Umdenken statt wegschmeißen: Lebensmittel sind wertvoll
Jährlich landen laut dem Landwirtschaftsministerium rund 276.400 Tonnen an verpackten und unverpackten Lebensmitteln und Speiseresten im Restmüll der heimischen Haushalte. Das entspricht 33 Kilo pro Einwohner pro Jahr. Verloren geht viel wertvolle Ware jedoch schon zuvor - bei der Ernte, beim Transport, der Lagerung, Weiterverarbeitung oder im Handel. Mit Bewusstseinsbildung wie der "Lebensmittel sind wertvoll"-Kampagne des Ministeriums und einer Vielzahl von Forschungsprojekten will man dem Problem in Österreich Herr werden.
"Österreich ist Vorreiter im Bereich Lebensmittelabfallvermeidung. Derzeit laufen weit über 100 Projekte zu diesem Thema", erklärt Gudrun Obersteiner vom Institut für Abfallwirtschaft an der Universität für Bodenkultur, das in diesem Bereich einen seiner Schwerpunkte setzt. Das jüngste von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderte Branchenprojekt dazu sei "Stop Waste - Save Food". Dazu werden von den Projektpartnern aus der Kunststoff- und der Lebensmittelbranche sowie aus den beteiligten F&E-Einrichtungen innerhalb der kommenden drei Jahre konkrete Fallbeispiele zur Reduktion von Lebensmittelabfällen in der gesamten Wertschöpfungskette ausgearbeitet.
"Da geht es darum, Lebensmittelabfälle durch die richtige Verpackung zu vermeiden. Denn Verpackung an sich ist nichts Schlechtes", führt sie aus. So bleibe offen gekauftes Fleisch etwa weniger lang frisch als verpacktes. Folierte Gurke halte länger als nicht folierte Gurke. Belegt worden sei auch, dass sich Obst und Gemüse in biologisch abbaubaren Kunststoffsackerln länger halten als in konventionellen Plastikverpackungen.
"Dann gibt es Waren, die im Supermarkt in unterschiedlichen Verpackungsmöglichkeiten daherkommen, etwa Käse: Den können Sie offen, abgepackt in Scheiben, als Block usw. kaufen. Das hat Einfluss auf die Haltbarkeit. Die Frage ist, was passiert dann zuhause beim Konsumenten? Ist ihm überhaupt bewusst, dass Blockkäse länger hält und orientiert er sich danach?", fragt sich Obersteiner. Im Zuge des Projekts soll eine Methode zur Datenerhebung über Lebensmittelabfälle auf Konsumentenebene entwickelt werden. Ob eine andere oder innovative Verpackung letztlich zu einer verbesserten Ökobilanz der Produkte führt - sprich, ob sie der Konsument nicht dennoch wegschmeißt -, wird anhand spezifischer Fallbeispiele für bestimmte Lebensmittelgruppen wie Obst und Gemüse oder Fleisch ebenfalls erhoben.
Abgeerntete Felder "freigeben"
Die Vermeidung und Verwertung von Lebensmittelabfällen in ausgewählten Städten Mitteleuropas wird im EU-Projekt STREFOWA (Strategies to Reduce and Manage Food Waste in Central Europe) untersucht, an dem das BOKU-Institut als Leadpartner gemeinsam mit Partnern aus vier weiteren Ländern (Italien, Polen, Tschechien, Ungarn) arbeitet. Dazu werden 16 Pilotaktionen in den fünf beteiligten Ländern durchgeführt. In Österreich will man im Bereich der Landwirtschaft etwa versuchen, sogenannte Cleaning-Aktionen zu institutionalisieren. Obersteiner: "Wird ein Feld abgeerntet, bleibt viel Gemüse liegen - die Ware ist vielleicht zu klein, zu groß, oder aus anderen Gründen nicht erfasst worden. Früher war es ganz normal, dass sich die Leute der Umgebung die liegen gebliebene Ware geholt haben. Das will man wieder erreichen, indem man das Feld nach der Aberntung quasi 'freigibt'", so die Forscherin.
Parallel werde versucht, jene Stufe, auf der die Ware für den Handel aussortiert werde, stärker mit Großküchen zu verschränken. "Die sind vielleicht froh über große Erdäpfel, die vom Handel nicht gebraucht werden", erläutert Großsteiner den Ansatz. Ebenfalls geplant sei die Zusammenarbeit mit dem Caterer "Iss mich", der seinen Catering- und Lieferdienst fast ausschließlich mit aussortiertem Gemüse betreibt und 2014 mit dem Viktualia-Award ausgezeichnet wurde.
