Pflanzen-Genbank: Hüterin eines kostbaren Erbes =
Diese Bank vernichtet keine Werte, sondern erhält sie: In Österreichs größter Genbank für Getreide, Bohnen, Heil- und Wildkräuter in Linz werden rund 5.000 Samenmuster heimischer Arten und Sorten aufbewahrt. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass die Samen keimfähig bleiben und ihr Erbmaterial auch für künftige Generationen erhalten bleibt.
Aus wirtschaftlichen Gründen werden in der landwirtschaftlichen Praxis derzeit nur recht wenige Sorten genutzt. "Laut FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) spielen von den ca. 30.000 essbaren Pflanzen weltweit nur etwa 150 bis 200 Arten, also nur 0,5 Prozent, eine bedeutendere Rolle für die menschliche Ernährung", wie Sylvia Vogl, Biologin an der von der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) geführten Einrichtung im Gespräch mit APA-Science erzählt. Außerdem würden derzeit mit nur 30 Pflanzenarten wiederum 95 Prozent des Kalorienbedarfs der Weltbevölkerung erzeugt. An vorderster Stelle stehen laut FAO die drei "Haupternährer" Weizen, Reis und Mais, welche gemeinsam die Hälfte des weltweiten Energiebedarfs der Menschheit decken. Ebenso könne auch die Zahl der genutzten Medizin- und Gewürzpflanzen laut FAO nur geschätzt werden. Hier sollen von den 422.000 Blütenpflanzen weltweit zwischen fünf und zwölf Prozent Verwendung finden.
Permanent werden neue Sorten entwickelt, im Gegenzug kommen alte Sorten vom Markt. "Die sogenannten Standardmuster der alten Sorten bekommen wir automatisch", erläutert die Biologin das Prozedere. Muster erhält die Samenbank aber etwa auch von Saatguterzeugern und Privatpersonen. Archiviert werden in der seit 1968 bestehenden Einrichtung nicht nur alte Sorten, sondern auch alle Weiterentwicklungen. Dennoch ist der Bestand überschaubar. "Wir haben eine vergleichsweise kleine Genbank im Gegensatz etwa zu der Genbank Gatersleben in Deutschland, wo rund 150.000 Pflanzenproben lagern", erklärt Vogl.
Versicherung gegen schlechte Zeiten
"Es muss kein Krieg sein - auch Überschwemmungen, Dürre oder andere Naturkatastrophen können dazu führen, dass gesamte Bestände vernichtet werden", erklärt die Biologin. Sieben Beschäftigte, die meisten davon Biologen oder Chemiker, aber auch Absolventen der Universität für Bodenkultur (Boku), sind mit der nachhaltigen Aufbewahrung des wertvollen landwirtschaftlichen Kulturguts und dem Erhalt der Nutzbarkeit der Samen beauftragt.
Langen Muster ein, so wird das Material zuerst identifiziert. "Wir überprüfen, ob es sich um die Art bzw. Sorte handelt, die es laut den Angaben sein soll", erklärt Vogl. Dann erhält das Muster eine Nummer. Probeweise wird die Keimfähigkeit der Samen getestet. Falls notwendig, werden die Samen von Verunreinigungen etwa durch andere Samen gereinigt, das sei gerade bei Heil- und Wildkräutern oft der Fall. Sodann wird das Material bis zu einem Feuchtigkeitsgehalt von drei bis acht Prozent getrocknet, es wird in Gläser gefüllt und akribisch beschriftet. Nun sind die Muster bereit für die Langzeitlagerung - für 20 Jahre und länger - im "Tiefkühler" bei minus 18 Grad. Haltbar sind die Samen bei dieser Aufbewahrung in der Regel 50 bis 60 Jahre und müssen erst dann wieder erneuert werden.
