrankenpflege etwa ändere sich wenig, die Bezahlung sei weiter schlecht und die Belastung hoch. Was dahinter steckt, darüber kann die Pflegewissenschafterin nur mutmaßen. Letztlich sei es eine politische Entscheidung gewesen, die zweijährige Pflegefachassistenzausbildung einzuführen, anstatt weiter die Akademisierung zu forcieren. Da würden wahrscheinlich Kostenüberlegungen dahinterstecken: Man bringt die Leute schneller in die Praxis, was in einem "hochvolatilen" Berufsfeld die Ausbildung letztendlich billiger macht. Das sei suboptimal und kontraproduktiv, wenn man sich die Ergebnisse der RN4CAST-Studie ansehe. Weiters wollte man Personen ohne Matura den Weg in die Pflege weiterhin offen halten, was grundsätzlich zu begrüßen ist.
Was geschehen müsste
Potzmann würde außerdem gerne ein niederschwelliges Angebot, konkret die Familiengesundheitspflege, auf kommunaler Ebene stärker umgesetzt sehen. Im Kern geht es dabei darum, dass nicht nur die pflegebedürftige Person, sondern die gesamte Familie als Leistungsempfänger gesehen wird. "Man kann die Angehörigen eines Menschen mit Demenzdiagnose nicht ausklammern, sie sind immer mit betroffen. Sie brauchen ebenso Unterstützung und Beratung. Da ist noch mehr öffentliches Commitment notwendig", so Potzmann. Es gebe wohl da oder dort Angebote, "von flächendeckend sind wir aber weit entfernt". Potzmann sieht gerade hier einen Auftrag für die Pflege, da, wo "kurativ alles ausgereizt ist, wo der Arzt alles getan hat, was getan werden konnte". Für solche Leistungen wäre Platz in der Pflege und auch die Kompetenz gebe es, meint Potzmann: "Man müsste uns nur lassen."
Von Hermann Mörwald / APA-Science