Viktualia-Award: Ausgezeichnete Initiativen existieren
Dieser vom Landwirtschaftsministerium jährlich vergebene Preis zeichnet Best Practice-Beispiele zur Lebensmittelabfallvermeidung aller Art aus und ging im vergangenen Jahr etwa an einen Verein, der aussortierte Lebensmittel verkocht und in Gläser abfüllt. Die geretteten Lebensmittel werden für "WasteFoodCaterings" oder in Workshops mit Schülern und Asylwerbern verarbeitet. Ausgezeichnet wurde ebenfalls das Rogner Bad Blumau. Durch regionalen Einkauf, Sammeltransporte, schonende Lagerung bis hin zur Evaluierung von Abfallmengen und Lagerumschlagshäufigkeiten am Monatsende sei eine Reduktion der Küchenabfälle von bis zu einem Drittel erreicht worden. Positive Effekte wären zudem die regionale Vernetzung und langfristige Kooperationen mit Kleinproduzenten aus der Umgebung. Ein dritter Preisträger war die "Obstbörse Vorarlberg", die überschüssiges Streuobst zwischen Anbietern und Nachfragenden vermittelt. Als Schulprojekt gewürdigt wurde eine Initiative von Siebtklässlern des Bundesgymnasiums Dornbirn, die überschüssiges Kantinenessen einem Flüchtlingsheim zukommen lassen und sich um die Einlagerung und Einhaltung von Hygienestandards im öffentlich zugänglichen Kühlschrank in der Schule kümmern.
In Erinnerung geblieben ist Obersteiner ein prämiertes Beispiel aus dem Vorjahr. "Das Produktservice-Designstudio Studio Dankl hat für einen Bäcker, um Brot- und Gebäckabfälle zu reduzieren, einen Brotautomaten entwickelt, in dem nach Ladenschluss die nicht verkaufte Ware des Tages landet", erzählt die Expertin. Übrig gebliebenes Brot verarbeitet der Bäcker in der Restwärme der Backöfen zu Brotchips. Ein neues Produkt und um 45 Prozent weniger Abfall sind das Ergebnis.
Bewusstseinsbildung muss früh beginnen
Bei STREFOWA wolle man einen stärkeren Blick auf die Konsumentenseite werfen. "Es gibt wohl eine Vielzahl an Initiativen, und der Konsument ist theoretisch gut informiert - aber das spiegelt sich in den täglichen Handlungen nicht wieder", rätselt Obersteiner. Deshalb starte demnächst eine großangelegte Online-Umfrage mit Fokus auf Wien, wo gefragt werde, was die Endverbraucher daran hindere, Lebensmittel nicht wegzuwerfen. Für Forschungszwecke finde parallel dazu auch noch eine Vollerhebung der Gemeinde Langenzersdorf statt.
"Wir gehen auch in Schulen und erarbeiten Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe 1. Ein Projekt gibt es zudem mit den einheimischen Tourismusschulen, damit die angehenden Köche den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln verinnerlichen", betont die Wissenschafterin die Bedeutung von früher Bewusstseinsbildung. Maßnahmenvorschläge gebe es weiters im Bereich der Gastronomie, sprich Hotels und Catering. "Dort sind die Abläufe völlig anders als im Restaurantbereich, wo man schon sehr viel weiß und umgesetzt hat", so Obersteiners Erfahrung.
Seit 2014 besteht die branchenübergreifende Plattform "United Against Waste". Gemeinsam verfolgen Unternehmen aus dem "Food Service"-Markt sowie Bund, Länder, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen das Ziel, vermeidbare Lebensmittelabfälle in Küchenbetrieben bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Die Plattform bietet unter anderem einen Online-Schnelltest, mit dessen Hilfe sich die vermeidbaren Lebensmittelabfälle im eigenen Betrieb hochrechnen und mit dem Branchendurchschnitt vergleichen lassen. Beratungsangebote, konkrete Infos und gelungene Lösungsbeispiele aus der Praxis runden das Angebot ab. "Hier sind die Effekte schon sehr gut ablesbar", freut sich Obersteiner und blickt optimistisch in die Zukunft: Durch die vielen kürzlich gestarteten Projekte werde in zwei, drei Jahren der Wissensstand deutlich höher und die Auswirkungen von Maßnahmen besser sichtbar sein.
Daten auch auf EU-Ebene lückenhaft
Was den Forschern ihre Arbeit erschwert, ist mangelhaftes Datenmaterial. Daher will sich Silvia Scherhaufer, ebenfalls vom Institut für Abfallwirtschaft, nicht auf Zahlen festlegen. "Produktion, Landwirtschaft und Haushalte machen sicher den Großteil an heimischen Abfällen aus. Den Handel betrifft nur ein kleiner Prozentsatz, der ist hier schon recht engagiert", so die Expertin. Mit der Umweltschutzorganisation Global 2000 werde in einem gemeinsamen Projekt derzeit versucht zu erheben, wieviel an Lebensmittelabfällen in der Landwirtschaft anfallen. "Alle Maßnahmen in Österreich zielen ganz stark auf Bewusstseinsbildung ab. Im Bundes-Abfallwirtschaftsplan werden konkrete Maßnahmen empfohlen - der Entwurf für 2017 mitsamt Maßnahmenpaketen ist bereits online", informiert Scherhaufer.
Nur für ein Viertel der EU-Mitgliedsstaaten liegen Daten in ausreichender Qualität vor, was zu großen Unsicherheiten bei Schätzungen für die gesamte EU führt. Laut dem EU-Projekt FUSIONS werden in der Europäischen Union pro Jahr etwa 88 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle im Wert von geschätzt rund 143 Milliarden Euro produziert. Den mit 47 Millionen Tonnen größten Anteil haben die privaten Haushalten, gemeinsam mit Gastronomie und Handel verursachen sie EU-weit 70 Prozent der Abfälle. Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln tragen zu den restlichen 30 Prozent der Lebensmittelabfälle bei.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science