Für die Kurzzeitlagerung - zehn bis zwanzig Jahre - wird das Saatgut in luftdichte Fläschchen abgefüllt und bei Kellertemperatur aufbewahrt. "Nach dieser Zeit muss das Saatgut vermehrt werden. Nach jeder Ernte auf einer Versuchsparzelle wird die Lebens- und Keimfähigkeit dann auch wieder überprüft", erläutert Vogl. Auch für Sortensichtungen, Vergleichsanbauten oder bei externen Anfragen werden Samen von der Arbeitssammlung entnommen. "Züchter fragen bei uns an, aber auch Landwirte", führt die Genbank-Expertin aus. Dem von letzteren häufig geäußerten Wunsch nach größeren Abgabemengen könne man leider nicht entgegenkommen. "Wir geben maximal 200 Körner bzw. 30 Gramm ab, das heißt, das Material muss selbst vermehrt werden."
Forschung und Artenvielfalt
Derzeit bemüht man sich um ein Forschungsprojekt zu Käferbohnen, von welchen über 100 Muster in der Genbank gelagert sind. "Das Klima verändert sich und wird auch bei uns zu einer Erwärmung führen. Ziel des Projekts soll sein, eine Art von Käferbohne zu züchten, die besonders resistent gegenüber Trockenperioden ist", erklärt Vogl. Daneben wurde auch eine Diplomarbeit über die Sojabohne und ihre Resistenzen an der AGES betreut.
Die Heil- und Wildkräutersammlung liegt der Fachfrau besonders am Herzen. "Hier haben wir neben Eigensammlungen und Kooperation mit diversen botanischen Gärten auch eine Zusammenarbeit mit der Naturschutzabteilung des Landes Oberösterreich", führt sie aus. Von den rund 3.300 in Österreich wachsenden Gefäßpflanzen sind ihren Angaben zufolge 1.187 Arten - "das sind 40 Prozent" - gefährdet. "Unsere Sammlung umfasst hier bereits 920 Akzessionen (Anm.: Muster) von 458 verschiedenen Arten", so die Expertin.
Ultimativer Sicherheitstresor im Permafrost
Üblicherweise verfügen alle europäischen Länder über eine Samenbank und dienen auch gegenseitig als Back-up. Linz fungiert als Sicherheitslager für die Weizensammlung der niederländischen Genbank in Wageningen, aber seit 1992 auch für die Bohnensammlung der syrischen Stadt Aleppo. "Diese rund 5.000 Samenmuster werden als sogenannte Blackbox gelagert", erklärt der Kurator der Genbank, Wolfgang Kainz. Das bedeutet, dass die Gefäße ungeöffnet bleiben und die Keimfähigkeit der Samen nicht überprüft wird. "Eine Stichprobenentnahme durch Syrien vor zehn Jahren hat aber ergeben, dass es diesbezüglich keinen Anlass zur Sorge gibt", so Kainz.
Eine Sicherheitskopie der Linzer Bestände mit rund 2.000 Samenmustern ist im Svalbard Global Seed Vault, dem größten Tresor für landwirtschaftliche Kulturpflanzen aus allen Regionen der Welt auf der Insel Spitzbergen in Norwegen eingelagert. In dieser "Schatzkiste der biologischen Vielfalt" im Permafrost werden 830.000 Samenkopien von über 60 Institutionen und beinahe jedem Land der Erde aufbewahrt. Die Kapazität des 2008 in Betrieb genommenen Tresors liegt bei vier Millionen Samenmustern.
Die Samen werden ebenfalls nach dem Blackbox-Prinzip aufbewahrt - es wird nicht mit ihnen gearbeitet. Sie verbleiben im Eigentum des Lieferlandes und werden entnommen, sollten sie dort nicht mehr verfügbar sein. Im Permafrost - bei minus 18 Grad - bleiben die Samen auf alle Fälle 50 bis 60 Jahre haltbar, Erbsen- und Gerstensamen nach wissenschaftlichen Schätzungen sogar bis über 10.000 Jahre.