"Jeder soll sich für seinen Dreck verantwortlich fühlen"
Wo Menschen leben, entsteht Müll. In Wien fällt jährlich eine Million Tonnen Haushaltsabfälle an, das sind rund 20 Prozent des gesamten städtischen Müllaufkommens. Doch die Stadt setzt seit Jahren konsequent auf eine nachhaltige Abfallwirtschaft und gilt heute in punkto Entsorgung unter den Großstädten international als Vorzeigemodell. Kein Grund, sich auszuruhen: auf der Agenda stehen neben forcierter Abfallvermeidung und -trennung etwa die bessere Metallrückgewinnung aus Schlacken.
Steigender Wohlstand führt zu steigendem Konsum: Seit den 60er-Jahren ist das von der MA 48, der Magistratsabteilung für Abfallwirtschaft, Straßenreinigung und Fuhrpark, übernommene Müllvolumen - gesammelt werden Hausmüll und teils Gewerbeabfälle - drastisch gestiegen. Bis Ende der 70er-Jahre wurde in Wien ein Drittel der Abfälle verbrannt und der Rest vergraben. "Diese Altlastenkataster fangen wir jetzt mühsam an, wieder auszugraben und zu sortieren und zu schauen, was man machen kann, etwa mit Umspundungen", erklärt Abteilungsleiter Josef Thon im Gespräch mit APA-Science. Mit dem Sammeln von Glas, Papier und Kunststoffen wurde 1975 begonnen. Mitte der 80er-Jahre übernahm die Stadt das sogenannte Rinterzelt, eine von der Rinter AG ambitionierte, aber an der Umsetzung gescheiterte automatische Müllsortieranlage und legte darauf aufbauend den Grundstein für die heutige getrennte Sammlung. Eine weitere große Änderung gab es 2004 mit der Umstellung der Kunststoffsammlung - seit damals werden nur mehr PET- und Plastikflaschen gesammelt.
44 Prozent Fehlwürfe
Davor wurde wesentlich mehr Kunststoff getrennt, allerdings landeten 44 Prozent Fehlwürfe - sprich etwa Metall- oder Papierabfälle - in den gelben Tonnen. "Auch unausgewaschene Joghurtbecher, halbleere Flaschen mit ranzigem Ketchup - außer thermischer Verwertung lässt sich damit in Wahrheit nichts anfangen", so Thon. Er beschloss, nur mehr zu "sammeln, was Sinn macht: Aus den Hohlkörpern kann man tatsächlich Rohstoff erzeugen", erläutert er weiter. Die Zahl der Fehlwürfe liege nun bei 13 Prozent. Um aus einer PET-Flasche wieder eine solche herzustellen, ist weniger Energie nötig als bei deren Erzeugung aus Erdöl. Landen wertvolle PET-Flaschen im Restmüll, werden sie aufgrund der hohen Verschmutzung dennoch nicht aussortiert. "Aus den Straßenpapierkörben holen wir diese allerdings schon - pro Jahr sammeln unsere Straßenkehrer 100.000 80-Liter-Säcke Plastikflaschen und Dosen", schildert Thon.
Heute wird in Wien ein Drittel der Abfälle - Glas, Metall, Kunststoff, Papier, gefährliche Abfälle und Bioabfälle - getrennt, Tendenz steigend. Diese Altstoffe werden zu 100 Prozent recycelt. Im Vergleich mit München, Hamburg oder Paris hat die österreichische Hauptstadt hier die Nase vorn. "Erfreulich ist zudem, wenn die Wirtschaft anspringt, bringen Altstoffe auch wieder Erlöse. Für ein Kilo Kupfer gibt es derzeit etwa sechs bis acht Euro. Eine Weile musste man für die Entsorgung zahlen", erzählt Thon. Dass private Müllsammler am Kuchen mitnaschen wollen, gefällt ihm nicht. "Der Wiener muss auch 'entsorgt' werden, wenn es kein Geschäft ist", unterstreicht Thon die Verantwortung der Stadt. Ließe man anderen hier freie Hand, wären Gratis-Angebote wie Biotonnen, Mistplätze oder Problemstoffsammlungen nicht mehr möglich.
