Essverhalten: Subtile Korrekturen lenken Schiff kaum um
An die Diagnose, dass sich die Bevölkerung in Industriestaaten in Schnitt immer ungesünder ernährt und der Anteil adipöser Menschen zunimmt, knüpft sich zwangsläufig die Frage danach, wie das oft bedenkliche Ernährungsverhalten beeinflusst werden kann. Mit mehr oder weniger niederschwelligen Anreizen lässt sich das träge Schiff aber eher nicht nachhaltig umlenken, haben Forscher der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) in einer Analyse herausgefunden. Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen gibt es dennoch.
Kann mit diversen Anreizen ("Incentives") das Gesundheitsverhalten insgesamt verändert werden? - so lautete die Grundfrage, dem das Projektteam um Brigitte Piso, stellvertretende Leiterin am Ludwig Boltzmann Institut "Health Technology Assessment" in Wien, nachging. Nach Antworten suchten die Forscher im Auftrag des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger in wissenschaftlichen Übersichtsarbeiten mit Bezug auf die vier großen Lebensstilfaktoren "Rauchen", "Alkoholkonsum", "Bewegung" und "Ernährung". Als bereits sehr ausführlich beforscht entpuppte sich - wenig überraschend - das Rauchen. Im Ernährungsbereich konnte das Team in seinem Bericht auf 14 einschlägige internationale Metastudien zurückgreifen.
Kaum immaterielle "Incentives"
Die Anreize können immaterieller oder materieller Natur sein. Es zeigte sich, dass immaterielle Anreize nur sehr selten eingesetzt werden. "Ob diese irgendeinen Effekt haben, können wir also gar nicht sagen. Es gibt einfach zu wenig Forschungsarbeit dazu", sagte Piso zu APA-Science.
Für Gutscheine, Geld, Preisreduktionen, Gewinnspiele und Co. kamen die LBG-Forscher zu dem Schluss, dass diese zwar "einen minimalen Effekt" erzielen, "ob der aber nachhaltig ist, ist dahingestellt". Oft wurde gar nicht untersucht, ob die Verhaltensänderung länger aufrecht bleibt, wurde das aber erhoben, war der Effekt oft rasch verschwunden. "Man kann also schon mit Anreizen, die Leute dazu bringen, sich beispielsweise gesünder zu ernähren, der Effekt ist aber gering und nicht nachhaltig", so Pisos Fazit.
"Verhalten" und/oder "Verhältnisse"?
Punkto Gesundheitsverhalten herrschen zwei prinzipielle Sichtweisen vor: Einerseits die, dass Veränderung in Richtung gesünderem Verhalten mehr oder weniger komplett in der Eigenverantwortung der Menschen liegt. Andere pochen auf Änderungen der Verhältnisse, damit sich Leute weniger gesundheitsgefährdend verhalten können. "Diesen Streit 'Veränderung des Verhaltens' versus 'Veränderung der Verhältnisse' gibt es schon ewig und es gibt auch keine vergleichenden Studien, auf deren Basis man das entscheiden könnte. Vermutlich wird es eine Kombination aus beidem brauchen, um tatsächlich etwas zu verändern", erklärte die Forscherin.
Mit Maßnahmen abseits der Incentives, die stärker in Richtung "Veränderung der Verhältnisse" auf gesellschaftspolitischer Ebene gehen, hat sich die "American Heart Assoziation" (AHA) in einer Übersichtarbeit beschäftigt. Unter insgesamt 41 einschlägigen Maßnahmen schafften es sechs in die Gruppe derer, für die "Evidenz und/oder allgemeine Übereinkunft vorliegt, dass die Intervention nutzbringend, zweckdienlich und wirksam sei (und daher angewendet werden solle)", wie in der LBG-Studie zitiert wird.
Darunter Medien- und Bildungskampagnen, die auf Erhöhung des Konsums gesunder Lebensmittel abzielen und solche, die gleichzeitig auch die Reduktion des Verzehrs ungesunder Lebensmittel und Getränke verfolgen. Ausgewiesen Positiv wirken demnach auch "Subventionsstrategien zur Senkung der Preise gesunder Lebensmittel und Getränke" oder Interventionen an Schulen die gleichzeitig verbesserte Ernährung und mehr körperliche Aktivität fördern. Darin enthalten wäre die Umsetzung von entsprechenden Lehrplanänderungen, mehr formaler Sportunterricht, gesündere Ausstattung von Schulkantinen und die Einbeziehung der Eltern.
Im Bereich "Restriktionen" hätten sich die "Einschränkung von an Kinder gerichteter TV-Werbung für weniger gesunde Lebensmittel/Getränke" und "Regulierungsmaßnahmen zur Reduktion spezifischer Nährstoffe in Lebensmitteln", wie Trans-Fette oder Salz, erwiesen. Relativ gesichert keinen Effekt hat laut der AHA nur eine konkrete Maßnahme: detaillierte Nährstoffangaben auf verpackten Lebensmitteln und Getränken. Viele Maßnahmen seien also mittlerweile gut auf ihre Wirksamkeit und Nicht-Wirksamkeit untersucht, "und man könnte sich mittlerweile doch an solchen Dingen orientieren", erklärte Piso.
"Nudging" als Mittelweg?
Ein großes Thema im Ernährungsbereich sei aktuell das sogenannte "Nudging" (auf Deutsch in etwa "Anstupsen"). Darunter versteht man, wenn gewollte Veränderungen mit Mitteln abseits von Ver- oder Geboten oder in Aussicht gestellten Gewinnen oder Verlusten quasi unterschwellig angestoßen werden. Ein Beispiel für "Nudging" im Gesundheitsbereich wäre die gezielte Positionierung von gesünderen Produkten an Stellen in Supermärkten, auf die Konsumenten verstärkt achten.
"Das kann man ethisch diskutieren - nämlich, inwieweit 'stupse' ich Leute in eine Richtung an, von der sie gar nicht merken, dass sie dorthin gehen. Das ist ein Konzept, das man durchaus missbräuchlich verwenden kann. Trotzdem setzen sich auch in Europa im Gesundheitsbereich viele Regierungen damit auseinander", sagte Piso. Menschen in eine gesundheitsförderliche Richtung zu stupsen "ist ja per se nicht schlecht", es gebe in diesem Bereich allerdings noch wenige Forschungsergebnisse.
Was ist wirklich (un)gesund?
Egal welche Maßnahme man auch setzt, vieles hänge einfach davon ab, wie nachvollziehbar und klar der Nutzen ist. "Das ist in der Ernährung wahrlich nicht so einfach, weil die Evidenz dazu, was wirklich gesund und was wirklich schädlich ist, viel schwächer als beim Rauchverhalten ist", sagte die Forscherin. Trotzdem gebe es Ernährungsempfehlungen und -pyramiden, die mehr oder weniger überall auf der Welt ähnlich aussehen. Die Grundlagen seien also trotz aller widersprüchlichen Informationen weitgehend bekannt.