Vom Müllberg zum Kreislauf
2014 wurden in der EU 2,6 Mrd. Tonnen Abfall produziert, in Österreich fallen jährlich rund 60 Mio. Tonnen an. Um die Müllmengen zu reduzieren, gilt das Credo: Abfall vermeiden geht vor recyceln und beseitigen. Die Schritte dahin gibt das soeben verabschiedete "Abfallpaket" der EU vor, das auf Kreislaufwirtschaft und höhere Recyclingquoten setzt. Gefragt sind aber auch neue Denkansätze wie "Urban Mining", "Re-Use" und innovative abfallwirtschaftliche Konzepte. APA-Science hat sich auf Entdeckungsreise in die Welt des Abfalls begeben.
Auch wenn bei der sogenannten Abfallhierarchie der Teufel im Detail und in den Definitionen steckt, an deren Spitze steht unumstritten die Abfallvermeidung. Auf dieser Priorisierung fußen immerhin die Rechtsvorschriften der Abfallwirtschaft. Auch das "Weißbuch" der Branche in Österreich, der derzeit als Entwurf vorliegende Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2017 (BAWPL) zielt unter anderem auf die Reduktion von Lebensmittelabfällen und die Wiederverwendung ("Re-Use") von Gebrauchsgegenständen ab (siehe "Repair, Re-Use und Shareconomy: Nur mal schnell die Welt retten"). Zudem sollen auch vermehrt die stofflichen Potenziale von Klärschlämmen genutzt werden.
59,75 Mio. Tonnen betrug laut dem derzeit in Begutachtung stehenden BAWPL das Abfallaufkommen in Österreich 2015. Davon entfallen 57,1 Mio. t auf Primärabfälle und 2,66 Mio. t auf Sekundärabfälle, die aus der Behandlung von Primärabfällen resultieren. Damit ist das Volumen der Primärabfälle seit 2009 (das sind die Referenzdaten des bisher letzten BAWPL von 2011) um 10,4 Prozent gestiegen.
Der Zuwachs ist demnach vor allem auf die steigenden Mengen an Aushubmaterialien aus dem Bauwesen zurückzuführen, die von 23,46 Mio. t auf 32,77 Mio. t um 40 Prozent angewachsen sind und somit mehr als die Hälfte des Gesamtabfallaufkommens ausmachen (siehe auch nebenstehende Grafik). Das hänge besonders mit Großprojekten wie dem Bau des Semmering- und Brenner-Basistunnels sowie der Errichtung der Koralmbahn durch die ÖBB zusammen, geht aus dem Bericht hervor.
Ein moderates Wachstum gab es im Vergleichszeitraum mit sieben Prozent bei den Siedlungsabfällen "aus Haushalten und ähnlichen Einrichtungen". Von den gesamten Abfällen wurden 47 Prozent stofflich verwertet, sieben Prozent thermisch behandelt bzw. verwertet, 43 Prozent deponiert und drei Prozent "in sonstiger Art" aufbereitet. Der Abfall abzüglich der Aushubmaterialien wurde zu 65 Prozent recycelt, der Rest verbrannt (16 Prozent), deponiert (neun Prozent), verfüllt (drei Prozent) oder "sonstig" aufbereitet.
Österreich als "Best-Performer"
"Die österreichische Abfallwirtschaft ist erwiesenermaßen, wie auch von der EU-Kommission festgestellt, ein Best-Performer in Europa", bilanziert Christian Holzer, Leiter der Sektion Abfallwirtschaft, Chemiepolitik und Umwelttechnologie im Umweltministerium (BMLFUW) im Gespräch mit APA-Science den aktuellen BAWPL-Entwurf. Das betreffe sowohl die Umsetzung - und teilweise Übererfüllung - europäischer Regulative, als auch die in der EU-Abfallrahmenrichtlinie geforderte Entsorgungsautarkie: "Das heißt, die Mitgliedstaaten sollen die Abfälle so weit wie möglich jeweils im eigenen Land behandeln können." Auf der anderen Seite sei Österreich auch bei den "Best-Performern", was die Erfüllung der fünfstufigen Abfallhierarchie anbelangt ("Abfallvermeidung" vor "Vorbereitung zu Wiederverwendung" vor "Recycling" vor "Sonstige Verwertung" und "Beseitigung").
