Wie man sich gesund fastet - und isst
"Die Altersforscher sind relativ zerstritten, aber sie sind sich in einem Punkt einig: Fasten oder Kalorienreduktion dient der Verlängerung der Lebensspanne", sagt Frank Madeo. Eine Schlüsselrolle dabei spielt die Autophagie ("sich selbst fressen") der Zellen sowie eine Substanz namens Spermidin, weiß der Professor für Molekularbiologie an der Universität Graz. Das im menschlichen Sperma und in vielen Lebensmitteln enthaltene natürliche Polyamin gilt nach dem derzeitigen Stand der Forschung als veritabler Jungbrunnen.
Es war eine "ungeplante Kollateralentdeckung" im Jahr 2002, die das Leben und die Forschung Madeos auf den Kopf gestellt hat. Bei einem Experiment mit menschlichen Genen, die in Hefe exprimiert wurden, machten die Forscher eine überraschende Entdeckung. Ein Genprodukt, das Spermidin degradierte, ließ die Hefe extrem schnell altern. Der Umkehrschluss daraus bestätigte sich bald bei Folgeversuchen: Hefezellen, die in einem spermidinreichen Medium kultiviert wurden, lebten viermal länger als ohne Spermidin.
Ein entscheidender Moment für die Forscher war, "als wir dann gesehen haben, dass es auch das Leben von multizellulären Organismen verlängert. Spermidinzugabe ins Trinkwasser hat zu einer Lebensspannenverlängerung von Fliegen geführt und da haben wir gesagt: Jetzt wird die Sache wirklich spannend", erklärte der gebürtige Deutsche mit italienischen Wurzeln im Gespräch mit APA-Science.
Fokus auf Spermidin
Das ursprüngliche Projekt geriet darüber schnell in Vergessenheit, Spermidin rückte umso stärker ins Zentrum des Interesses. Es kommt in allen Körperzellen vor - in besonders hoher Konzentration in Sperma - aber auch in frischem grünem Pfeffer, gut fermentiertem Käse, Fleisch, Soja, Weizen, Pilzen oder Zitrusfrüchten. Seine Konzentration nimmt jedoch bei verlangsamtem Stoffwechsel und während des Alterns kontinuierlich ab. Ebenso verringert sich die Fähigkeit des Körpers, geschädigte Proteine oder defekte Mitochondrien - die Kraftwerke der Zellen - abzubauen.
Die Grazer Biowissenschafter machten sich alsdann auf die Suche nach dem Mechanismus dahinter und fanden heraus, dass Spermidin im Körper die Fastenantwort aktiviert: "Was beim Fasten passiert, ist die Auslösung der Autophagie. Das passiert aber auch durch die Gabe von Spermidin - obwohl man isst."
Spürt die Zelle einen Energiemangel, fängt sie an alles zu verdauen, "was nicht niet- und nagelfest" ist. Das sind sehr oft schädliche Substanzen die während des Alterns akkumulieren: Aggregierte Proteine, die zu Neurodegenerationen führen oder beschädigte Mitochondrien die Krebs auslösen können, werden einfach verdaut. Die Zelle löst damit also zwei Probleme zugleich: "Das ist der rejuvenierende Effekt der Autophagie, den kann man durch Fasten anschalten oder durch Spermidin. Das ist es, was wir entdeckt haben."
Weltweite Folgestudien
Nach sieben Jahren Forschung folgte 2009 die entsprechende Publikation im Wissenschaftsjournal "Nature Cell Biology". Die Entdeckung löste weltweit eine Kaskade von Folgestudien aus. Aktuell beschäftigen sich laut Madeo etwa 40 bis 50 Labors mit Spermidin. Mit Hilfe verschiedenster Modellorganismen wird untersucht, ob Spermidin ein Mittel gegen altersassoziierte Erkrankungen sein könnte, weil auch das Fasten hier bereits positive Effekte gezeigt hat.
Herausgekommen ist bisher laut Madeo ein "ganzer Haufen von unterschiedlichen Dingen": So konnte etwa in Japan gezeigt werden, dass Spermidin gegen Entzündungen im Alter wirkt. Einer Alterungstheorie zufolge wird das Alter weniger durch die Anzahl der Jahre reflektiert als durch den chronischen Entzündungsgrad, den man im Blut nachweisen kann. Bei Mäusen konnte dieser Entzündungsgrad mit Spermidin deutlich gesenkt werden.
Eine italienische Arbeitsgruppe konnte erst vor kurzem - ebenfalls an Mäusen - nachweisen, dass Spermidin die Effekte einer genetischen Muskelerkrankung heilen kann. Einen ähnlichen Heilungserfolg erzielten Forscher in den USA bei der fronttemporalen Demenz, bei der ein Bündel von Nervenzellen im Stirnhirn degradiert ist. Mehrere andere Gruppen haben gezeigt, dass Spermidin die Stammzellpluripotenz erhöht: "Stammzellen sind sozusagen die Reparaturmeister während des Alterns, die auch unterschiedliche Schäden im Gewebe reparieren können", erklärt Madeo.
