"Personalisierte Medizin - Vision oder Mission?"
"Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat". Bereits in der Antike setzte Hippokrates den Menschen samt seiner Individualität und Komplexität ins Zentrum der Lehre und der Heilkunst. Heute ist dieser Schwerpunkt aktueller denn je und wird unter dem Begriff "personalisierte Medizin" als vielversprechender Behandlungsansatz für zahlreiche Krankheitsbilder gehandelt. Die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt für den richtigen Patienten - Vision oder Mission?
Kann Medizin tatsächlich personalisiert sein?
Zwei Patienten haben die gleiche Erkrankung und bekommen vom Arzt das gleiche Präparat verschrieben. Während Patient Nummer eins optimal auf das verordnete Medikament anspricht, tritt bei Patient Nummer zwei keine deutliche Besserung ein. Woran das liegen kann? Unter anderem wegen der individuellen genetischen und biologischen Eigenschaften der jeweiligen Personen. Die personalisierte Medizin versucht, genau darauf zu reagieren. Ziel dieser Behandlungsform ist es, Therapien auf Patientengruppen mit bestimmten medizinischen Merkmalen zuzuschneiden. Auch wenn sie so genannt wird: Eine individuell passende Therapie heruntergebrochen auf jeden Einzelnen ist derzeit (noch) nicht realistisch.
Eine vertiefte Diagnostik hilft aber bereits heute, jenes spezifische Arzneimittel zu finden, das für den jeweiligen Patienten eine erhöhte Ansprechrate und bessere Verträglichkeit bietet. Die Pharmaindustrie arbeitet mit Hochdruck daran, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen und setzt auf Arzneimittel, die auf persönliche Merkmale des Patienten gerichtet sind.
Vom Blockbuster zum Nischen-Produkt
In der Pharmaindustrie ist bereits seit längerem klar: Die Zeit der Blockbuster-Präparate ist vorbei. In den letzten Jahren zeichnet sich immer stärker der Trend zur Individualisierung und Differenzierung in der Forschung und Entwicklung ab. Es gilt, hoch differenzierte Medikamente mit einem klar definierten Nutzen für den Patienten zu entwickeln, Ansprechraten auf Medikamente zu erhöhen und deren Nebenwirkungen zu minimieren. Für die Pharmaindustrie ist dies mit hohen Kosten verbunden. Bisher dauerte die Entwicklung eines Arzneimittels im Schnitt bis zu zwölf Jahre und schlug mit Kosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro zu Buche - und dabei wird es scheinbar nicht bleiben. Die immer komplexer werdende Forschung wird auch hier neue Herausforderungen an die pharmazeutischen Unternehmen stellen.
Vielversprechender Ansatz in der Onkologie
Ein Bereich, in dem die personalisierte Medizin bereits Einzug gehalten hat, ist die Onkologie. Dort gilt sie als die Zukunft der Krebstherapie. Vor allem in der Behandlung von Brust-, Lungen-, Magen- und Hautkrebs wird die "maßgeschneiderte" Medizin erfolgreich eingesetzt. Mithilfe molekularer Diagnosemöglichkeiten, kann genetischen Erkrankungsmerkmalen auf den Grund gegangen und das treffsicherste Medikament zur Behandlung diagnostiziert werden. Die Onkologie ist jedoch nicht das einzige Gebiet, in dem die personalisierte Medizin Einzug hält. Bei Osteoporose lässt sich binnen Tagen der Erfolg einer Therapie erkennen, indem die Stoffwechselaktivität der Knochen analysiert wird. Bei Hepatitis C können Aussagen über die Medikationsdauer und den Therapieerfolg getroffen werden. Nicht in allen Krankheitsfällen wird es möglich sei, personalisierte Lösungen anzubieten, dennoch schlägt die Pharmaindustrie mit ihrer Forschung in eine notwendige Kerbe der modernen Gesundheitsversorgung.
Pipelines sind gefüllt
Pharmaunternehmen räumen daher der personalisierten Medizin zunehmend Platz in ihrer Agenda ein. Das verdeutlicht auch eine Studie des Tufts Center for the Study of Drug Development 2015: 42 % aller in der Entwicklung steckenden Arzneimittel sind für die personalisierte Therapie, in der Onkologie liegt mit 73 % das größte Potential. Weiters verdoppelten biopharmazeutische Unternehmen in den letzten fünf Jahren ihr Investment in Forschung und Entwicklung in diesem Bereich, ein weiterer Anstieg um 33 % wird auch in den kommenden fünf Jahren erwartet. Diese Entwicklung schlägt sich selbstverständlich auch in der Anzahl der personalisierten Arzneimittel nieder, indem im gleichen Zeitraum mit einem Plus von 69 % gerechnet wird.
Nutzen auf mehreren Ebenen
Für die Stakeholder im Gesundheitswesen sind die Fortschritte in der personalisierten Medizin vielversprechend. Allen voran profitiert der Patient von den aktuellen Entwicklungen. Für Betroffene erhöhen sich durch personalisierte Medizin die Erfolgsaussichten einer Behandlung, während die Nebenwirkungen sinken oder im besten Fall ausbleiben. Pharmaunternehmen können durch die zielgerichteten Diagnosemethoden neue Medikamente entwickeln, die für eine wirksame und sichere Behandlung beim Patienten sorgen. Ärzte können für ihre Patienten die geeignete Therapie identifizieren, maximalen Nutzen und minimale Nebenwirkungen abwägen. Für Kostenträger steckt in der personalisierten Medizin das Potenzial, die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten, da unnötige Kosten durch beispielsweise Nebenwirkungen oder Fehlbehandlungen vermieden werden.
Herausforderungen, die es zu meistern lohnt
Die Komplexität von Krankheiten stellt die größte Herausforderung dar. So haben beispielsweise US-Wissenschaftler Tumorzellen von 50 Brustkrebs-Patientinnen untersucht und alleine 1.700 Genmutationen gefunden. Auch wenn die personalisierte Medizin langfristig Kosteneffizienz ins Gesundheitswesen bringt, ist die Forschung hierfür sehr zeit- und kostenintensiv. Daher sollte der Aufbau von Versorgungs- und Forschungsnetzwerken zur Etablierung der personalisierten Medizin unterstützt werden. In diesem Zusammenhang müssten die Zulassung und vor allem die Aufnahme von Arzneimitteln sowie Diagnostika in den nationalen Erstattungskodex geklärt werden. Darüber hinaus muss in der Gesellschaft das Verständnis der personalisierten Medizin als Innovation verankert und somit der Zugang für Patienten sichergestellt werden.
Österreich verfügt - vor allem im Bereich Onkologie - über einen guten und frühen Zugang zu innovativen Therapien. Das spiegelt sich bei der Platzierung als eines der Top 5-Länder in Europa mit den besten Überlebensraten bei Krebs wider. Das bedeutet folglich, Patienten denselben Zugang zur personalisierten Medizin zu gewähren wie es bereits auf anderen innovativen Gebieten gelebt wird.