Apropos Verantwortung: Wien ist in der im Vergleich mit anderen Großstädten bemerkenswerten Position, den Umgang mit seinem Müll von A bis Z autonom steuern zu können. Diese Gestaltungsmacht dürfe nicht aus der Hand gegeben werden, zeigt sich Thon überzeugt. 2010 wurde Wien von den internationalen Abfallwirtschafts-Organisationen "WTERT und SUR" zur nachhaltigsten Stadt der Welt gewählt. "Wir trennen nicht nur selber, wir haben auch alle Anlagen: Müllverbrennungsanlagen, Wirbelschichtofen, Schlackenanlage, aber auch eine Biogasanlage, ein Biomassekraftwerk und das größte Kompostwerk Europas", betonte Thon. Das Interesse ausländischer Städte an der offenen Kompostierung sei hoch. "Wir erzeugen A+-Qualität, welche auch für den biologischen Landbau geeignet ist. Von den rund 100.000 Tonnen Eingangsmaterial schaffen wir 40.000 Tonnen Ausgangsmaterial", betont Thon. Die stark nachgefragte Bioerde wird an einigen Mistplätzen kostenlos abgegeben, bei größeren Mengen oder für gewerbliche Zwecke fällt ein Entgelt an.
Abfall vermeiden, Restmüll verringern
Der verbleibende Restmüll wird in den drei Müllverbrennungsanlagen Flötzersteig, Spittelau, Pfaffenau und der Klärschlamm- und Sonderabfallbehandlungsanlage Simmeringer Haide thermisch verwertet. "Mittlerweile hängen alle Anlagen im Fernwärmenetz und wir erzeugen ein Drittel der in Wien benötigten Wärme mit Müll", erzählt der Entsorgungsexperte. "Unsere Müllverbrennung zeichnet ein hoher Wirkungsgrad aus - die Wege, bis die Wärme angebracht wird, sind kurz."
Das Restmüll-Aufkommen bewegt sich seit den 80er-Jahren trotz wachsender Bevölkerung auf annähernd gleichem Niveau. Vor zehn Jahren lag es pro Kopf um 60 Kilo über dem derzeitigen Wert (538 Kilo) und folgt somit dem beim Siedlungsabfall EU-weit rückläufigen Trend. Langfristig soll der Anteil an Restmüll sinken und jener an getrennten Stoffen weiter steigen. "Wir möchten, dass sich jeder für seinen Dreck verantwortlich fühlt. Deshalb ist auch Abfallvermeidung ein großes Thema", führt Thon aus. "Ob es bei uns Mangos aus Brasilien zu kaufen gibt, die billiger sind als heimische Birnen, kann der Einzelne nicht beeinflussen - aber bei der Abfallentsorgung lässt sich aktiv etwas zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen", betont er.
In den Müllverbrennungsanlagen wird der gesammelte Restmüll bzw. Sperrmüll direkt - ohne weiteren Aufbereitungsschritt - energetisch verwertet. Es braucht übrigens kein Plastik im Müll, damit er ordentlich brennt - "das ist Blödsinn", so Thon. Im Wirbelschichtofen 4 (Simmeringer Haide) hingegen wird auch Klärschlamm verbrannt, dort kann daher ausschließlich aufbereiteter Restmüll thermisch behandelt werden. Dieser mechanisch vorbehandelte Restmüll wird daher zuvor im Abfalllogistikzentrum (ALZ) geschreddert und entmetallisiert. "Dort können wir noch eine Menge an wertvollen Stoffen rausholen. Früher ging das nur mittels Magnet bei Eisen. Heute geschieht es induktiv und wir gewinnen bis zu einer gewissen Größe sogar Nichteisenmetalle wie Kupfer, Gold, Aluminium. Dadurch hat sich die Metallgewinnung drastisch erhöht", erläutert Thon.
