Intensivere Landwirtschaft soll die Welt ernähren
Die Weltbevölkerung wächst unaufhaltsam: Mit Stichtag 1. Jänner 2016 lebten 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde, um 83 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Sie alle mit Nahrungsmitteln zu versorgen ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Gelingen kann das letzten Endes nur durch eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft und stabile politische, sozioökonomische und wirtschaftliche Verhältnisse, meinen Forscher.
"Sustainable Intensification" bedeutet, die Produktivität auf bestehenden landwirtschaftlichen Flächen zu erhöhen, aber gleichzeitig den Druck auf die Umwelt zu minimieren. Das Konzept, das unter anderem vom Oxford Martin Programme on the Future of Food gemeinsam mit dem Food Climate Research Network entwickelt wurde, ist eine Antwort auf den steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln, während gleichzeitig Land, Wasser, Energie und andere Ressourcen durch kurzsichtige Ausbeutung und verstärkt vom Klimawandel immer knapper werden.
"Nachhaltige Intensivierung" ist auch für Hans-Peter Kaul, Leiter der Abteilung Pflanzenbau an der Universität für Bodenkultur (Boku) "die Strategie, die wohl weltweit" gefahren wird. "Es wird hier in vielen Ländern intensiv geforscht, vor allem in den USA, Südamerika und China", erklärt er gegenüber APA-Science. Das Ziel müsse eine Erhöhung der Erträge bei besserem Mitteleinsatz sein, stellt er klar und ergänzt: "Mehr Input an Düngemitteln ist keine Option - man muss es schaffen, prozentual Düngemittel besser zu nutzen." Natürlich gehe dieses Konzept Hand in Hand mit dem Umweltschutz. "Jedes Kilo Stickstoff, das ich in der Pflanze finde und nicht ausgewaschen im Boden, ist von Vorteil. Alles Wasser, das ich nicht ineffizient verbrauche, kann ich für den Menschen besser nutzen", so der Experte. Dass die Umwelt geschützt werden müsse, hätten auch Länder wie China erkannt: "Dort ist das Thema jetzt natürlich groß. Das Land liegt in diesem Bereich aber 30 bis 40 Jahre hinter Europa."
"Bio" ist nicht unbedingt nachhaltig
Umweltschutz habe mit biologischer Landwirtschaft nicht unbedingt etwas zu tun, meint er. "In Österreich und Deutschland ist Ökolandbau die heilige Kuh, die durchs Land getrieben wird. Weltweit ist dieser Fokus aber gar nicht möglich. In Österreich liegt der Ökolandbau anteilsmäßig bei 20 Prozent, aber weltweit bei fünf Prozent." Konventionelle Landwirtschaft werde global immer einen weitaus größeren Stellenwert haben. Bio-Produktion sei außerdem eine Kostenfrage. "In Wien-Döbling gibt es zahlreiche Biosupermärkte, in Simmering wahrscheinlich weniger", verweist er auf die in der Regel für den Konsumenten höherpreisigen Bioprodukte.
Der Zukunftstechnologie des sogenannten Vertical Farming - dabei findet die Produktion von landwirtschaftlichen Produkten und auch Tieren in mehrstöckigen Gebäuden in städtischen Ballungsräumen statt - kann Kaul wenig abgewinnen. "Da verwirklichen sich eher Architekten, aber das Konzept wird das Welternährungsproblem nicht lösen", meint er. Die Produktion sei "kleinstskalig", die Produkte wären zudem hochpreisig und kämen somit ähnlich wie Bioprodukte nur für eine gewisse Bevölkerungsschicht infrage. Kritisch zu beleuchten seien auch Faktoren wie hoher Energie- und Wasserverbrauch für die dafür notwendigen Bewässerungssysteme, Auswirkungen auf den Menschen und so weiter. "Die Nachhaltigkeit eines Modells muss immer in all ihren Facetten bewertet werden - nach ökonomischen, ökologischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten - erst dann kann man sie wirklich beurteilen", betont der Wissenschafter.
