Forschen am Fundament
Mit Grundlagenforschung in Österreich werden meist zwei Dinge verbunden: der Wissenschaftsfonds FWF und dessen "hoffnungslose Unterdotierung". Wie es um die "zweckfreie" Forschung tatsächlich bestellt ist, und ob die Trennung zwischen angewandter und Grundlagenforschung noch zeitgemäß ist, hat APA-Science anlässlich des 50-jährigen Bestehens des FWF in zahlreichen Expertengesprächen ausgeleuchtet.
In die Forschungspolitik ist Bewegung gekommen. Erst vor kurzem hat die Regierung verlautet, eine Forschungsförderungsdatenbank zu etablieren, ihre drei forschungsrelevanten Beratungsgremien zusammenzulegen, die 2020 auslaufende Forschungsstrategie durch eine bis 2030 laufende neue Strategie zu ergänzen sowie eine Exzellenzinitiative zur Stärkung der kompetitiven Grundlagenforschung zu starten. Details dazu sollen bei einem für das Frühjahr 2019 geplanten FTI-Gipfel bekannt gegeben werden.
Geht es nach dem Vorsitzenden des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFT), Hannes Androsch, dann soll mit der Exzellenzinitiative vor allem "der Ungleichgewichtung zwischen Basisfinanzierung und wettbewerblich vergebenen Mitteln an Hochschulen" entgegen gewirkt werden. Das ist für Androsch auch höchst an der Zeit. Denn in Österreich würden im Gegensatz zu erfolgreichen Forschungsnationen wie Schweiz, Finnland, Deutschland oder Niederlande "die Mittel zur Förderung der kompetitiven Forschung seit rund zehn Jahren stagnieren. In der Folge hat sich der Abstand zu den führenden Forschungsländern besorgniserregend vergrößert", so der RFT-Chef in einer Aussendung. Wolle man nicht Gefahr laufen, weiter zurückzufallen, müsse die jährliche Bewilligungssumme des FWF kurzfristig um 80 bis 90 Mio. Euro auf 300 Mio. Euro erhöht werden.
Viele Förderansuchen, wenig Bewilligungen
Aktuell wurde dem FWF seitens der Regierung eine Erhöhung der Mittel für den Zeitraum zwischen 2018 und 2021 um insgesamt 110 Millionen Euro zugesagt. Nach wie vor gibt es eine starke Diskrepanz zwischen beantragten Projekten (im Vorjahr in Höhe von 879,4 Mio. Euro) und jenen, die bewilligt werden können (217,3 Mio. Euro). Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) warnte FWF-Präsident Klement Tockner im April dieses Jahres vor einem weiteren "Auseinanderklaffen" dieser beiden Posten (siehe auch das aktuelle Interview mit Tockner: "Grundlagenforschung als Zukunftsversicherung").
Zu spüren bekommen das vor allem die Universitäten, die zwar 2017 knapp 85 Prozent der Neubewilligungssumme des FWF einheimsten, aber bei weitem nicht alle Förderansuchen durchbringen konnten. "Selbst sehr gute Proposals kommen nicht durch. Das ist aber genau das, was uns als Universität fehlt", beklagt etwa Horst Bischof, Vizerektor der Technischen Universität (TU) Graz, die "hoffnungslose Unterdotierung" der Förderinstitution. An der TU Graz setzt man daher auf "Leadprojekte", um die hauseigene Spitzenforschung weiterzuentwickeln (siehe "TU Graz: 'Saubere' Grundlagenforschung als Wettbewerbsvorteil"). Das Geld dafür stammt aus den vom Bund vergebenen Globalmitteln der Universität.
Während die Forderung nach mehr finanziellen Mitteln wohl so alt ist wie die Grundlagenforschung selbst, haben nicht alle Forschungseinrichtungen Grund zur Klage. Das Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg verfügt über ein langfristiges, mehr als solides Budget - allein 2018 bis 2020 gibt es vom Bund 219 Mio. Euro - und ist in Richtung Vollausbau bis 2026 präzise auf Kurs.
Weshalb aber einerseits die Universitäten dieses Jahr im Vergleich mit dem FWF "einen sehr großen Finanzierungsschub" erhalten haben, ist für IST-Präsident Thomas Henzinger unverständlich, wie er im Gespräch mit APA-Science erklärte (siehe "Der schönste Job, den man sich überhaupt vorstellen kann"). Henzinger ortet hier ein Ungleichgewicht zwischen kompetitiv versus nicht kompetitiv vergebener Forschungsfinanzierung: "Der kompetitiv vergebene Anteil in Österreich gehört deshalb gesteigert."