Holzer spricht damit die Studie "Screening of Waste Management Performance of EU Member States" an, die 2012 von der Beratungsstelle für integrierte Problemlösung (BiPRO) im Auftrag der EU-Kommission durchgeführt wurde. Demnach verfügt Österreich gemeinsam mit den Niederlanden über den höchsten Standard der Abfallwirtschaft. Positiv bewertet wurden u. a. "die Umsetzung des Deponierungsverbots für biologisch abbaubare Abfälle, hohe Verwertungsquoten hinsichtlich kommunaler Abfälle und das Vorliegen eines Abfallvermeidungsprogramms", wie das BMLFUW festhält.
Um im Spitzenfeld zu bleiben, erstellt das Ministerium alle sechs Jahre einen Bundes-Abfallwirtschaftsplan. Seit der bisher letzten Ausgabe 2011 sei eine Weiterentwicklung vor allem beim Recycling und der höherwertigen Behandlung der Abfälle zu beobachten gewesen. Ein Beispiel: Bei Metallen ist die Recycling- und Verwertungsrate innerhalb von nur zwei Jahren von 62 Prozent (2011) auf rund 87 Prozent 2013 um rund 25 Prozentpunkte gestiegen. Für Holzer könnte das durchaus mit dem "enormen Fortschritt im Bereich der Sortiertechnologien" zusammenhängen.
Hoher Pro-Kopf-Anteil bei Siedlungsabfällen
Dessen ungeachtet liegt Österreich beim Pro-Kopf-Anteil bei Siedlungsabfällen im vorderen Feld. Laut Eurostat produzieren die Österreicher im Schnitt jährlich 566 Kilogramm Müll, damit ist die Alpenrepublik hinter Dänemark (789 kg), Deutschland (631), Luxemburg (626), Zypern (615), Malta (599) und Irland (587) an siebenter Stelle. Der Schnitt für die EU-28 beträgt 474 kg.
Natürlich ist das nur eine Seite der Medaille. Denn bei der Zusammensetzung des Abfalls und in der Behandlung gibt es starke Unterschiede, so Holzer: "In Europa haben wir ein starkes Gefälle zwischen West und Ost, aber auch zwischen Nord und Süd. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Österreich geht kein einziger Kilo Siedlungsabfall auf die Deponie, sondern muss entsprechend der Vorgaben der Deponieverordnung - wenn es sich um organische Abfälle handelt-, vorbehandelt werden." Zum Vergleich: In Malta, Griechenland und Kroatien werden noch mehr als 80 Prozent der Siedlungsabfälle deponiert (siehe dazu auch "Produziert für die Deponie? Einblick in die letzten Senken").
Gesetzlicher Rahmen
Als wesentliche Grundlage der Abfallbewirtschaftung hat die europäische Kommission in den Mitgliedsländern eine Abfallrahmenrichtlinie herausgegeben. Die darin fixierten Grundlagen sind in Österreich im Abfallwirtschaftsgesetz umgesetzt, wobei die Mitgliedsländer darüber hinaus Regulative setzen können. Etwa ist die mit Ende Oktober 2016 in Kraft getretene Recycling-Baustoffverordnung eine reine nationale Verordnung ohne Vorgabe aus der EU. Es gibt aber auch Verordnungen der EU im Abfallwirtschaftsbereich, die direkt anzuwenden sind. Das herausragende Beispiel ist laut Holzer die Abfallverbringungsverordnung (siehe BMLFUW-Webseite), in der der grenzüberschreitende Abfalltransport in der europäischen Union von der EU direkt geregelt wird.
Kreislaufwirtschaft als EU-Ziel
Langfristig, konkret bis 2030, sollen 70 Prozent des Hausmülls in der EU recycelt werden. Das sieht eine EU-Richtlinie vor, die das EU-Parlament am 14. März 2017 in Straßburg beschlossen hat (siehe Bericht des EU-Parlaments). Bisher werden EU-weit 44 Prozent recycelt. Ein weiteres Ziel im Zuge der von der EU als Vision des "Abfallpakets" angestrebten Kreislaufwirtschaft - Circular Economy Package - ist die Verringerung der Lebensmittelverschwendung. Sie soll bis 2025 um 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 2014 zurückgehen. In der EU wandern jedes Jahr rund 88 Millionen Tonnen noch essbarer Waren in den Abfall, was einer Menge von 180 kg pro Person entspricht. Außerdem soll die Menge der auf Deponien abgelagerten Siedlungsabfälle bis 2030 auf zehn Prozent des gesamten Siedlungsabfallaufkommens verringert werden.