GVO: In Österreich verdammt, weltweit im Einsatz
Um Erträge zu erhöhen, setzen viele Länder und Regionen, etwa Nordamerika, großflächig auf "grüne Gentechnik". "In Österreich gibt es eine Aversion gegenüber gentechnisch veränderten Organismen (GVO), aber weltweit sind sie ein Riesenthema", stellt Kaul fest, auch wenn er glaubt, dass sich der Hype abflachen werde. "Sie sind ja auch nicht die alleinige Lösung", hält er fest. In den USA werden vor allem Mais, Soja und Baumwolle angepflanzt, die durch Gentechnik entweder gegenüber bestimmten Herbiziden tolerant sein oder aber vor Fressfeinden wie Raupen geschützt werden sollen.
Ansetzen müsse man auch beim Fleischkonsum, betont Kaul: Hat dieser sich laut dem aktuellen Lebensmittelbericht seit Mitte der 1950er-Jahre beinahe verdoppelt, so stagniert er nun in Österreich auf hohem Niveau bei jährlich knapp 66 Kilo pro Kopf. Wie vergleichsweise billig Fleisch geworden ist, zeigen folgende Daten: 1980 musste ein durchschnittlicher Industriearbeiter für ein Kilo Schweineschnitzelfleisch 82,9 Minuten arbeiten, 2012 dagegen nur noch 39,7 Minuten.
Auch wenn der Trend zu fleischloser Ernährung durchaus stärker wird: Laut einer IFES-Studie ist der Anteil der Vegetarier bzw. Veganer von 2,9 Prozent (Eurobarometer, 2005) auf neun Prozent (2013) gestiegen und lag bei den Unter-40-Jährigen 2013 sogar bei 17 Prozent. "Die Jüngeren haben schon jetzt eine andere Einstellung", hat auch Kaul beobachtet. Das werde sich in den kommenden Generationen fortsetzen.
"Wir müssen wieder mehr pflanzliche Nahrung essen", forderte der Forscher eine Rückbesinnung etwa auf Hülsenfrüchte, deren Konsum in den vergangenen 50 Jahren sehr stark gesunken ist. "Der Anbau von Hülsenfrüchten (Leguminosen) muss wieder attraktiver werden. Dazu gibt es ganze Reihe von Forschungsprojekten, etwa im Bereich der Kichererbsen", erzählt der Wissenschafter. "Man könnte Winterformen wie Erbsen, Linsen, Ackerbohnen oder Mischkulturen wie Getreide und Leguminosen anbauen."
UN-Jahr der Hülsenfrüchte
Hülsenfrüchte haben einen besonders hohen pflanzlichen Eiweißanteil und enthalten viele Ballaststoffe. Insbesondere bei fleischarmer Kost sind sie ein wertvoller Eiweiß-Lieferant. Mit Ausnahme von Soja und Erdnüssen sind Hülsenfrüchte fettarm und reich an Mineralstoffen. Insgesamt könnten sie zur Vorbeugung von sogenannten Wohlstands-Volkskrankheiten wie Diabetes und Fettleibigkeit dienen. Die Vereinten Nationen haben 2016 daher zum UN-Internationalen Jahr der Hülsenfrüchte erhoben.
Aber auch der Boden profitiert von Bohnen, Linsen & Co - sie brauchen keinen Stickstoffdünger, sondern produzieren ihn selbst. Hülsenfrüchte leben mit stickstofffixierenden Knöllchenbakterien in Symbiose. Diese in den Wurzeln lebenden Bakterien binden so viel Stickstoff aus der Luft, dass auch noch für die nachfolgenden Pflanzen etwas übrig bleibt. Aufgrund dieser Anreicherung des Bodens mit dem Dünger Stickstoff sind Fabaceae-Arten laut AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) beliebte Vor- und Nachfrüchte in der Landwirtschaft, da sie die Bodenfruchtbarkeit verbessern.
Einige wenige Arten dominieren
Schlechtere Fruchtbarkeit der Böden, Probleme bei der Fruchtfolge und genetische Verarmungen sind die Folgen des Trends, immer weniger Arten - Weizen, Reis und Mais - und nur die leistungsfähigsten Sorten anzubauen. Insgesamt ist die Menge an erzeugtem Getreide in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten gestiegen. Laut Grünem Bericht des Landwirtschaftsministeriums (mit Zahlen von 2015 bzw. 1999) lag die Weltgetreideproduktion 2015 bei 1,718 Mrd. Tonnen, im Jahr 1999 bei 1,46 Mrd. Tonnen. Weltweit wurden 2015 721 Mio. Tonnen Weizen geerntet (1999: 581 Mio.) Die österreichische Getreideernte betrug 2015 5,7 Mio. Tonnen (1999: 4,81 Mio.). In etwa gleich geblieben ist die heimische Getreideanbaufläche.
