"Sünden-Steuer" und "Nährwertampel": Staatliche Eingriffe sind umstritten
Höhere Abgaben auf Alkohol, Sondersteuern auf zuckerhaltige Softdrinks und Aufschläge für Junkfood: In vielen Ländern wurden bereits Maßnahmen eingeführt oder zumindest angedacht, um den Konsumenten den Appetit auf ungesunde Speisen und Getränke zu verderben. Weitere Möglichkeiten, regulatorisch einzugreifen, sind Werbebeschränkungen und eine verschärfte Kennzeichnung. Ob damit die gewünschten Effekte erzielt werden können, ist aber umstritten.
Am meisten Aufregung gibt es seitens der Lebensmittelindustrie naturgemäß beim Thema „Sündensteuer“. Die britische Regierung will 2018 eine „Zuckersteuer“ auf Softdrinks einführen. Die US-Ostküstenmetropole Philadelphia schlägt schon ein Jahr früher 50 US-Cent pro Liter drauf. Dänemark hat eine „Fettsteuer“ hingegen wegen Erfolglosigkeit wieder zurückgenommen. In Österreich scheinen diesbezügliche Aktivitäten derzeit hingegen kein Thema zu sein.
Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser setzt eher auf die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. „Anstelle von Steuern auf fette oder süße Lebensmittel könnten etwa Vereinbarungen getroffen werden, z.B. Salz, Zucker oder Fett über die kommenden Jahre schrittweise in der Produktion zu reduzieren. Auch selbst auferlegte, gemeinsam erarbeitete Werbeeinschränkungen für z.B. Jugendliche und Kinder sind zu begrüßen“, so die Ministerin. Sollte dieser „gemeinsame Weg“ allerdings nicht funktionieren, „so behalten wir uns natürlich auch vor, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern“, erklärte Oberhauser gegenüber APA-Science.
Auch Lebensmittelexperte Heinz Schöffl von der Arbeiterkammer (AK) ist bei den „Sündensteuern“ skeptisch. Man müsse sich anschauen, was das tatsächlich bringe und wie hoch der Aufwand sei. Denn es gebe durchaus unterschiedliche Ergebnisse – „von bringt gar nichts, außer dass Geld eingehoben wird, bis hin zu einer Reduktion von sechs bis zehn Prozent beim Softdrink-Konsum, wenn man die Produkte zehn bis 20 Prozent teurer macht“. Klar sei, dass die Wirksamkeit mit der Höhe der Steuer steige. Das habe die deutsche Regelung bei den Alkopops, die dort relativ stark vom Markt verschwunden sind, gezeigt.
Auch Hermann Toplak, Präsident der Österreichischen Diabetes-Gesellschaft, betonte kürzlich, dass man die Ergebnisse von Interventionen in anderen Ländern nicht eins zu eins für Österreich übernehmen könne: "In Österreich wird dazu einfach nicht systematisch geforscht.“ Neben der direkten Veränderung des Verbraucherverhaltens, könnte laut Schöffl auch ein zweiter Effekt erzielt werden: Der Einsatz der eingenommenen Steuern zu Präventionszwecken. So will Großbritannien die aus der „Softdrink-Steuer“ erwarteten 660 Millionen Euro unter anderem in den Sportunterricht an Volksschulen fließen lassen.
Griff zu billigeren Produkten
„Die Frage ist, ob das der richtige Weg ist, das Gesundheitssystem über solche Steuern zu finanzieren und ob man es nicht anders machen kann als durch die preisliche Regulation der Entscheidungsfreiheit“, steht Marlies Gruber, wissenschaftliche Leiterin des Vereins „forum. ernährung heute“, dem ablehnend gegenüber. Sie spricht sich generell gegen „Sündensteuern“ aus. „Konsumenten bleiben im gleichen Produktsegment, greifen aber zum billigeren Produkt. In dem Sinn hat eine Steuer keinen Lenkungseffekt, um das Ernährungsverhalten zu verbessern“, so Gruber.
Dieser Ansicht ist man auch im Ministerium: „Gerade bei Softdrinks ist die Bandbreite bei den Preisen sehr hoch. Die Menschen würden bei einer erneuten Erhöhung der Preise durch eine Sondersteuer wahrscheinlich einfach zu den billigeren Limonaden greifen. Wir setzen deshalb auf Aufklärung und Information.“Eine selektive Höherbesteuerung bestimmter Produkte sei nicht der Königsweg zur Veränderung der Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung. Zuckerhaltige Getränke würden in Österreich schon jetzt höher besteuert als Wasser und Milch.