Schub durch ERC-Förderungen
Ein Erfolgsbeispiel für im Wettbewerb vergebene Forschungsmittel sind jene des Europäischen Forschungsrates (ERC). Seit 2007 schüttet der ERC Förderungen von jeweils bis zu 2,5 Mio. Euro an in Europa tätige Wissenschafter in verschiedenen Stadien ihrer Karriere aus. Etwa kann mit den auf Jungforscher zugeschnittenen, bis zu 1,5 Mio. Euro schweren, "Starting Grants" fünf Jahre lang ungestört an Grundlagenforschungsprojekten gearbeitet werden - ein ungemeiner Luxus, wenn man die ansonsten eher prekären Karrierepfade von jungen Wissenschaftern bedenkt.
"Die Industrie wünscht sich in der Regel Ergebnisse, die man schneller umsetzen kann. Die Forschung erlaubt uns weiter nach vorne zu blicken, ohne immer gleich Verwertbares zu haben", bringt ERC-Preisträger Martin Kaltenbrunner von der Uni Linz die Vorteile einer langfristigen Finanzierung für Grundlagenforschung auf den Punkt. (siehe "ERC-Grant bringt Freiheit, Verantwortung und Fragezeichen").
Ohne solche langfristigen Unterstützungen und Laufbahnoptionen braucht es für eine Karriere in der Grundlagenforschung einen langen Atem und viel Idealismus, vor allem zu Beginn. Den meisten Jungforschern fehle eine längerfristige Perspektive, sagte etwa Franziska Roth-Walter, Gruppenleiterin für Angewandte Immunologie des Messerli Research Instituts, gegenüber APA-Science (siehe "Die ungeliebte Stiefschwester der angewandten Forschung"): "Es wird ein hohes Leistungspensum bei vergleichsweise niedriger Bezahlung verlangt. Und es fehlt einfach an Forschungsgeld, um die Projekte zu finanzieren. Roth-Walter hat sich trotzdem für die Grundlagenforschung entschieden. "Das Warum kann nur die Grundlagenforschung beantworten, die angewandte Forschung verwendet dann dieses erworbene Wissen", so die Forscherin. Das Beantworten des Warums habe daher den höheren Reiz, als ob etwas tatsächlich funktioniert. Nachsatz: "Allerdings ist es eine Genugtuung, wenn dann die angewandte Forschung die Hypothesen der Grundlagenforschung bestätigt."
Fließende Grenzen
Ist es überhaupt noch angebracht, von Grundlagenforschung und angewandter Forschung als separate Domänen zu sprechen? Horst Bischof meint, Übergänge seien mittlerweile sehr fließend, weswegen er auch lieber von "connected research" spricht. Thomas Henzinger sieht in der angesprochenen Unterscheidung überhaupt nur mehr "ein österreichisches Spezifikum", international sei das kaum noch üblich. Viktoria Weber, Vizerektorin für Forschung an der Donau-Universität Krems, erachtet eine Trennung in Grundlagen- und angewandte Forschung als nicht mehr zeitgemäß und spricht lieber von einem "Kontinuum" und den vielfältigen Interaktionen zwischen den Bereichen (siehe "Grundlagenforschung ist Voraussetzung für jede Weiterentwicklung"). Die Physikerin Ille C. Gebeshuber wiederum bezeichnet diese Trennung als "schon sinnvoll" (siehe "'Schöpfungsverantwortung' als Forschungsmotor").
Für Wolfgang Burtscher, den stellvertretenden Generaldirektor für Forschung und Innovation der EU-Kommission, macht eine Unterscheidung zwischen diesen Sphären auch heute noch Sinn, wenngleich zu beobachten sei, dass "die Grenzen zwischen der klassischen Grundlagenforschung und der angewandten Forschung immer mehr verschwimmen und anwendungsorientierte oder problemorientierte Grundlagenforschung eine eigene wichtige Kategorie geworden ist". Im Rahmen des ERC spreche man daher eher von "Pionierforschung" denn von "Grundlagenforschung", so Burtscher in seinem Gastkommentar. Selbst seitens der überwiegend für die Förderung der angewandten Forschung zuständigen Forschungsförderungsgesellschaft FFG spricht man nur noch von einer vermeintlichen Trennlinie, "die in dieser Form längst nicht mehr der Realität entspricht" (siehe "Für eine neue Herangehensweise in der Forschung").
Summa summarum brauche man eigentlich immer beide Seiten, meint Gerd Hesina, Geschäftsführer des VRVis - Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung (siehe "Eins und eins macht drei: Forschung nicht auseinanderdividieren"). Es bringe nichts, "wenn man eine Erfindung hat und die dann in der Schublade bleibt".
Service: Weitere Möglichkeiten für Diskussionen und Gedankenaustausch zu diesem Thema gibt es vom 8. bis 12. September beim "BE OPEN - Science & Society Festival" am Wiener Maria-Theresien-Platz: http://go.apa.at/Otvucvtz
Von Mario Wasserfaller / APA-Science