Sorgenkind Schlacken
Verbrennt man eine Tonne Müll, wird das Volumen zwar geringer, es reduziert sich auf rund ein Zehntel. Das aber hat ein Drittel vom Gewicht, ist also recht schwer. "Letztes Jahr wurden 790.000 Tonnen Müll verbrannt - da bleiben 250.000 Tonnen Schlacken", informiert Thon. Auch die Schlacke wird zerkleinert und von Metallen befreit. "Die Metalle bescheren uns immerhin noch ein paar Millionen Euro Erlöse", freut sich der MA-Chef. Dennoch müsse es langfristig gelingen, die Rückstände zu minimieren und das Maximum aus Klärschlamm, Asche und Schlacke rauszuholen. Hier gebe es enge Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur, der Montanuniversität Leoben oder der Technischen Universität Wien.
Was nach der Verbrennung übrig bleibt, wird mit Zement vermischt und als Schlackenbeton am Deponierand aufgebracht. "In Deutschland etwa darf auf Schlackenbeton gebaut werden, bei uns wird er aufgrund der Grenzwerte nicht als Baustoff - und sicher niemals als Baustoff für Wohnhäuser - verwendet", erklärt Thon, der sich jedoch einen möglichen Einsatz als Füllmaterial bei Betonbauwerken wie einem Hochwasserdamm vorstellen kann.
Der direkte Wiederverwertungsvergleich mit anderen Ländern berge seine Tücken, weist Thon auf unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen hin: "In Kalifornien ist es erlaubt, Schlackenbeton als Baumaterial einzusetzen, da bleibt nichts über. In München wiederum darf das biogene Material zur Deponiebegrünung verwendet werden, das gilt dort als Recycling."
Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft
Dass die Kreislaufwirtschaft ihre Grenzen hat, ist für Thon klar. "Nehmen Sie alte Kaffeefilter, aus denen macht man kein Papier mehr", illustriert er. Eine gewisse Restmüllmenge werde immer bleiben. Krankenhausabfälle, Windeln, Hundekot - das gehöre einfach in die Verbrennung. Die wahren Problemstoffe seien für Thon ohnehin diejenigen, mit deren Umgang sich noch keine rechte Strategie etabliert habe, etwa bei hormonell belasteten Ausscheidungen. Hersteller von neuen Produkten seien gefordert, deren Entsorgung bzw. Recycling von Anfang an mitzudenken. "Nehmen wir die noch relativ jungen Solarpaneele - auch die werden irgendwann kaputt. Wohin damit?" Als Vorbild könne die Autoindustrie gelten, wo heute bereits eine 90-prozentige Recyclingquote erreicht sei. Der Blick müsse sich auf das große Ganze richten. Anstatt auf die Wiederverwertung von Espressokapseln müsse der Fokus dem Urban Mining gelten (siehe auch "Mit 'Urban Mining' in Richtung ökonomisches Fließgleichgewicht"). "Wird ein Haus abgerissen, ist dort mehr Metall drin als man im ganzen Jahr über die Altstoffsammlung hereinbringt", weist Thon auf zahlreiche Herausforderungen hin.
Dennoch sei es wichtig, die Menschen zu noch besserer Mülltrennung zu motivieren. "Elektronikschrott, Handys, kleine Elektronikgeräte, elektrische Zahnbürsten, Kofferradio, Ipod - das gehört nicht in den Restmüll", weist er auf notwendige Bewusstseinsbildung hin. Ganz sicher wolle man keinen Polizisten zu jedem Mistkübel hinstellen, sondern mit der Vernunft der Menschen arbeiten. Man müsse aber realistisch sein und "schauen, was in einer Großstadt geht", verweist Thon auf die Grenzen der Trennmoral, welche die Anonymität einer Stadt mit sich bringe. "Uns ist bereits unheimlich viel gelungen, aber da geht noch mehr, eben bei der Abfallvermeidung", ist Thon überzeugt.
Zur Abfallvermeidung trägt auch die "Tandler-Box" auf den Wiener Mistplätzen bei, in der Ausrangiertes aller Art - etwa Spielsachen, Geräte und Gerätschaften, Instrumente oder Bekleidung - abgegeben werden können. Etwa 20 Prozent der Textilien sind nicht weiterzuverwenden und kommen zu einem Entsorger. Der Rest wird gespendet, unter anderem an das Integrationshaus oder an die Gruft, ein Teil wird - wiederum für wohltätige Zwecke - verkauft, etwa über das Secondhand-Geschäft "48er-Tandler" - in dem übrigens die ORF III-Sendung erLesen aufgezeichnet wird.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science