Da der Rohstoffbedarf der Weltwirtschaft in den nächsten 15 Jahren um mehr als 50 Prozent steigen könnte, müsse man zu einem zirkulären Entwicklungsmodell übergehen, "um das Ruder herumzureißen", hielt dazu die italienische Abgeordnete Simona Bonafè fest. Von der Kreislaufwirtschaft profitiere nicht nur die Umwelt, sondern auch die Wirtschaft, erklärte die ÖVP-Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger. "Wir erwarten eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes in der Europäischen Union von bis zu sieben Prozent bis zum Jahr 2030", sagte sie. Durch Verbrennung und Deponierung von 10.000 Tonnen Abfall werde nur ein Job geschaffen, durch die Wiederverwertung der Rohstoffe und Ressourcen wären es 296 Arbeitsplätze, sagte die grüne Delegationsleiterin Ulrike Lunacek.
"Kein Allheilmittel"
Die Kreislaufwirtschaft - im Sinne des Zurückbringens möglichst vieler im Abfall enthaltener Stoffe in den Produktkreislauf - ist laut Experten als Zielvorstellung für eine nachhaltigere Wirtschaft ein guter Ansatz, aber kein Allheilmittel. Zuerst einmal müsse das System in Richtung Fließgleichgewicht gebracht werden, so Helmut Rechberger vom Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft der Technischen Universität (TU) Wien: "Wir sagen: Das System ist nicht im Fließgleichgewicht. Wir sind immer noch in einer Wachstumsphase. So lange das so ist, kann eine ausgeprägte Kreislaufwirtschaft gar nicht entstehen." (siehe "Mit 'Urban Mining' in Richtung ökonomisches Fließgleichgewicht")
"Das Circular Economy Paket der EU ist auf Schiene. Es ist zu erwarten, dass die Recyclingquoten der EU massiv erhöht werden. Die Herausforderung ist jetzt, das Recycling zu verstärken", betont Roland Pomberger, Leiter des Lehrstuhls für Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft an der Montanuniversität Leoben, im Gespräch mit APA-Science die Wichtigkeit, bei den technischen Methoden der Verwertung anzusetzen.
Auf technologischer Seite haben sich im Abfallverwertungsbereich vor allem sensorgestützte Methoden, das berührungslose Erkennen von Materialströmen durch Infrarot, Laser-, und Bilderkennungsmethoden entwickelt, so Pomberger. Eines der größten Forschungsprojekte in diesem Bereich, das COMET-K-Projekt "ReWaste 4.0" in der Steiermark, steht kurz vor dem Start: "Hier wollen wir die Abfallbehandlungsanlagen der Zukunft entwickeln."
Veränderte Abfallströme
Die Abfallströme ändern sich mit dem Konsumverhalten. Ein plakatives Beispiel ist für Pomberger das Aufkommen der Elektromobilität: "Ein Elektroauto hat eine Lithium-Ionen-Batterie mit 250 Kilogramm. Dazu brauchen wir neue Recyclingkonzepte." Im Projekt BAT-SAFE innerhalb der Arbeitsgruppe "(Future) Waste Treatment" werden etwa die Auswirkungen von Batterien in abfallwirtschaftlichen Systemen untersucht. Denn die steigende Verwendung von Li-Ionen-Batterien - in vielen kleinen Geräten, aber auch in Funktionskleidung - stellt auch eine zunehmende Sicherheitsgefahr da. Zwar als polemische Zuspitzung formuliert, aber mit ernstem Hintergrund, ist es für den Experten "nur eine Frage der Zeit, bis das erste Müllauto abbrennt. Nur 50 Prozent der Batterien werden getrennt gesammelt und der Rest ist irgendwo (im Restmüll; Anm.) drin."
