So, wie es die unterschiedlichsten Kooperationsformen zwischen Kunst und Wissenschaft gibt, kann man sich an das Verhältnis der beiden Sphären zueinander am ehesten aus multiplen Perspektiven annähern. Wie weit die inter- und transdisziplinären Kooperationen gehen können und welche Grenzen ihnen gesetzt sind, hat APA-Science gemeinsam mit einer Vielzahl an Forschenden und Künstlerinnen und Künstlern ausgelotet.
Sind Kunst und Wissenschaft vielleicht Zwillinge, „höchstwahrscheinlich sogar eineiige Zwillinge, die wir aber in unserer Epoche gleich nach der Geburt trennen und sorgfältig voneinander fernhalten“, wie es Ars-Electronica-Direktor Gerfried Stocker in der Einleitung zu seinem Gastbeitrag formuliert? Einig könne man sich im gemeinsamen Erkenntnisinteresse sein, meint der Philosoph und Literaturwissenschafter Artur R. Boelderl von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (siehe „Im wissenden Niemandsland“). Doch daneben gelte es noch andere Kriterien zu berücksichtigen: „Die Wissenschaft besteht nicht zu Unrecht auf gewissen Kriterien und Standards, die sich auf künstlerische Arbeiten nicht 1:1 umlegen lassen dürften. In der Kunst gibt es bestimmte Zielsetzungen, die im wissenschaftlichen Bereich nicht berücksichtigt werden können.“
Ausgangspunkte für künstlerische Forschung
Was reizt eine/n Künstler/in, sich forschend zu betätigen? Wieder zeigt sich, dass zuvorderst der persönliche Zugang den Werdegang eines Projekts vorgibt. Gerfried Stocker ist sich sicher, dass es nicht nur Dolmetscher zwischen den Systemen oder Brückenbauer, sondern ein grundlegend neues Denken über die Beziehung von Mensch und Maschine brauche: „Die langsam dämmernde Erkenntnis, wie wichtig dafür ein holistisches Denken in Alternativen ist, hat uns wieder die Wirkungsmacht der Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft in Erinnerung gerufen.“ Eine zaghaften Annäherung wurde langsam zum Spaß, „sich gegenseitig auch herauszufordern, und immer mehr zu einem Wiederentdecken, dass man ja eigentlich zwei Seiten der gleichen Medaille ist“.
Die Künstlerin und Forscherin Anna Artaker sieht in der Tatsache, dass wir Bilder von der Welt machen, auf einer grundlegenden Ebene den gemeinsamen Ursprung von Wissenschaft und Kunst. Während man es in der Philosophie mit gedanklichen, sprachlich formulierten Ideen zu tun habe, würden sich die bildenden Künste verschiedener Techniken bedienen, um Bilder zu erschaffen. „Was mich als Künstlerin und Vertreterin der künstlerischen Forschung interessiert, sind die Berührungspunkte zwischen beidem: Wie beeinflussen unsere Worte und Gedanken das, was wir als Realität wahrnehmen? Und umgekehrt: Wie formen Bilder und Gegenstände, die wir mit den Sinnen erfahren, die Begriffe, mit denen wir unsere Wirklichkeit beschreiben?“, fragt sich Artaker in ihrem Gastbeitrag.
Um das Verstehen der Welt geht es im Kern auch Ruth Anderwald, die gemeinsam mit ihrem Partner Leonhard Grond seit kurzem das Doktoratsprogramm Künstlerische Forschung an der Universität für angewandte Kunst Wien leitet (siehe „Taumelnd die Welt erforschen“): „Für wen, auf welcher Ebene drücke ich als Wissenschafterin, als Künstlerin dieses Verstehen aus. Die künstlerische Forschung als Hybrid ist deshalb speziell, weil sie so viele Ausdrucksformen nutzen kann. Sie kann einerseits künstlerische, aber auch (…) reflexive, akademische Ausdrucksformen nutzen.“ Im Resultat könne sich künstlerische Forschung also sowohl in Form eines wissenschaftlichen Artikels als auch einer Ausstellungsbeteiligung manifestieren.
Hannes Raffaseder von der Fachhochschule St. Pölten plädiert ganz allgemein dafür, dass Künstler wie Wissenschafter Grenzen überschreiten müssen und die Elfenbeintürme, in denen sie oft leben, verlassen. Dann klappe es auch mit Innovationen (siehe „Der kleine Schritt vom Straßenlärm zum Meeresrauschen“).
Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen
Allzu leichtfertig sollte man mit den Begriffen Kunst und Wissenschaft nicht hantieren, warnt Gerfried Stocker: „Von welcher Kunst sprechen wir und von welcher Wissenschaft? Vieles an dieser Vorstellung ist romantisch verklärt und wir denken lieber an musengeküsste Genies und geniale Geistesblitze und weniger an jahrelange harte Arbeit und auch nicht an die oft mühevolle Kommunikationsarbeit.“
Bedenken herrschen auch darin, die Kunst zu instrumentalisieren. Kooperationen müssten stets auf Augenhöhe stattfinden, stellt etwa Diethard Mattanovich vom Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) fest (siehe „Evolutionstreiber Hefe“): „Kunst darf nicht dafür missbraucht werden, eine ‘Message’ zu transportieren. Die Künstler brauchen freie Hand. Es muss ihre Arbeit bleiben.“ Ins gleiche Horn stößt auch die Philosophin und Künstlerin Marion Elias von der Universität für angewandte Kunst Wien: „Die Kunst darf sich nicht einfach vor den Wagen der Wissenschaft spannen lassen.“ Kunst solle nicht erläutern, sondern ein Bewusstsein schaffen („Im wissenden Niemandsland“).
Termine:
Konstanze Schütze: Allianzen im Bild – Bildhandeln nach dem Internet (10.11.2021, online)
Science Film Fest (18.11.2021, Linz)
kunst. vermittelt. demenz (25.11.2021, online)
UT PICTURA MEDICINA? VISUELLE KULTUREN UND MEDIZIN (12.-13.11., Salzburg)
Buchtipps:
Knowing in Performing – Artistic Research in Music and the Performing Arts
ARTS, RESEARCH, INNOVATION AND SOCIETY
Zum Nachsehen:
Online-Podiumsdiskussion zum Thema „ART & TECH & POLICY“ der FH St. Pölten