Wenn Organismen altern, egal ob Menschen oder Mäuse, kann man sie nicht mehr so gut impfen, weil ihr Immunsystem nicht mehr so stark ist. Das liegt auch daran, dass die Anzahl der T-Zellen verringert ist. Ein englisches Wissenschafterteam hat alte Mäuse mit Spermidin gefüttert. Resultat: "Dadurch wurde Autophagie induziert. Die T-Zellen fangen wieder an zu wachsen und dann sind die Mäuse wieder impfbar."
Klinische Versuche
Der Knackpunkt für die Validität von medizinischen Forschungsergebnissen, die auf Modellorganismen beruhen, ist stets deren Überführbarkeit auf den Menschen. Viele der genannten Studien befinden sich in eben diesem Übergangsstadium. Auch Frank Madeos Gruppe steht mitten in der Umsetzungsphase eines solchen, immer mit großen Aufwänden verbundenen Konzepts.
Gemeinsam mit Agnes Flöel von der Charité in Berlin wird soeben im Projekt "SmartAge" der "Einfluss polyaminreicher Nahrungsergänzung auf kognitive Fähigkeiten bei gesunden Menschen mit subjektiv empfundener Gedächtnisverschlechterung" überprüft, so der Arbeitstitel. Ergebnisse sollen Mitte bis Ende 2017 vorliegen. Basis für diese wie auch für eine andere Studie, bei der der heilende Effekt von Spermidin auf eine seltene degenerative Muskelerkrankung getestet wird, sind spermidinreiche Weizenkeimextrakt-Kapseln. Entwickelt wurden sie in Graz im Labor, um die schnelle Anwendung am Menschen zu ermöglichen.
Andere Studien der Grazer Forschergruppe liegen momentan in Begutachtung bei Wissenschaftsjournalen, weshalb noch wenig darüber gesagt werden darf. Die Annahme ist jedenfalls, dass Spermidin die Transkription, also die genetische Antwort die der Zellkern gibt, verändert: "Spermidin bewirkt eine epigenetische Veränderung im Zellkern und dadurch wird das Zellkernprogramm - also die Gene die abgelesen werden -, auf jugendlich geschaltet. Das ist der Mechanismus, dem wir gerade nachgehen." Ein weiterer Schwerpunkt sind einzelne Organe - die ja auch unterschiedlich schnell altern - und die Frage: Wo räumt Spermidin am meisten auf?
Praktische Auswirkungen
Wie also soll man sich angesichts dieser gebündelten Erkenntnisse ernähren, gibt es eine eindeutige Empfehlung? Unbestritten scheinen die positiven Effekte des Fastens auf den Alterungsprozess. Fasten beginnt nach derzeitigem Stand ungefähr 20 Stunden nach der letzten Mahlzeit, dann nämlich setzt die Autophagie ein. Will man diesen Prozess noch ankurbeln, kann man vermehrt Nahrungsmittel mit viel Spermidin zu sich nehmen.
Einen Tag zu fasten und einen Tag ohne Einschränkung zu essen ist ein Modell, das zum Beispiel bei Mäusen schon eine signifikante Verlängerung der Lebensspanne ergeben hat. Eine groß angelegte Studie (www.interfast.at), die Madeo gemeinsam mit Thomas Pieber von der Medizinischen Universität Graz betreibt, schickt sich an, diesen Zusammenhang mit Hilfe zahlreicher freiwilliger Probanden nun auch beim Menschen zu bestätigen. Ergebnisse daraus dürften 2017 vorliegen.
"Wenn ich das alles subsumieren sollte in ein paar Sätzen, dann würde ich sagen: Wir wissen nicht, wie lange die Pausen zwischen den Mahlzeiten sein müssen, aber es ist sicher richtig, dass man große Pausen zwischen den Mahlzeiten machen sollte. Was Ernährungsberater seit Jahrzehnten propagieren, dass man also viele kleine Portiönchen über den Tag verteilt essen soll, ist sicher falsch", so Madeo, der gleichzeitig aber auch vor Dogmatismus in Ernährungsfragen warnt. Nur so viel sei gesagt: "Wir sind Allesfresser und als Allesfresser evolviert. Ich warne davor, sich zu weit davon zu entfernen."
Service: Frank Madeo betreibt auch einen Blog auf Facebook, auf dem er Themen rund um Ernährung und Gesundheit kommentiert: https://de-de.facebook.com/HymneAufEinLiederlichesLeben
Von Mario Wasserfaller / APA-Science