Aus Not wird Stärke - 10 Jahre E-Learning an der WU
Kürzlich feierte die Wirtschaftsuniversität (WU) Wien das Zehn-Jahres-Jubiläum ihrer E-Learning-Plattform. Schon die Tatsache, dass man diesen Anlass mit einer Festveranstaltung beging, zeigt, wie zufrieden man mit der Entwicklung ist, die diese Form der Lernunterstützung seither hingelegt hat. Am Beginn des Projekts stand allerdings gewissermaßen eine Notsituation, denn Anfang der 2000er-Jahre explodierten die Hörerzahlen. "Learn@WU" hat sich mittlerweile mit bis fast vier Millionen Page Views pro Tag zu einer der meistgenutzen Lernplattformen weltweit entwickelt und liegt damit unter den Top 15 Websites in Österreich, wie der Projektverantwortliche Gustaf Neumann vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien der WU im Gespräch mit der APA erklärte.
"Wir haben eigentlich aus einer Notsituation heraus eine Stärke der WU entwickelt", so der Wissenschafter, der sich auch im Rahmen zahlreicher Forschungsprojekte im weitesten Sinne mit dem Thema E-Learning auseinandergesetzt hat. Der Auslöser war nämlich nicht in erster Linie der Anspruch, die Lehre zu verändern, sondern "wenn man es ehrlich betrachtet, war das eine Situation in der die WU aus allen Nähten geplatzt ist". Zwischen 2001 und 2002 erhöhte sich die Anzahl der Studienanfänger schlagartig von etwa 3.000 auf 4.000 - "entsprechend überfüllt waren damals die Hörsäle", erinnert sich Neumann.
Die Universität musste auch im Sinne der Sicherheit der Studenten und Lehrenden tätig werden. Mit Hilfe neuer Medien machte man sich an den Umbau der Lehre, mit besonderem Augenmerk auf die ersten Semester des Studiums. Am Anfang stand "ein großes Contentprojekt", mit dem Ziel, die gesamte Studieneingangsphase zu optimieren.
Chance auf Veränderung
Im Zuge dessen tat sich die Chance auf, die doch unterschiedlichen Inhalte verschiedener Lehrender auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, und den Studierenden "möglichst gute Materialien" digital zur Verfügung zu stellen. Das sei auch im Sinne der Lehre gewesen, da gerade am Beginn des Studiums einheitliche Inhalte sinnvoll seien.
Für das "Streamlinen" des Lernstoffs von 18 Lehrveranstaltungen und deren Aufarbeitung für das E-Learning waren jeweils zwei Personen zwei Jahre lang zuständig, erklärte Neumann. Dieser Prozess sei zwar schwierig gewesen, trotzdem wäre allen Beteiligten die Notwendigkeit des Prozesses klar gewesen. Auch der Studienbetrieb sei damals effizienter gestaltet worden, indem etwa Halbsemester und eine flexiblere Hörsaalplanung eingeführt wurden.
Ausdehnung der Angebote
In der ersten Projektphase sei ganz klar die Bereitstellung von Lerninhalten im Vordergrund gestanden, "es hat sich aber über die Jahre hinweg auch mehr und mehr ein Community-System entwickelt und auch die Vielfalt der Inhalte hat sich wesentlich erweitert". Seit einigen Jahren gebe es etwa auch interaktivere Lernmaterialien, die teilweise von Studenten kommen.
Eine Innovation sind etwa Audio- und Video-Mitschnitte von Vorträgen, die im System automatisiert mit anderen einschlägigen Informationsquellen verbunden werden. Dahinter liegt eine multimediale Datenbank-Suchmaschine, mit deren Hilfe auch Inhalte aus verschiedenen Bereichen des Studiums näher zusammenrücken, wie Neumann ausführte. Ein Vorteil dieser "Low-cost" Eigenentwicklung sei, dass sie zuverlässig und für die Vortragenden intuitiv zu bedienen sei.
Riesige Datenquelle
Das System gibt aber auch über sich selbst und seine User Rückmeldung. An manchen Tagen lösen Studierende online bis zu 600.000 Beispiele zur Prüfungsvorbereitung, über 120.000 elektronische Lernmaterialen stehen für Studierende zur Verfügung, über 500.000 Prüfungen wurden insgesamt vom System ausgewertet - eine riesige Datenquelle, die in lernwissenschaftlichen Analysen Auskunft über die Qualität der Lehre, der Prüfungsfragen und den Wissensstand der Studenten geben kann. "Die Antworten und Nutzungsvarianten des Systems sind ein riesengroßer Schatz", mit dem man Lehre und Prüfungen schrittweise verbessern kann, so Neumann.
Das Ziel, die Türen in Richtung Distanzlehre zu öffnen, hat man von Beginn dezidiert nicht verfolgt. "Es war im Gegenteil eher eine Befürchtung der Universitätsführung, dass es dafür genutzt werden kann." Aufgrund der beschränkten Ressourcen wollte man keine zusätzlichen Hörer anziehen, "sondern E-Learning dazu nutzen, die bereits inskribierten Studierenden möglichst gut auszubilden".
Klar ist für Neumann, dass die gesamte Herangehensweise nicht vollständig auf andere Hochschulen übertragbar sei. "Wir haben innerhalb der WU eine relativ homogene akademische Community und relativ homogene Lernprogramme", auf größeren Universitäten seien auch die inhaltlichen Differenzen entsprechend größer. Ein Vorteil für die WU sei auch gewesen, dass die Einführung von einem breiten Konsens getragen wurde. Das ermögliche es den einzelnen Usern, sich genau das herauszupicken, was für ihren Verwendungszweck passend ist. Neumann: "Die Lehrenden haben große Gestaltungsfreiheit, ohne dafür technisch sehr versiert sein zu müssen."
Von Nikolaus Täuber/APA-Science