Gleichzeitig sei es laut Gruber stigmatisierend, „weil Zivilisationskrankheiten nicht zwingend aufgrund des Konsums von zu viel Nahrung entstehen, sondern vor allem aufgrund von Bewegungsmangel. Unser Bewegungsausmaß ist in den vergangenen 20 bis 30 Jahren eklatant zurückgegangen, währenddessen wir über die Jahrzehnte ziemlich gleich immer um die 2.000 Kalorien aufnehmen. Da stellt sich dann die Frage, wieso jemand, der sich ausreichend bewegt, mehr bezahlen sollte“.
Teurer Topfen verringert Obstkonsum
Es gebe zwar Untersuchungen, die zeigen, dass es Effekte gibt, wenn man die Steuern eklatant, also um 20 bis 30 Prozent, erhöht. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass beispielsweise der Anteil von Softdrinks an der Tagesenergieaufnahme nur 2,5 Prozent betrage. „Selbst wenn man hier den Konsum reduziert, heiß das noch lange nicht, dass die Leute schlanker werden. Das ist kein großer Hebel. Außerdem gibt es da Elastizitäten, wenn man etwa Topfen höher besteuert, wird automatisch weniger Obst gegessen, weil die Leute das sehr gerne kombinieren“, erklärte Gruber.
Als Alternative zu Steuern können sich sowohl Gruber als auch AK-Experte Schöffl freiwillige Vereinbarungen mit einzelnen Branchen vorstellen. Ein Beispiel dafür ist die österreichische Salzinitiative. Hier sei in kleinen Schritten versucht worden, über die Kontakte zu den Bäckern, den Salzgehalt in Brot- und Backwaren zu senken. Laut dem Gesundheitsministerium wurden dabei bis dato rund 30.000 Tonnen Salz eingespart. „Da Kooperationen zu suchen, ist wahrscheinlich der vernünftigere Weg. Aber es sind freiwillige Vereinbarungen und die sind für niemand verbindlich“, relativierte Schöffl im Gespräch mit APA-Science.
Inzwischen ist das Projekt auch ausgelaufen. Es gebe aber Gespräche, diese Initiative weiterzuführen, heißt es aus dem Ministerium. Aktuell arbeite man an der Umsetzung von Innovationspartnerschaften, im Sinne von Kooperationen mit der Wirtschaft, wie beispielsweise mit Produzenten für gesündere Rezepturen, mit Wirten und Kantinen, Mensen und Caterern für gesündere Menüs oder mit Werbetreibenden bezüglich der Reduzierung des Marketingdrucks auf Kinder. Gerade bei großen Lebensmittelherstellern werden viele einzelne Produkte im Salz-, Zucker- und Fettgehalt ständig angepasst, betonte Gruber. „Nur wird das nicht an die große Glocke gehängt, weil man befürchtet, dass der Konsument das skeptisch sieht.“
„Nährwertampel“ heiß umstritten
Neben Steuern und freiwilligen Vereinbarungen ist die Kennzeichnung ein möglicher Ansatz, um das Essverhalten zu beeinflussen. „Wenn man sich ansieht, wie präsent Übergewicht und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen sind, zeigt sich, wie wichtig Informationen über Nährwerte sind“, so Schöffl. Man müsse den Konsumenten leicht verständliche Informationen an die Hand geben, um Entscheidungen treffen zu können. Mit der Neuregelung der Lebensmittelkennzeichnung werde die bisher freiwillige Nährwertkennzeichnung zwar verbindlich, Lesbarkeit, Verständlichkeit und Auffälligkeit würden hier aber zu kurz kommen.