Eine dahin gehende Steuerung im weitesten Sinn findet im Rahmen der Pflanzenbaustrategie des Landwirtschaftsministeriums (BMLFUW) statt. "Dabei wird den pflanzenbaulichen Anforderungen wie der Fruchtfolge, Bodengesundheit oder auch der Berücksichtigung neuer Energiepflanzen, die nicht für die Ernährung bestimmt sind, Rechnung getragen", erklärt Elfriede Fuhrmann, Leiterin der Abteilung Forschung und Entwicklung im BMLFUW auf Anfrage.
Durch die Eiweißstrategie wiederum werde der Anbau von Sojabohnen forciert, um letztendlich auch die Abhängigkeit von Sojaschrotimporten zu reduzieren. "Außerdem wurden in Österreich neue, standortangepasste Sojabohnensorten gezüchtet", sagt Fuhrmann und verweist auf die zentrale Genbank der AGES, welche eine weltweite Sammlung von pflanzengenetischen Ressourcen dieser Art betreibt (siehe: "Pflanzen-Genbank: Hüter eines kostbaren Erbes").
Forschungsprojekte werden im mehrjährigen Forschungsprogramm PFEIL unterstützt, weiters beteilige sich das Ministerium auch an Plattformen wie "Plants for the future".
Modell für Produktions- und Nachfrageentwicklung
Um mögliche langfristige Entwicklungen der Nachfrage und Produktion von landwirtschaftlichen Produkten zu untersuchen, wurde am Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien das World Food System Model entwickelt. Es simuliert für 35 Länder bzw. Regionen den Konsum - dazu zählen neben Nahrungsmitteln auch Tierfutter, Industriebedarf und Abfall - und die Verfügbarkeit von landwirtschaftlichen Produkten. "Die Nachfrage wird als Funktion von Einkommen und Preisen modelliert. Die Produzenten entscheiden über den Einsatz der verfügbaren Ressourcen wie Land, Wasser oder Technologie mit dem Ziel der ökonomischen Ertragsmaximierung", erläutert Günther Fischer, Senior Researcher am IIASA.
Das Modell werde für verschiedene intern und extern finanzierte Studien am IIASA verwendet, etwa für "Climate Change and Agricultural Vulnerability", "Biofuels and Food Security", "Hunger amidst Abundance". "Derzeit werden im Rahmen der Water Futures and Solutions Initiative verschiedene Szenarien auf Basis der IPCC Shared Socio-economic Pathways (SSPs) ausgearbeitet", erzählt der Forscher. Große Bedeutung kommt auch hier die Frage der tierischen Produktion aufgrund der Auswirkungen auf die benötigten Ressourcen zu. "Deshalb werden in unserer Arbeit auch Szenarien zu unterschiedlichen Annahmen bezüglich Nachfrageprioritäten behandelt", so der Wissenschafter. Ein wichtiges Thema auf Nachfrageseite sei auch die bessere Vermeidung von Abfall.
Eine bedeutsame Rolle, "zumindest regional", spiele der Klimawandel. Hier seien die Auswirkungen jedoch sehr heterogen und von der jeweiligen Ausgangslage abhängig. "Derzeit und bis etwa Mitte des Jahrhunderts sind die wichtigen Auswirkungen auf Landproduktivität und Ernährungssicherheit von mehr Variabilität und dem verstärkten Auftreten von Extremwetterlagen zu erwarten", erläutert Fischer. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sei die Ernährungssicherheit global nicht vom Klimawandel bedroht, sondern sehr von der sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklung abhängig. Bis dahin gelte es, das Ruder bei der weltweiten Klimaerwärmung herumzureißen. "Wenn es nicht gelingt, die globale Klimaerwärmung unter zwei bis drei Grad zu halten, so ergeben die entsprechenden Prognosen langfristig deutlich negative Auswirkungen auf die Produktionspotenziale in vielen Weltregionen", so die düstere Prognose.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science