"Offene oder geschlossene Lernstrukturen?"
Seit das Internet in den Neunzigerjahren in den Hochschulraum vorgedrungen ist, ist Unterricht im virtuellen Raum eine Option. Anfangs erstellten technikaffine ProfessorInnen einfache Webseiten, für deren Erstellung einiges an Programmierkenntnissen nötig war. Die Entwicklung elaborierter multimedialer Unterrichtsmaterialien wurde gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sowohl national als auch international gefördert. Erst in den letzten 10 Jahren vereinfachte die rasche Weiterentwicklung des „Sozialen Web“ die Produktion von Informationen durch „ganz normale“ WebnutzerInnen sowie die aktive Teilnahme an Netzwerken. Eine der letzten Entwicklungen in diesem Bereich stellen Massive Online Open Courses (MOOCs) dar, die (Hundert-) Tausende von Lernenden anziehen.
Lernplattformen als geschlossene, geschützte Systeme
Da Unterricht mehr bedeutet als nur Inhalte zur Verfügung zu stellen, wurden bereits recht früh sogenannte Lernplattformen entwickelt. In diesen können Kurse organisiert, Lernmaterialen hochgeladen, kommunikative und kooperative Prozesse initiiert, sowie Leistungsbewertungen durchgeführt werden. Mittlerweile ist der Einsatz von Lernplattformen an Schulen und Hochschulen State of the Art, wobei je nach didaktischem Szenario unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz kommen. Das Anlegen eines Kurses mit Lernmaterialien und Prüfungsfragen bedeutet jedoch noch keinen Paradigmenwechsel in der Lehre. Erst die Weiterentwicklung des didaktischen Designs hinsichtlich kooperativer Elemente, die in den Phasen des selbstgesteuerten Lernens eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Inhalten ermöglicht, unterstützt die Eigenverantwortung der Lernenden im Lernprozess (wie im Bologna Prozess gewünscht) und führt zum Erwerb von Kompetenzen für lebenslanges Lernen. Gerade in berufsbegleitenden Studiengängen stellen Lernplattformen und die Abbildung von Lerninhalten, sowie die Möglichkeit der Kollaboration der TeilnehmerInnen einen wesentlichen Faktor dar, um effizientes zeit- und ortsunabhängiges Lernen zu ermöglichen.
Jedoch stellt sich die Frage, ob der Einsatz Passwort-geschützter, geschlossener Kurse eine angemessene Methode ist, die Netzgeneration zu unterrichten.
Lernprozesse in sozialen Medien
Laut Mikrozensus 2012 der Statistik Austria nutzen in Österreich mehr als 99% der Menschen der Altersgruppe von 16-24 das Internet. 2.8 Millionen ÖsterreicherInnen sind im sozialen Netzwerk Facebook aktiv (Facebook Daten vom 3.10.2012) und über 50.000 nutzen den Microblogging Dienst Twitter (Social Media Radar Austria). Die Einfachheit der Internetwerkzeuge und die Omnipräsenz des Netzes im privaten und beruflichen Alltag führen zu einer enormen Flut an Informationen im Netz. Um damit erfolgreich umgehen zu können bedarf es eigener Kompetenzen, der sogenannten Web Literacies, die im Rahmen des Projekts „Web Literay Lab“ der FH JOANNEUM erforscht werden. WebnutzerInnen müssen lernen, sich im Netz zu organisieren, Quellen zu bewerten, eigene Inhalte zu schaffen und sich zu vernetzen.
Einen Teil dieser Kompetenzen erwerben junge Menschen im Lauf ihrer Internetaktivitäten. In begrenztem Ausmaß unterstützen Schule und Hochschule die kritische Auseinandersetzung mit diesen „neuen“ Medien. Allerdings berücksichtigen formelle Aus- und Weiterbildungsangebote noch viel zu wenig die Lernkultur junger Menschen, in der Informationsbeschaffung über Videos und Wikipedia erfolgt und die Bewertung von Quellen im eigenen Netzwerk passiert.
Offene Lernangebote im Netz
Passwortgeschützte Lernsysteme bieten einen geschützten Rahmen für die TeilnehmerInnen von Aus- oder Weiterbildungsangeboten. Sie schließen aber auch einen Großteil an lernwilligen Menschen von ihrem Angebot aus. Bei Massive Open Online Courses (MOOCs) handelt es sich um freie, derzeit kostenlose Lernangebote im Netz, die vielen Tausenden Lernenden die Online-Teilnahme an Hochschulkursen ermöglicht. Ursprünglich basierten die MOOCs auf dem pädagogischen Ansatz des 2005 formulierten Konnektivismus. Die E-Learning Experten Georg Siemens und Stephen Downes stellen Inhalte (nodes) und ihre Verbindungen (connections) im Internet ins Zentrum eines möglichen Lernprozesses. Lernende müssen sich selbst organisieren, Muster und Verbindungen erkennen und Entscheidungen treffen, in welche Themen sie sich vertiefen möchten. Ihr Lernverhalten steht in Bezug zu den eingesetzten Werkzeugen. Konnektivistische MOOCs stellen Tausenden von Lernenden Zeitpläne, Inhalte und ExpertInnen zur Verfügung, wobei es in der Verantwortung der Lernenden liegt, Inhalte und Fragestellungen zu reflektieren, in den eigenen Kontext zu stellen und mit anderen zu teilen.
Schnell erkannten Elite-Hochschulen das Potential von MOOCs und die Stanford University war die erste, die im Herbst 2011 einen offenen Kurs anbot. 160.000 Online-Studierende meldeten sich zu dem Kurs „Artificial Intelligence“ an und 23.000 schlossen ihn erfolgreich ab. Diese sogenannten xMOOCs beinhalten dasselbe Material wie On Campus-Kurse, Feedback bekommen die Lernenden von ihren KollegInnen. In Online-Vorlesungen geben ExpertInnen Inputs, und die Leistungsüberprüfung erfolgt maschinell. Mittlerweile boomen offene Angebote im Netz und es ist schwer, Übersicht zu bewahren. Nach Internetquellen laufen im November 2012 ca. 60 xMOOCs und weitere 200 sind geplant, wobei die Themen mittlerweile ein weites Spektrum von Wissenschaftsdisziplinen abdecken.
Noch ist nicht vorhersehbar ist, welche Auswirkungen diese offenen Angebote im Web für Hochschulen haben werden. Da der Bedarf an Hochschulbildung das Angebot bei weitem übersteigt, können MOOCs dazu dienen, Aus- und Weiterbildungen für eine Vielzahl an lernwilligen Menschen anzubieten. Die Lernenden, die an MOOCs teilnehmen, tun das vorwiegend aus Interesse am Thema und Spaß am Lernen, da MOOCs derzeit nur punktuell im Rahmen einiger formeller Ausbildungen anerkannt werden.
Das Forschungsteam der FH JOANNEUM versucht das Potenzial dieser Entwicklung mittels kleiner offener Kurse für Firmen, die sich für Social Media interessieren, auszuloten.
Links
• http://zml.fh-joanneum.at Website des ZML-Innovative Lernszenarien
• http://zmldidaktik.wordpress.com/ Blog zum Thema Didaktik in Online-Räumen
• http://wll.fh-joanneum.at Projekt Web Literacy Lab
• http://www.fh-joanneum.at/global/show_document.asp?id=aaaaaaaaaagztpb Aktuelles Angebot an Online-Kursen des ZML-Innovative Lernszenarien
• http://www.class-central.com Liste freier Online Kurse auf Coursera, edX und Udacity