"Design for Re-Use"
Verstärktes Recycling macht aber nur Sinn, wenn Konsumprodukte keine Schadstoffe enthalten oder so wenige, dass ein Recycling auch möglich ist. "Ein wesentlicher Grundsatz in der Abfall-Rahmenrichtlinie oder auch im Abfallwirtschaftsgesetz ist, dass Sekundärrohstoffe dieselbe Qualität aufweisen müssen wie Primärrohstoffe", erklärt Christian Holzer vom Umweltministerium. Daher sei auch geplant, die bestehende Ökodesignrichtlinie, die sich derzeit ausschließlich mit Energieeffizienzkriterien beschäftigt, in Richtung "Design for Re-Use" auszuweiten.
Fernseher, deren Kunststoffgehäuse mit Additiven versehen sind, um flammhemmend zu sein, können beim Recyceln Probleme bereiten. Um höhere Recyclingziele zu erreichen, sei es daher eine Voraussetzung, allgemein Schadstoffe einzudämmen, besonders aber Additive bei Kunststoffen zu vermeiden. "Das ist ein langer Entwicklungsprozess, weil es auf eine große Palette von Konsumprodukten angewendet werden soll", verweist Holzer etwa auf Befürchtungen von Herstellern, Wettbewerbsnachteile gegenüber Drittstaaten in Kauf nehmen zu müssen. "Das Circular Economy Package ist daher keine reine Abfallgeschichte, sondern geht weit darüber hinaus. Das ist alles erst in Verhandlung und noch lange nicht in trockenen Tüchern."
Abfallhierarchie - Vermeidung
Meta-Thema ist die Vermeidung von Abfällen. Die Grundsätze dafür in Österreich wurden im "Weißbuch zur Abfallvermeidung und -verwertung" von 2007 niedergelegt. Darin ist etwa die "Verringerung des Materialeinsatzes und Vermeidung umweltschädlicher Stoffe", die "Wieder- bzw. Weiterverwendung" von Materialien oder die Schließung von Stoffkreisläufen vorgesehen. Zentral bei diesen Ansätzen ist das "lebenszyklusweite Systemdenken", also die Berücksichtigung "des gesamten ökologischen Rucksacks".
Auf diesen und ähnlichen Grundsätzen baut auch das im aktuellen BAWPL beschriebene Abfallvermeidungsprogramm 2017 auf. Gedacht ist das Programm in Anbetracht des "nur sehr eingeschränkten Einflusses rein abfallwirtschaftlicher Regulative auf den Produktions- und Konsumsektor" zur Mitwirkung für "alle Stakeholder" in Österreich. "Unsere größten Angriffspunkte auch in Umsetzung der Sustainable Development Goals der UNO sind zum Beispiel die Lebensmittelabfälle", so der Abfallwirtschafts-Experte: "Wir sind intensiv um eine Reduktion bemüht, weil es sich ja nicht nur um den Lebensmittelabfall selbst handelt, sondern auch all das, was in der Vorkette zur Herstellung dieses Lebensmittels notwendig war und letztlich auch zu Umweltbelastungen führt." (siehe dazu auch "Umdenken statt wegschmeißen: Lebensmittel sind wertvoll")
Weißbuch für die Abfallwirtschaft
Der BAWPL 2017 ist laut Holzer wie die vorangegangen Dokumente "so etwas wie ein Weißbuch für die Abfallwirtschaft", das Zahlen, Daten und Fakten liefert und im Bereich der Behandlungsgrundsätze auch wünschenswerte Entwicklungen aufzeigt. Beispielsweise ist es ein Ziel - wie etwa in Deutschland und der Schweiz bereits der Fall - aus Klärschlämmen mit technischen Verfahren den enthaltenen Phosphor zurückzugewinnen. "Mit den österreichischen Klärschlämmen könnten wir zwischen 30 und 50 Prozent des heimischen Phosphorbedarfes decken, der für die Düngemittelproduktion erforderlich ist. Das sind zum Beispiel strategische Entwicklungen, die in diesem Plan drin stehen."
Angesichts des sich ständig ändernden Konsumverhaltens müsse man sich alle Abfallströme getrennt ansehen und analysieren, was sich noch zu einem Sekundärrohstoff verwerten lässt, umreißt Roland Pomberger ein "Grundsatzproblem der Abfallwirtschaft": "Wir können technologisch sehr viel, aber das muss sich immer über den Rohstoffwert rechnen. Wenn wir einen höheren Umweltnutzen haben wollen, dann müssen wir uns als Gesellschaft auch die Frage stellen, was uns das wert ist und ob wir das wollen."
Von Mario Wasserfaller / APA-Science