Spielend Lernen?
Die diesjährige Computerspielfachtagung "Future and Reality of Gaming" (FROG 2012) im Wiener Rathaus stand im Zeichen des Lehrens und Lernens. Dabei wurde insbesondere den Fragen nachgegangen, ob und unter welchen Bedingungen Spiele Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln können, die sich auch auf die Realität übertragen lassen.
Der Effekt von Computerspielen ist auf verschiedenen Ebenen umstritten. Auf der einen Seite werden nach Gewaltereignissen wie einem Amoklauf rasch Stimmen laut, die eine sofortige Verbannung von "agressionsfördernden" Programmen fordern, da ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verhalten in der virtuellen Umwelt und in der Realität angenommen wird. Andererseits muss sich der digitale Zeitvertreib hierzulande oft mit der Wertung "sinnlose Zeitverschwendung" herumschlagen. Potenziellen positiven Lerneffekten, wie beispielsweise einer verbesserten Hand-Augen-Koordination, die diese Form der digitalen Beschäftigung begünstigen könnte, wird oftmals Skepsis entgegengebracht. Mit der Frage, ob Computerspiele lediglich ein Zeitvertreib sind, der keinen oder nur geringen Einfluss auf das tatsächliche Verhalten einer Person in der Realität ausübt, oder ob sie unter gewissen Voraussetzungen Fähigkeiten und Kenntnisse vermitteln oder trainieren können, beschäftigten sich die Experten im Rahmen der Tagung.
Karsten Wolf von der Universität Bremen ging der Frage nach, "was man bei Computerspielen so alles lernen kann". Mit dieser Frage verbunden ist der Begriff des Transfers. In diesem Zusammenhang beschreibt er den Prozess der Übertragung einer im Rahmen eines Spiels erlernten Fähigkeit auf andere Situationen "außerhalb" des Spiels in der Realität. Ein Beispiel dafür ist die Simulation von Musikinstrumenten wie Gitarre oder Schlagzeug. Im Rahmen einer Ministudie mit 13 Teilnehmern wurde untersucht, wie sich das Schlagzeugtraining am Computer auf die Leistung am realen Instrument auswirkte.
Je ähnlicher, desto besser
Die Beobachtungen ergaben, dass der Computer nicht nur einen leicht verfügbaren, "gutmütigen Übungspartner" darstellt, sondern auch durch die unmittelbare Rückmeldung den Lernprozess unterstützt. Damit eignet sich das Konzept besonders für Dinge, die "exzessives" Üben erfordern. "Für guten, nahen Transfer muss das Spiel die zukünftige Tätigkeit gut simulieren. Je ähnlicher, desto besser", meint Wolf und verweist dabei auch auf Nintendos Wii, die als erste Spielekonsole Gesten und Bewegungen abseits von Tastatur und Maus beziehungsweise klassischem Spielecontroller ermöglichte.
Trotz neuer Interaktionsmöglichkeiten bleibt im Kern jedoch die Frage bestehen, wie man eine "langweilige" Tätigkeit in ein interessantes Spiel überführen kann. Die Ansätze dafür sind vielfältig. So haben die Entwickler der Software "Dragonbox" die Mathematik als Puzzlespiel umgesetzt, bei dem es darum geht, die Regeln der Algebra zu erlernen, indem man die verschiedenen "Bausteine" richtig zusammensetzt. Als großen Vorteil dieses Zugangs hebt Wolf die sofortige Rückmeldung ohne Bewertung im Sinne einer Note hervor.
Die Khan Academy setzt bei der Vermittlung der Mathematik auf eine Kombination aus Videolektionen, interaktiven Übungen und Visualisierung der Fortschritte mittels Statistiken, Lernpunkten und Abzeichen. Letztere repräsentieren hier das spielerische Element, da für gelöste Übungen, konsumierte Videos und verbrachte Zeit Punkte und Auszeichnungen in verschiedensten Kategorien verdient werden können. Wolf sieht hier die Gefahr einer "Overgamification", wenn beispielsweise Punkte für etwas vergeben werden, das keinen Kompetenzgewinn bedeutet.
Das Internet bietet aber nicht nur die reine Zugriffsmöglichkeit auf Lernressourcen, sondern erweitert auch die sozialen Interaktionsmöglichkeiten. Bemerkenswert findet Wolf hier, Parallelen zwischen ausgewiesenen Lernplattformen (bspw. busuu) und MMOs (massively multiplayer online game – Massen-Mehrspieler-Online-Gemeinschaftsspiel) beobachten zu können. So ist einerseits eine dauerhafte Beteiligung einzelner Personen nicht unbedingt zwingend notwendig, da beispielsweise eine gute Antwort auf eine Frage in einem Forum gespeichert und damit für andere zugänglich bleibt. Andererseits können Gruppen entstehen, die beginnen, sich selbst zu organisieren und einander zu helfen.
"Prinzipiell lernt man das Spiel zu spielen", meint Wolf zusammenfassend. Der Schwierigkeitsgrad wird in Folge gesteigert und führt zu einer Erhöhung der Spielbeherrschung. Ob ein Transfer des Erlernten auf andere Bereiche passiert, hängt von der Ähnlichkeit zum jeweiligen Gebiet ab.
Von Thomas Altmutter/APA-Science