"Talente regional": "Wir bieten den Talenten ein Wohlfühl-Umfeld"
Karine Sargsyan ist Leiterin der Biobank Graz an der Medizinischen Universität Graz, sie beschäftigt sich also mit Sammlungen biologischer Proben und damit assoziierter Daten für die medizinische Forschung. Die gebürtige Armenierin engagiert sich neben ihrer Forschungsarbeit auch stark im Bereich der Begabtenförderung, unter anderem betreut sie die Programme "Talente Regional" und die Kinderuni Graz. Im Interview mit APA-Science erklärt die Wissenschafterin, was für sie dabei der spezielle Anreiz ist.
APA-Science: Wie sind Sie dazu gekommen, "Talente Regional" und die Kinderuni zu betreuen, was interessiert und motiviert Sie dabei?
Sargsyan: Erstmal bin ich prinzipiell von Kindern und Jugendlichen und vor allem von deren Denkweise und freiem Geist fasziniert. Die Jugendlichen haben die für Erwachsene typischen Grenzen im Kopf noch nicht und denken außerhalb jeglicher Schemata. Das ist etwas Besonderes. Allerdings ist genau dies auch der Grund, warum Kinder und Jugendliche mehr Informationen und mehr Einblicke in das Berufsleben und auch Richtungsvorgaben bzw. Anleitung brauchen, um Ziele setzen zu können. Daher ist meine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowohl in meinem Beruf (Talente Regional, Kinderuni Graz, Junioruni Graz, TakeTech etc.) als auch in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als freiwillige Helferin für Migrantinnen und Migranten und in unzähligen Kulturprojekten eine Symbiose aus Lern- und Lehrprozess. Mich motivieren besonders die Kinder, die später in der Oberstufe zu uns zu einem Praktikum kommen und die wir auch als unsere Studenten begrüßen dürfen.
APA-Science: Sie organisieren Projekte für Kindergärten und Schulen. Wie kann man sich den Ablauf vorstellen, was passiert dabei?
Sargsyan: Der Ablauf der Projekte ist besonders auf das Alter der Kinder und Jugendlichen abgestimmt und auch für das Thema maßgeschneidert. Die kooperierenden Kindergärten bzw. Schulen entscheiden sich im Vorfeld für eines der angebotenen Themen. Wir bauen bewusst unterschiedliche Medien in den Ablauf ein - vom Frontalunterricht, Workshop, Video und Quiz bis zum "Learning by doing" bzw. "Do it yourself" im Labor - und auch altersgerechte experimentelle Arbeit sorgt vor allem für Spannung und Aufmerksamkeit.
APA-Science: Wie vermittelt man Kindern komplizierte wissenschaftliche Themen wie Biobanking?
Sargsyan: Das ist eine der Herausforderungen, die wir prinzipiell in unserem neuen Wissenschaftsfeld haben. Biobanking ist zwar nichts Neues, aber als Wissenschaft erst etwa ein Jahrzehnt anerkannt. Es ist vor allem auch ein sich sehr schnell entwickelndes Wissenschaftsfeld. Diese innovativen und komplexen Inhalte zu vermitteln ist jedes Mal aufs Neue spannend und junge Menschen sind sehr offen für "Unbekanntes". Wir bauen die Experimente so auf, dass die Kinder und Jugendlichen selbst und aus eigenem Antrieb auf die Antworten und Erklärungen kommen. So bleibt nicht nur der Unterricht spannend, sondern auch der gelernte Stoff bleibt länger in Erinnerung. Dieses Erfolgserlebnis verstärkt den Lerneffekt enorm.
APA-Science: Wie ist das Feedback der teilnehmenden Kinder am Programm Talente Regional? Bitte um ein paar typische Beispiele und Reaktionen.
Sargsyan: Einige Kinder faszinieren mich besonders, da sie sofort anwendungsnahe Ideen entwickeln - und sie wollen damit in die Welt, um diese besser zu machen. So hat ein Volksschuljunge gemeint, dass, wenn wir diese Forschung etwas weiterführen und die gezeigten "Freezing"-Effekte länger anhaltend machen, er sich vorstellen könne, als Ingenieur große LKWs zu bauen und die ganze Welt, vor allem die Dritte Welt, mit Nahrung zu versorgen, so dass kein Kind mehr hungern müsse.
Ein Mädchen hat mir versichert, dass sie Medizin studieren will, um einen HIV-Impfstoff zu entwickeln, welcher Babys von HIV-positiven Müttern bereits im Mutterleib schützt. So könnte man die Anzahl der Kinder, die schon mit HIV geboren werden, drastisch reduzieren und Einzelschicksale vermeiden. Genau solche Ideen - solche Gedanken - solche Anregungen zeigen mir und meinen Kolleginnen und Kollegen, dass wir mit unserer Nachwuchsförderung auf dem richtigen Weg sind.
APA-Science: Worin liegen die Chancen, aber auch die Limitierungen solcher Förderprogramme? Erreicht man damit alle relevanten Gruppen von Kindern?
Sargsyan: Die Chancen, die solche Programme öffnen, sind enorm. Einerseits für den wissenschaftlichen Nachwuchs, der hier eine Möglichkeit erhält, in die technisch-wissenschaftliche Welt hineinzuschnuppern und eine Berufsentscheidung auf Basis von fundierten Kenntnissen und Erfahrungen treffen können, andererseits für die Wissenschaft, die auf diese Weise auf direktem Weg Nachwuchs finden und schon früh fördern kann. Natürlich ist auch eine Limitierung dabei, da Schulen mit einem hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten noch mit alltäglichen Verständigungs- und Sozialproblemen kämpfen. So ein Projekt erfordert auch sehr viel Vorbereitungsarbeit und hohes Engagement von Pädagogen. Daher kommt es des öfteren vor, dass erst Grundprobleme brennend gelöst werden müssen und für so ein Projekt keine Ressourcen mehr frei sind. Mit Stolz kann ich aber berichten, dass wir bewusst auch solche Schulen in unsere Projekte integrieren und dabei erstaunlich großes Interesse und Offenheit der Kinder und Jugendlichen feststellen. Das Thema ist vor allem mir persönlich wichtig, da ich selber Migrationshintergrund habe und erst seit zehn Jahren in Österreich bin. Ich glaube, mein persönlicher Werdegang kann für Jugendliche als Inspiration und Motivation dienen und ich fühle mich geehrt, wenn ich merke, dass ich als Vorbild fungiere.
APA-Science: Was würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen sagen: Wie erkennt man ein Talent und wie kann man es am besten fördern?
Sargsyan: Aus meiner Sicht gibt es keine genaue Formel, ein Talent in solch einem Projekt zu erkennen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass ungewöhnliche und überdurchschnittliche Fähigkeiten schnell zum Vorschein kommen. Was sehr wichtig ist, wir behandeln alle Kinder und Jugendliche primär als hoch talentiert, ohne Informationen über die Leistungen in der Schule, Familienprägungen oder Interessen einzuholen. In dieser neuen, ungewohnten Situation bringen die Kinder und Jugendlichen sehr oft mentale Leistungen, vor allem im logischen Denken und im Erkennen von Zusammenhängen, die sie oft selbst, ihre Pädagogen und uns sehr positiv überraschen. Also, wir bieten den Talenten ein "Wohlfühl"-Umfeld, in dem sie sich entfalten und ihre Begabungen zeigen können.
Das Interview führte Mario Wasserfaller / APA-Science