„Aus unserer Sicht wäre eine Nährwertampel – auf der Vorderseite des Produkts deutlich sichtbar mit Ampelfarben – sehr sinnvoll gewesen. So würde man schnell sehen, welches Produkt niedrige, mittlere oder hohe Werte bezüglich bestimmter Nährstoffe aufweist. Dann kann man beim Einkauf leicht entscheiden“, ist Schöffl überzeugt. Die Alternative, die die Wirtschaft durchgesetzt habe, sei die Nährwertkennzeichnung auf der Rückseite bzw. unauffällige Kurzfassungen auf der Vorderseite – Angaben pro Portion zum Beispiel. „Das ist aus unserer Sicht nicht optimal.“
Klar gegen die „Nährwertampel“ spricht sich Gruber aus: „Es ist nicht sinnvoll, um das Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern, weil dadurch auch Lebensmittel diskreditiert werden, die keine Chance haben – wie zum Beispiel Öl oder Butter.“ Solche Argumente seien herangezogen worden, um die ganze Ampel für absurd zu erklären, meint Schöffl. Dabei sei es wohl für den Konsumenten wenig überraschend, dass ein Fett sehr fett sei. Die Wirtschaft spreche vom mündigen Konsumenten, bei der Ampel „ist der Konsument dann plötzlich zu blöd und meidet alles, was rot ist.“ Die Ampel wäre vor allem bei Produkten wichtig, wo man hohe Werte nicht auf den ersten Blick erkennen oder erwarten würde.
„Rote“ Produkte als Kinder-Magnet
Gruber befürchtet auch, dass sich Kinder vor allem an jenen Produkten orientieren, die rot gekennzeichnet sind, „weil sie wissen, dass da die großen Geschmacksträger drinnen sind. Die haben sofort ein Signal: Hoppla, das ist das, was schmeckt!“ Der Sinn der Nährwertampel wäre: „Rot ist gleich Stopp.“ Und hier würde die Lenkung genau in die Gegenrichtung gehen, die intendiert ist. Zu empfehlen sei, dass man nicht den Blick auf einzelne Lebensmittel, sondern auf die gesamte Ernährungsweise werfe – „und das fehlt da“.
Auch hier widerspricht Schöffl: „Das Argument, dass der Mix entscheidend ist, nicht das einzelne Produkt, ist interessant. Wenn es der Industrie darum geht, ein Produkt besonders hervorzuheben, das man gerne vermarkten würde, dann hat das als einzelnes Lebensmittel ganz tolle Eigenschaften. Da weist man ja auch nicht darauf hin, dass es um die gesamte Ernährung geht.“ Er sehe die „Nährwertampel“ als Empfehlung, als Information und nicht als Warnung. „Aber so wird das von der Wirtschaft dann dargestellt.“
„Der Konsument ist mündig genug, dass er keinen roten Punkt braucht. Der hat Hausverstand und kann die Produkte gut einschätzen. Wen das näher interessiert, der findet die Nährwertangaben ohnehin auf der Packung“, hält Gruber dagegen. Außerdem werde mit der „Nährwertampel“ eine Einteilung von Lebensmitteln vorgenommen, die wissenschaftlich keine Grundlage habe, „weil es in Wahrheit keine gesunden oder ungesunden Produkte gibt. Das einzige, was es gibt, sind gesunde oder ungesunde Ernährungsweisen. Die Ampel wird nicht der richtige Hebel sein, um das Ernährungsverhalten zu beeinflussen“.
Werbung: Selbstverpflichtung statt Verbot
Einen weiteren Hebel sieht Schöffl in der Promotion von Produkten. Hier habe es Vorstöße gegeben, die Werbung für sehr salzige, fette oder zuckerhaltige Lebensmittel einzuschränken. Herausgekommen sei „nur eine Selbstverpflichtung, dass man nicht irreführend werben soll, so a la, wenn man das Produkt nicht isst, ist man nicht fit oder gesellschaftsfähig“. Hier habe sich die Werbewirtschaft massiv gesträubt. Wünschenswert wären seiner Meinung nach auch strengere Regeln bei Kinderlebensmitteln.
Ein sehr gutes Beispiel in diesem Zusammenhang sei der „EU Pledge“, wo sich viele internationale Unternehmen dazu verpflichtet hätten, keine an Kinder gerichtete Werbung zu betreiben, so Gruber: „Das heißt, dass da schon ein Bewusstsein seitens der Hersteller vorhanden ist. Das ist zu begrüßen, andererseits muss man grundsätzlich sagen, dass Kinder ab dem Grundschulalter zu verstehen beginnen, was Werbung und was Inhalt ist. Werbung außen vorzuhalten ist in der Lebensrealität einfach nicht gegeben. Damit müssen wir umgehen lernen.“
Service: Nähere Informationen zu Neuerungen bei der Lebensmittel-Kennzeichnung – unter anderem bei Mindestschriftgröße, Herkunftskennzeichnung und Kalorien- und Nährwertangaben – gibt es hier.
Von Stefan Thaler / APA-Science