"Evidenzbasierte Entscheidungshilfen"
Antibiotika-Therapien werden oft nicht auf den Patienten abgestimmt. Ohne eindeutige Diagnose im Bereich der Atemwegsinfektionen werden diese Medikamente auch oft bei viralen Erkrankungen verabreicht, bei denen sie wirkungslos sind. Ein weiteres Problem aufgrund der blinden Gabe von Antibiotika ist die evolutionäre Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen, die eine globale Gesundheitsbedrohung darstellen. Ein mobiles Diagnosegerät soll Abhilfe schaffen und direkt beim praktischen Arzt die Erkrankungen korrekt klassifizieren.
Derzeit werden die ursächlichen Keime bei Atemwegsinfekten nicht routinemäßig von Ärzten bestimmt. Ein genauer diagnostischer Test von Nasen- oder Rachenabstrichen, der Viren und Bakterien identifizieren kann, dauert mehrere Tage und muss von einem Zentrallabor durchgeführt werden, was teilweise mit hohen Kosten verbunden ist. Folglich werden aufgrund des Fehlens einer klaren Diagnose, sicherheitshalber Antibiotika verschrieben. Neben der Unwirksamkeit dieser Medikamente zur Bekämpfung viraler Infektionen, werden auch Antibiotikaresistenzen gefördert und immer mehr Bakterien können den Wirkmechanismen der Medikamente entkommen. Ein Phänomen das allein in Europa 25.000 Todesfälle pro Jahr fordert und das Gesundheitssystem mit 1,5 Milliarden Euro belastet.
Schnelltest für Infektionen der oberen Atemwege
Das von der Europäischen Union mit 5,5 Millionen Euro geförderte und von Hahn-Schickard in Freiburg, Deutschland koordinierte Projekt DIAGORAS hat zum Ziel ein kompaktes Diagnosegerät zu entwickeln, dass die ursächlichen Keime (Viren und Bakterien) schnell detektieren und deren Antibiotikaresistenz bestimmen kann. Es soll in Arztpraxen und in Krankenhäusern eingesetzt werden um eine genaue und evidenzbasierte Therapie zu ermöglichen. Der Test analysiert die genomische DNA von Viren und Bakterien die mittels eines Nasen- oder Rachenabstriches vom Patienten entnommen werden. Die so gesammelten Keime werden identifiziert und ihre Resistenz gegenüber Antibiotika bestimmt. Es wird eine gesamte Analysezeit von einer Stunde angestrebt, die es ermöglicht noch während des Arztbesuches die bestmögliche Therapie mittels maßgeschneiderter Medikamentengabe zu initiieren. Während derzeitige Schnelltests nur einzelne Parameter analysieren können wird das neue Gerät die häufigsten Bakterien und Viren identifizieren und dem Arzt ein vollständiges Analyseprofil bereitstellen.
Früherkennung von Karies und Parodontitis
Da es sich um eine Plattform-Technologie handelt kann das Analyse-Konzept für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden. Während Ärzte eine Entscheidungshilfe für Atemwegserkrankungen erhalten, können Zahnärzte damit die Mikroflora in der Mundhöhle überwachen. Verschiedenste bakterielle Erreger können somit anhand einer einfachen Speichelprobe quantifiziert werden. Neben der bakteriologischen Analyse werden auch Protein-Entzündungsmarker des Patienten gemessen, die Aufschluss über den Schweregrad der Erkrankung liefern. Diese beiden Ansätze ermöglichen die Früherkennung und somit die rechtzeitige Behandlung von Karies und Parodontose, Krankheiten die weltweit ca. 5 Milliarden Menschen betreffen.
Lab-on-Chip Technologie
Umgesetzt werden die diagnostischen Schnelltests mit sogenannter Lab-on-Chip Technologie, bei der sich alle Reagenzien und Reaktionskammern auf einer Einweg-Cartridge im CD-Format befinden. Sämtliche Analysemethoden werden automatisch abgearbeitet in dem die Disc unterschiedliche Rotations- und Temperaturprotokolle durchläuft und am Ende optisch mittels Fluoreszenzdetektion ausgelesen wird. Biochemisch werden neuartigen Multiplex-Nukleinsäure-Assays entwickelt, die Bakterien und deren Antibiotika-Resistenzen und Viren detektieren. Das System ist sehr flexibel, da das Design der Disc an die jeweilige Anwendung angepasst werden kann. Im Projekt wird eine Disc für Atemwegsinfektionen und eine für orale Krankheiten hergestellt werden. Das Auslesegerät ist universell einsetzbar und kann für beide Discs und deren spezifische Analysen verwendet werden.
Gegen Ende des vierjährigen Projekts wird das neue Diagnose-Tool mit verschiedenen Patientenproben im Bereich Atemwegsinfektionen von Erasmus MC in Rotterdam und im Bereich orale Krankheiten von der Universität Zürich validiert. Im Hinblick auf den alarmierenden Anstieg der Antibiotika-Resistenzen und die dringende Notwendigkeit eines raschen Nachweises von Infektionskrankheiten, bietet dieses Projekt ein enormes Potenzial die Effizienz im Gesundheitswesen zu steigern, Resistenzen einzudämmen und die Gesundheit der Patienten zu erhöhen.
Links: http://go.apa.at/bAu67Fky; http://www.diagoras.eu/